„Es ging ein kollektives Seufzen durch den Raum.“
Dieses Bild von Branko Lenart „Saintes-Maries-de-la-Mer“ (1971) hat einen Schätzwert von 600 bis 800 Euro.
Die Kulttasche von 1962: eine Hermès Kelly Sellier Lizard 28 inklusive Geldbörse mit einem Rufpreis von 5.000 Euro. Die Fotografie mit den freizügigen Damen ist ca. um 1930 entstanden, Schätzwert: 700 bis 900 Euro.
Antje Mayer-Salvi: Was fasziniert Sie als Expertinnen für Kunst und Vintage an Ihrem Beruf?
Regina Herbst: Ich mag den Kontakt zu den Kundinnen und Kunden wie auch den direkten Umgang mit den Kunstwerken, von denen im Dorotheum täglich hunderte durch unsere Finger gehen. Was ich dabei liebe, ist das Kunsthandwerk! Schon während meines Kunstgeschichtestudiums habe ich im Dorotheum gearbeitet, und dabei wurde das Dreidimensionale bald zu einer Leidenschaft von mir. Mein Job ist anstrengend, aber keine Sekunde langweilig. Man lernt dauernd dazu. Ich kann mir nichts Besseres vorstellen!
Elisabeth Wallner: Es ist eine wunderbare Mischung aus wissenschaftlichen, betriebswirtschaftlichen und kreativen Arbeiten. Würde ich in einer Galerie arbeiten, hätte ich nur mit einer begrenzten Zahl an Künstlerinnen und Künstlern zu tun, aber im Dorotheum sehe ich täglich Kunstwerke aller Sparten – auch die, die nicht in mein Fachgebiet der Druckgrafik fallen.
Was haben Druckgrafiken, Design, Fotografie und Vintage, die alle vom Dorotheum in diversen Auktionen versteigert werden, gemeinsam?
R. H.: Sie gelten als eine Art „Einstiegsdroge“ ...
E. W.: ... weil diese Sparten eher erschwinglich sind und damit ein jüngeres Publikum ansprechen, das zwar an Design interessiert ist, sich aber Hochpreisiges noch nicht leisten kann. Wir wollen den Bereich der Druckgrafik in Zukunft massiv ausbauen und haben diesmal über 250 Objekte in der Auktion.
Läuft heutzutage mehr über Online-Verkäufe?
R. H.: Im Vintage-Bereich ist das sicherlich so. Aber wir haben in dieser Sparte auch Auktionen im Haus. Die lustigste Vintage-Auktion, die ich in meiner beruflichen Laufbahn erlebt habe, war eine mit Chanel-Stücken. Mir war im Jahr 2016 der große Nachlass einer Dame zugefallen. Der Saal war bis auf den letzten Platz mit über 150 aufgeregten und schnatternden Damen eher jüngeren Alters gefüllt. Als ein Chanel-Blazer den Zuschlag für 3.000 Euro bekam, ging ein kollektives Seufzen durch den Raum. Es war geradezu köstlich!
Von welchem Preissegment sprechen wir bei den „Einstiegsdrogen“?
R. H.: In den Bereichen Accessoires und Druckgrafik beginnt es bei 130 bis 300 Euro Ausrufpreis in den Online-Auktionen. Das ist wirklich günstig. Da kann man echte Schnäppchen machen.
„Es beginnt bei 130 Euro. Da kann man echte Schnäppchen machen.“
Eine Arbeit der österreichischen Künstlerin Eva Schlegel ohne Titel: Siebdruck auf Blei (2010). Der Rufpreis: 4.000 Euro. Die Fotografie (rechts) stammt von Dr. Drahomir Joseph Ruzicka aus dem Jahr 1942: „The City Canyons at daybreak, Trinity Church at left“. Der Schätzwert liegt zwischen 1.500 und 2.200 Euro.
Klassiker unter sich: die schöne Sophia Loren abgelichtet von Künstler Russell Young (Rufpreis: 12.000 Euro) und ein Paar Chanel-Ohrclips, goldfarbenes Metall, mit einem Rufpreis von günstigen 220 Euro
Dazu kommen aber noch die 27 Prozent Aufschlag vom Auktionshaus.
E. W.: Ja, genau. Die Mehrwertsteuer ist allerdings schon inkludiert. Ich finde es sehr spannend, dass Auktionen den momentanen und realen Marktwert so gut abbilden, ganz anders als es etwa in Galerien der Fall ist, die den Preis für ein Stück prinzipiell beliebig festlegen können.
Sind Accessoires, Fotografie und Druckgrafiken ernst zu nehmende Wertanlagen?
R. H.: Ich werde wahnsinnig oft von Kundinnen und Kunden gefragt, wie es mit der Wertsteigerung aussieht. Wenn ich das immer wüsste, wäre ich sehr, sehr reich! Man kann das nicht sicher vorhersagen. Es gab berühmte Künstlerinnen und Designer, die wurden in den sechziger Jahren gesammelt, waren super in Mode, haben ihr Geld gekostet. Deren Sammlerinnen und Sammler kommen heute zu uns und denen müssen wir sagen: „Tut uns leid, für mehr als 200 Euro können wir das nicht mehr ausrufen.“ Wir erleben das täglich. Die Enttäuschung ist dann oft groß. Der Jugendstil zum Beispiel war in den sechziger Jahren völlig uninteressant, in den Achtzigern und Neunzigern extrem teuer. Momentan scheinen sich die Preise eingependelt zu haben.
Frei nach dem bekannten Spruch der Wiener Secession: Der Zeit ihre Kunst! Was wäre eine interessante Wertsteigerung?
E. W.: Ein Kunstkauf ist immer ein Risiko, wie es auch der Kauf von Aktien ist. Man muss sich sehr, sehr gut auskennen oder sich auf die Expertise renommierter Häuser wie des Dorotheums verlassen. Eine gute Regel ist: Ersteigern Sie aus Faszination, Liebe und Freude an der Kunst – und nicht vordergründig, um daraus Profit zu schlagen. Namen werden schnell zu Schall und Rauch.
Wann ist ein Teil Modeschmuck und wann ein Juwelierstück?
R. H.: Modeschmuck ist nicht aus Edelmetallen wie Gold und Silber gefertigt und verzichtet auf Edelsteine. Es gibt unglaublich schön gearbeitete Stücke, die wie echter Schmuck aussehen und in der gleichen handwerklichen Qualität verarbeitet sind. Alles ist gefasst, nichts geklebt. Mit großer Liebe zum Detail! Da sind Eyecatcher und witzige Dinge dabei, wie beispielsweise von Dior oder Chanel aus den fünfziger und sechziger Jahren. Der Begriff „Modeschmuck“ wird oft abfällig verwendet – zu Unrecht! Ich habe so eine Freude, wenn ich diese Kleinode in den Händen halte.
„Wertsteigerung? Wenn ich das immer wüsste, wäre ich sehr, sehr reich!“
Starfotograf Richard Avedon fotografierte Anfang der achtziger Jahre die Fabrikarbeiterin Petra Alvarado an ihrem Geburtstag in El Paso, Texas. Der Schätzwert liegt zwischen 700 und 900 Euro.
Mathias Harnisch, Dorotheum-Designexperte: „Die besondere Faszination der Sparte ,Design‘ ergibt sich aus der Dynamik, der sie unterworfen ist.“ Der Armlehnsessel Weissenhof MR 20 ist der Entwurf von niemand Geringerem als Ludwig Mies van der Rohe. Der Schätzwert liegt zwischen 6.000 und 9.000 Euro. Kult! Es wird auch ein Ensemble aus Typenmöbeln der berühmten „Frankfurter Küche“ von Margarete Schütte-Lihotzky aus dem Jahre 1926 versteigert – mit einem Schätzwert von 12.000 bis 20.000 Euro.
Österreich assoziiere ich nicht unbedingt mit Modeschmuck?!
R. H.: Dieser Eindruck täuscht. Das Design der Tiroler Firma Swarovski war ausschlaggebend für die internationale Schmuckarbeit. Deutsche, französische und amerikanische Firmen verwendeten die Swarovski-Kristallglassteine für ihre Kreationen – und tun es immer noch. Ich kann eine nette Anekdote dazu erzählen: Das US-Modelabel Eisenberg hatte in den dreißiger Jahren Modeschmuck und Kleiderspangen auf seinen Kleidern und Kostümen appliziert. Die waren nach den Anproben immer verschwunden, weil die Frauen sie einsteckten. So kam man überhaupt erst darauf, dass Modeschmuck bei Kundinnen sehr beliebt ist.
Ist die technische Reproduzierbarkeit von Modeschmuck und Druckgrafiken ein großes Thema bei Sammlerinnen?
E. W.: Die Auflage legt stets die Künstlerin oder der Designer selbst fest. Es sollte dann zwar auch nicht zu Unregelmäßigkeiten kommen, was aber durchaus passiert. Heutzutage wird das auf dem – mittlerweile globalen – Kunstmarkt sehr transparent gehandhabt. Wir können bei Druckgrafiken sehr oft auf wissenschaftlich fundierte Werkverzeichnisse zurückgreifen.
R. H.: Für Modeschmuck gibt es so ein Verzeichnis freilich nicht, aber ich recherchiere sehr, sehr viel. Ich habe sogar oft Stücke, von denen ich nicht einmal weiß, ob sie überhaupt in Serie gegangen sind. Modeschmuck wurde oft als wertloser Tand weggeschmissen, weil er kaputt oder eben bereits wieder aus der Mode war.
„Louis Vuitton ist wohl die meistgefälschte Marke in der Modegeschichte.“
Das pinke Glamour-Armband von Christian Dior aus dem Jahr 1966 hat einen Rufpreis von nur 220 Euro. Die Fotografie von Werner Mraz wird zwischen 600 und 800 Euro geschätzt.
Gibt es Regeln, auf die man bei der Auflage als Sammlerin achten sollte? Erst die Limitierung der Abzüge ermöglichte es einem technisch reproduzierbaren Medium doch, mit anderen Kunstformen zu konkurrieren.
E. W.: Man kann nicht generell sagen, dass eine Druckgrafik beispielsweise ab 300 Stück nichts mehr wert ist, das kommt ganz auf die Künstlerin oder den Künstler an. Andy Warhol hatte weitaus höhere Auflagen, und trotzdem werden Exemplare aus diesen Auflagen sehr hoch gehandelt. Es gibt auch sogenannte „offene“ Auflagen, deren Größe nicht bekannt ist.
Wie können Sie feststellen, ob ein Werk kein Reprint ist?
E. W.: Es gibt mehrere Wege, das festzustellen – zum Beispiel am Papier.
Mit bloßem Auge?
E. W.: Manches ist so schlecht gemacht, da kann man es mit bloßem Auge feststellen und benötigt nicht mal eine Lupe. Das ist auch Erfahrungssache. Als Expertin weiß man in etwa, auf welchem Papier die Auflage gedruckt sein sollte. Bei älteren Papieren ist es allerdings schwieriger. Da ziehe ich dann Experten hinzu. Oft gab es das Trägermaterial zu der Zeit noch gar nicht, als die Grafik angeblich entstanden ist.
Vintage-Handtaschen von Edelmarken wie Louis Vuitton und Hermès, die das Dorotheum in den kommenden Auktionen versteigert, gelten mittlerweile als Wertanlage und erzielen Höchstpreise. 2015 kam in Hongkong eine fuchsiafarbene, mit Diamanten besetzte Birkin Bag für umgerechnet etwa 202.000 Euro unter den Hammer.
R. H.: So hochpreisig rufen wir nicht aus! Das teuerste Stück ist eine Birkin Bag zu einem Rufpreis von 18.000 Euro. Das Faszinierende an Handtaschen ist sicherlich, dass sie im Gegensatz zu Vintage-Kleidung an keine Konfektionsgröße gebunden sind und jeder Frau „passen“. Sie sind spätestens seit den neunziger Jahren ein Statussymbol, das man in der Öffentlichkeit zeigen und mit sich tragen kann.
„Die Labels arbeiten mit der Strategie der Verknappung.“
Eva Königseder, Dorotheum-Expertin für Fotografie findet folgendes Zitat von Fotograf Lewis Hine zeitlos: „Wenn ich Geschichte in Worten erzählen könnte, bräuchte ich keine Kamera herumzuschleppen.“ Hier zu sehen ist eine wunderschöne Fotografie von Wilhelm Klein: „Qui êtes-vous, Polly Maggoo?“ (1966). Ihr Schätzwert liegt zwischen 1.500 und 2.500 Euro.
Während eine klassische Chanel 2.55 im Jahr 1955 noch um die 200 Euro kostete, wird sie heute um 4.000 Euro angeboten.
R. H.: Das liegt vor allem daran, dass es sich bei den Marken um Traditionshäuser handelt, die seit Jahrzehnten für Luxus und außergewöhnliche Qualität in der Verarbeitung stehen, was sowohl die Schneiderkunst betrifft als auch die Lederverarbeitung. Die Präzision der Nähte bei Hermès-Stücken ist unerreicht. Die Geschichte des Hauses Louis Vuitton ist ebenso spannend. Die wasserabweisenden Oberflächen von Reisekoffern waren eine revolutionäre Neuerung und genial. Louis Vuitton ist wohl die meistgefälschte Marke in der Modegeschichte überhaupt – deswegen haben sie schon früh ihr Logo eingeprägt.
Hermès-Taschen sind sehr qualitativ produziert. Aber rechtfertigt das Preise auf dem Sekundärmarkt im fünf- bis sechsstelligen Bereich?
R. H.: Das Label betreibt vor allem geniales Marketing. Sie arbeiten mit der Strategie der Verknappung und machen nie einen Abverkauf – wie es übrigens bei allen Topmarken unüblich ist. Die Kelly Bags kann man nirgendwo auf dieser Welt in einem Geschäft kaufen. Es gibt jahrelange Wartezeiten für ein Stück.
E. W.: Da gibt es auch eine schöne Parallele zur Kunstwelt. Bei den jetzt superangesagten zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern ist es nicht anders, auch da wird mit der Verknappung gedealt. Die Galerien haben Kundenlisten, und wer da oben steht, bekommt die neuesten wichtigen Werke. Auf die „Art Basel“ gehen die Sammlerinnen und Sammler oft nicht, um zu kaufen, in vielen Fällen wurde ihnen „ihr Werk“ schon vorher „zugeteilt“.
Ich danke Ihnen für das interessante Gespräch.
Ein Objekt der Begierde, das man lieber nicht liegen lassen sollte: Die Hermès Alligator Birkin 35 mit einem Schätzwert von 18.000 Euro. Es gibt jahrelange Wartezeiten für neue Hermès-Taschen – diese kann man gleich mit nach Hause tragen.