Die Kunstexpertinnen

Der Zeit ihre Kunst

Die Kunstprofis Regina Herbst und Elisabeth Wallner arbeiten für das traditionelle Wiener Auktionshaus Dorotheum und lieben ihren Beruf. In unserem Interview verraten sie uns, warum schöne Druckgrafiken und Designklassiker nicht unbedingt teuer sein müssen, Modeschmuck eine Wertanlage ist und Vintage-Handtaschen Summen im sechsstelligen Bereich erzielen. Design-, Fotografie- und Modeliebhaberinnen können immer wieder Auktionen mit durchaus leistbaren Preisen zuschlagen.

Text: Antje Mayer-Salvi

„Es ging ein kollektives Seufzen durch den Raum.“

Antje Mayer-Salvi: Was fasziniert Sie als Expertinnen für Kunst und Vintage an Ihrem Beruf?

Regina Herbst: Ich mag den Kontakt zu den Kundinnen und Kunden wie auch den direkten Umgang mit den Kunstwerken, von denen im Dorotheum täglich hunderte durch unsere Finger gehen. Was ich dabei liebe, ist das Kunsthandwerk! Schon während meines Kunstgeschichtestudiums habe ich im Dorotheum gearbeitet, und dabei wurde das Dreidimensionale bald zu einer Leidenschaft von mir. Mein Job ist anstrengend, aber keine Sekunde langweilig. Man lernt dauernd dazu. Ich kann mir nichts Besseres vorstellen!

Elisabeth Wallner: Es ist eine wunderbare Mischung aus wissenschaftlichen, betriebswirtschaftlichen und kreativen Arbeiten. Würde ich in einer Galerie arbeiten, hätte ich nur mit einer begrenzten Zahl an Künstlerinnen und Künstlern zu tun, aber im Dorotheum sehe ich täglich Kunstwerke aller Sparten – auch die, die nicht in mein Fachgebiet der Druckgrafik fallen.

Was haben Druckgrafiken, Design, Fotografie und Vintage, die alle vom Dorotheum in diversen Auktionen versteigert werden, gemeinsam?

R. H.: Sie gelten als eine Art „Einstiegsdroge“ ...

E. W.: ... weil diese Sparten eher erschwinglich sind und damit ein jüngeres Publikum ansprechen, das zwar an Design interessiert ist, sich aber Hochpreisiges noch nicht leisten kann. Wir wollen den Bereich der Druckgrafik in Zukunft massiv ausbauen und haben diesmal über 250 Objekte in der Auktion.

Läuft heutzutage mehr über Online-Verkäufe?

R. H.: Im Vintage-Bereich ist das sicherlich so. Aber wir haben in dieser Sparte auch Auktionen im Haus. Die lustigste Vintage-Auktion, die ich in meiner beruflichen Laufbahn erlebt habe, war eine mit Chanel-Stücken. Mir war im Jahr 2016 der große Nachlass einer Dame zugefallen. Der Saal war bis auf den letzten Platz mit über 150 aufgeregten und schnatternden Damen eher jüngeren Alters gefüllt. Als ein Chanel-Blazer den Zuschlag für 3.000 Euro bekam, ging ein kollektives Seufzen durch den Raum. Es war geradezu köstlich!

Von welchem Preissegment sprechen wir bei den „Einstiegsdrogen“?

R. H.: In den Bereichen Accessoires und Druckgrafik beginnt es bei 130 bis 300 Euro Ausrufpreis in den Online-Auktionen. Das ist wirklich günstig. Da kann man echte Schnäppchen machen.

„Es beginnt bei 130 Euro. Da kann man echte Schnäppchen machen.“

Dazu kommen aber noch die 27 Prozent Aufschlag vom Auktionshaus.

E. W.: Ja, genau. Die Mehrwertsteuer ist allerdings schon inkludiert. Ich finde es sehr spannend, dass Auktionen den momentanen und realen Marktwert so gut abbilden, ganz anders als es etwa in Galerien der Fall ist, die den Preis für ein Stück prinzipiell beliebig festlegen können.

Sind Accessoires, Fotografie und Druckgrafiken ernst zu nehmende Wertanlagen?

R. H.: Ich werde wahnsinnig oft von Kundinnen und Kunden gefragt, wie es mit der Wertsteigerung aussieht. Wenn ich das immer wüsste, wäre ich sehr, sehr reich! Man kann das nicht sicher vorhersagen. Es gab berühmte Künstlerinnen und Designer, die wurden in den sechziger Jahren gesammelt, waren super in Mode, haben ihr Geld gekostet. Deren Sammlerinnen und Sammler kommen heute zu uns und denen müssen wir sagen: „Tut uns leid, für mehr als 200 Euro können wir das nicht mehr ausrufen.“ Wir erleben das täglich. Die Enttäuschung ist dann oft groß. Der Jugendstil zum Beispiel war in den sechziger Jahren völlig uninteressant, in den Achtzigern und Neunzigern extrem teuer. Momentan scheinen sich die Preise eingependelt zu haben.

Frei nach dem bekannten Spruch der Wiener Secession: Der Zeit ihre Kunst! Was wäre eine interessante Wertsteigerung?

E. W.: Ein Kunstkauf ist immer ein Risiko, wie es auch der Kauf von Aktien ist. Man muss sich sehr, sehr gut auskennen oder sich auf die Expertise renommierter Häuser wie des Dorotheums verlassen. Eine gute Regel ist: Ersteigern Sie aus Faszination, Liebe und Freude an der Kunst – und nicht vordergründig, um daraus Profit zu schlagen. Namen werden schnell zu Schall und Rauch.

Wann ist ein Teil Modeschmuck und wann ein Juwelierstück?

R. H.: Modeschmuck ist nicht aus Edelmetallen wie Gold und Silber gefertigt und verzichtet auf Edelsteine. Es gibt unglaublich schön gearbeitete Stücke, die wie echter Schmuck aussehen und in der gleichen handwerklichen Qualität verarbeitet sind. Alles ist gefasst, nichts geklebt. Mit großer Liebe zum Detail! Da sind Eyecatcher und witzige Dinge dabei, wie beispielsweise von Dior oder Chanel aus den fünfziger und sechziger Jahren. Der Begriff „Modeschmuck“ wird oft abfällig verwendet – zu Unrecht! Ich habe so eine Freude, wenn ich diese Kleinode in den Händen halte.

„Wertsteigerung? Wenn ich das immer wüsste, wäre ich sehr, sehr reich!“

Österreich assoziiere ich nicht unbedingt mit Modeschmuck?!

R. H.: Dieser Eindruck täuscht. Das Design der Tiroler Firma Swarovski war ausschlaggebend für die internationale Schmuckarbeit. Deutsche, französische und amerikanische Firmen verwendeten die Swarovski-Kristallglassteine für ihre Kreationen – und tun es immer noch. Ich kann eine nette Anekdote dazu erzählen: Das US-Modelabel Eisenberg hatte in den dreißiger Jahren Modeschmuck und Kleiderspangen auf seinen Kleidern und Kostümen appliziert. Die waren nach den Anproben immer verschwunden, weil die Frauen sie einsteckten. So kam man überhaupt erst darauf, dass Modeschmuck bei Kundinnen sehr beliebt ist.

Ist die technische Reproduzierbarkeit von Modeschmuck und Druckgrafiken ein großes Thema bei Sammlerinnen?

E. W.: Die Auflage legt stets die Künstlerin oder der Designer selbst fest. Es sollte dann zwar auch nicht zu Unregelmäßigkeiten kommen, was aber durchaus passiert. Heutzutage wird das auf dem – mittlerweile globalen – Kunstmarkt sehr transparent gehandhabt. Wir können bei Druckgrafiken sehr oft auf wissenschaftlich fundierte Werkverzeichnisse zurückgreifen.

R. H.: Für Modeschmuck gibt es so ein Verzeichnis freilich nicht, aber ich recherchiere sehr, sehr viel. Ich habe sogar oft Stücke, von denen ich nicht einmal weiß, ob sie überhaupt in Serie gegangen sind. Modeschmuck wurde oft als wertloser Tand weggeschmissen, weil er kaputt oder eben bereits wieder aus der Mode war.

„Louis Vuitton ist wohl die meistgefälschte Marke in der Modegeschichte.“

Gibt es Regeln, auf die man bei der Auflage als Sammlerin achten sollte? Erst die Limitierung der Abzüge ermöglichte es einem technisch reproduzierbaren Medium doch, mit anderen Kunstformen zu konkurrieren.

E. W.: Man kann nicht generell sagen, dass eine Druckgrafik beispielsweise ab 300 Stück nichts mehr wert ist, das kommt ganz auf die Künstlerin oder den Künstler an. Andy Warhol hatte weitaus höhere Auflagen, und trotzdem werden Exemplare aus diesen Auflagen sehr hoch gehandelt. Es gibt auch sogenannte „offene“ Auflagen, deren Größe nicht bekannt ist.

Wie können Sie feststellen, ob ein Werk kein Reprint ist?

E. W.:  Es gibt mehrere Wege, das festzustellen – zum Beispiel am Papier.

Mit bloßem Auge?

E. W.:  Manches ist so schlecht gemacht, da kann man es mit bloßem Auge feststellen und benötigt nicht mal eine Lupe. Das ist auch Erfahrungssache. Als Expertin weiß man in etwa, auf welchem Papier die Auflage gedruckt sein sollte. Bei älteren Papieren ist es allerdings schwieriger. Da ziehe ich dann Experten hinzu. Oft gab es das Trägermaterial zu der Zeit noch gar nicht, als die Grafik angeblich entstanden ist.

Vintage-Handtaschen von Edelmarken wie Louis Vuitton und Hermès, die das Dorotheum in den kommenden Auktionen versteigert, gelten mittlerweile als Wertanlage und erzielen Höchstpreise. 2015 kam in Hongkong eine fuchsiafarbene, mit Diamanten besetzte Birkin Bag für umgerechnet etwa 202.000 Euro unter den Hammer.

R. H.: So hochpreisig rufen wir nicht aus! Das teuerste Stück ist eine Birkin Bag zu einem Rufpreis von 18.000 Euro. Das Faszinierende an Handtaschen ist sicherlich, dass sie im Gegensatz zu Vintage-Kleidung an keine Konfektionsgröße gebunden sind und jeder Frau „passen“. Sie sind spätestens seit den neunziger Jahren ein Statussymbol, das man in der Öffentlichkeit zeigen und mit sich tragen kann.

„Die Labels arbeiten mit der Strategie der Verknappung.“

Während eine klassische Chanel 2.55 im Jahr 1955 noch um die 200 Euro kostete, wird sie heute um 4.000 Euro angeboten.

R. H.: Das liegt vor allem daran, dass es sich bei den Marken um Traditionshäuser handelt, die seit Jahrzehnten für Luxus und außergewöhnliche Qualität in der Verarbeitung stehen, was sowohl die Schneiderkunst betrifft als auch die Lederverarbeitung. Die Präzision der Nähte bei Hermès-Stücken ist unerreicht. Die Geschichte des Hauses Louis Vuitton ist ebenso spannend. Die wasserabweisenden Oberflächen von Reisekoffern waren eine revolutionäre Neuerung und genial. Louis Vuitton ist wohl die meistgefälschte Marke in der Modegeschichte überhaupt – deswegen haben sie schon früh ihr Logo eingeprägt.

Hermès-Taschen sind sehr qualitativ produziert. Aber rechtfertigt das Preise auf dem Sekundärmarkt im fünf- bis sechsstelligen Bereich?

R. H.: Das Label betreibt vor allem geniales Marketing. Sie arbeiten mit der Strategie der Verknappung und machen nie einen Abverkauf – wie es übrigens bei allen Topmarken unüblich ist. Die Kelly Bags kann man nirgendwo auf dieser Welt in einem Geschäft kaufen. Es gibt jahrelange Wartezeiten für ein Stück.

E. W.: Da gibt es auch eine schöne Parallele zur Kunstwelt. Bei den jetzt superangesagten zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern ist es nicht anders, auch da wird mit der Verknappung gedealt. Die Galerien haben Kundenlisten, und wer da oben steht, bekommt die neuesten wichtigen Werke. Auf die „Art Basel“ gehen die Sammlerinnen und Sammler oft nicht, um zu kaufen, in vielen Fällen wurde ihnen „ihr Werk“ schon vorher „zugeteilt“.

Ich danke Ihnen für das interessante Gespräch.

Die Fotografen des Monats: Cortis & Sonderegger

Text: Viktoria Kirner

Das World Trade Center in Flammen, der Fußabdruck des ersten Menschen auf dem Mond oder das vom Himmel stürzende Luftschiff „Hindenburg“. Weltberühmte Bilder, die sich in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt haben, rekonstruiert im Studio der bekannten Schweizer Fotografen Jojakim Cortis und Adrian Sonderegger. Mit ihren Miniatur-Dioramen fertigen die Fotokünstler täuschend echt aussehende Nachbildungen von Ikonen der Fotografiegeschichte an. Ein Gespräch über Illusion und Fake News.

Die Direktorin & Modedesignerin

Text: Eva Holzinger

Tuchlauben Wien, wo Louis Vuitton auf Gucci trifft, Pferdehuf auf Pflasterstein, zu viel Stress auf zu viel Geld und das C/O Vienna Magazine auf Ingried Brugger, seit 2000 Direktorin des Bank Austria Kunstforums und Modeschöpferin – unter anderem für die amtierende Bundeskanzlerin. Brugger war damals die erste Frau in Österreich, die eine Kunstinstitution dieser Größe leitete. In ihrem Studio über den Dächern der Wiener Schickeria reden wir über feministische Kunst, Skifahren, Frühstück im Bett und Hunde, die nach Monaten benannt sind.