Ein Auto und Frieden? Nicht für alle.
Fulminante Eröffnung und unfreiwilliges Closing: Ausgerechnet die allererste Ausstellung der neuen Leitung der Kunsthalle Wien – des Zagreber Kollektivs What, How & for Whom – musste nach nur wenigen Tagen ihre Pforten schließen. Mit einem großen Online-Launch bringt uns die Kunsthalle aber nun die Ausstellung ... von Brot, Wein, Autos, Sicherheit und Frieden in unsere Wohnzimmer. Wir haben Ivet Ćurlin, Nataša Ilić und Sabina Sabolović noch vor der Quarantäne zu einem sehr persönlichen Gespräch getroffen, um zu erfahren, was sie denken, wie sie kuratieren und wie ein schönes Leben für sie aussieht.
„Wir müssen den Mythos vom ,guten Leben‘ aufgeben.“
Sie sind für diesen Job von Zagreb nach Wien gezogen, nun seit knapp acht Monaten im Amt und haben soeben die erste Ausstellung eröffnet. Gab es in den vergangenen Monaten Momente, in denen Sie sich überfordert gefühlt haben?
Nataša Ilić: Ich möchte Christoph Schlingensief zitieren, es ist aber eine unbestätigte mündliche Überlieferung: „Wienerinnen sprechen zuerst nett mit dir, bevor sie dir das Messer in den Rücken rammen. Dann stellt sich heraus: Ihr Messer ist aus Marzipan.“ So ähnlich haben wir das in Wien bisher auch erlebt: Es gab den Stoß in den Rücken, aber dann auch wieder Marzipan für uns.
Sabina Sabolović: Wir haben in den vergangenen Monaten so viele unterschiedliche Charaktere getroffen, so viel geredet, das war schon sehr anstrengend. Gleich mit einer so großen Ausstellung zu eröffnen war sicher eine zusätzliche Belastung. Gleichzeitig war es uns aber wichtig, in der lokalen Szene von Anfang an stark präsent zu sein.
„Wienerinnen sprechen zuerst nett mit dir, bevor sie dir das Messer in den Rücken rammen.“
Sie arbeiten seit zwenzig Jahren zusammen. Die Vierte im Kollektiv fehlt, Ana Dević ist als Leiterin der Galerija Nova und der WHW Akademija, einem internationalen Studienprogramm für junge Künstlerinnen, in Zagreb geblieben. Wie haben Sie vier sich kennengelernt?
N.I.: Ivet und ich trafen uns auf der Universität bei der Aufnahmeprüfung für Kunstgeschichte und Literatur. Ich weiß noch, sie trug eine wuchtige Männerjacke und diese großen Ohrringe, ich dachte mir nur: „Wow, sieht die cool aus!“
Ivet Ćurlin: Ich erinnere mich! Für die mündliche Prüfung mussten wir beide in einem wirklich engen Flur sitzen und warten, bis unsere Namen aufgerufen wurden. Ich bin zufällig neben Nataša gelandet, und wie es nun mal ihre Art ist, hat sie mich einfach angequatscht.
Das klingt nach Liebe auf den ersten Blick! Wie hat sich der Rest der Truppe kennengelernt?
N.I.: Sabina und ich wurden 1999 eingeladen, ein Praktikum bei einer von Hans Ulrich Obrist und Barbara Vanderlinden kuratierten Ausstellung in Antwerpen zu machen. Und weil Sabina nun mal Sabina ist, wollte sie im Vorfeld wissen, mit wem sie es zu tun hat, und bat mich um ein Treffen. Ich weiß auch noch genau, was sie damals bei unserer ersten Begegnung trug: einen rosa Rock und ein rotes Hemd.
S.S.: Nataša, wer sonst, hat mir wiederum Ana vorgestellt. Ich habe zu der Zeit bei einem Radiosender als Journalistin gearbeitet. Alle angesagten Leute aus Kunst und Kultur trafen sich regelmäßig gleich nebenan in einem sehr berühmten Jazzclub. Es war zwar schon gegen Ende des Krieges, aber trotzdem hingen alle noch immer am liebsten in Kellern ab, um zu trinken. Im Falle eines Bombenangriffs konnte man einfach weiter trinken. Dort traf ich Ana.
„Wie hoch muss sowas eigentlich hängen?“
Sie wussten gleich, dass sie miteinander arbeiten wollen?
N.I: Ana musste ich wirklich dazu überreden mitzumachen. Sie war damals die Einzige, die Erfahrung mit dem Kuratieren hatte. Bei unserer allerersten Ausstellung im Jahr 2000 zum 152. Jahrestag des Kommunistischen Manifests zeigten wir im armen Nachkriegs-Kroatien fünfzig Künstlerinnen und Künstler aus ganz Europa. Die Ausstellung war tatsächlich sehr erfolgreich, aber zu Beginn wussten wir wirklich nicht so genau, wie wir das eigentlich angehen sollen.
Learning by doing?!
N.I: Genau, ich erinnere mich, dass ich eines der Bilder an die Wand hielt und dachte: „Wie hoch muss sowas eigentlich hängen? Wie mache ich das?“ Ana war diejenige, die wusste, was sie tat, sie hatte eine offizielle Kuratorinnenprüfung absolviert. Nach dieser Ausstellung wussten wir, dass wir gemeinsam weitermachen wollten. Ivet studierte zu der Zeit noch Management in New York. Als sie nach Zagreb zurückkam, haben wir auch sie überredet.
Was war Ihre erste persönliche Begegnung mit Kunst?
N.I.: Ich wuchs in einer Arbeiterfamilie auf, und meine Eltern nahmen mich oft zu Ausstellungen mit, weil sie „gute“ sozialistische Arbeitereltern waren und die Kultur ein bedeutsamer Teil ihres Lebens war. Ich erinnere mich noch heute an die erste Ausstellung, die ich gesehen habe. Ich war vielleicht 15 Jahre alt, in der Nähe meiner Schule wurden Meisterwerke aus der Berliner Nationalgalerie ausgestellt. Ich hielt jeden Tag auf dem Heimweg dort an, um sie zu bewundern. Im darauffolgenden Sommer war ich zum ersten Mal bei der Biennale in Venedig. Dort wurde mir klar: In dem Bereich will ich arbeiten!
Frau Sabolović, welche erste Ausstellung blieb Ihnen in Erinnerung ?
S.S.: Als ich zwölf Jahre alt war, nahmen mich meine Eltern zu einer Malewitsch-Ausstellung im Museum für zeitgenössische Kunst in Zagreb mit. Ich weiß noch, dass ich danach eine Million Fragen hatte. Was war das? Was erzählen diese Bilder? Ich wollte alles darüber erfahren. Später studierte ich Kunstgeschichte und arbeite als Kunstkritikerin.
„Es ist nicht notwendig, dass wir jedes Detail gemeinsam diskutieren.“
Sie arbeiten im Kollektiv. Hat jede klar definierte Aufgabenbereiche, oder wird jeder Prozess gemeinsam entschieden?
I.C.: Wir haben keine Arbeitsteilung festgelegt. Es ist nicht notwendig, dass wir jedes Detail gemeinsam diskutieren, strategische Entscheidungen treffen wir aber schon im Konsens. Wenn die Sache dann im Gange ist, teilen wir die Aufgaben auf.
Teilen Sie auch das Honorar?
N.I.: Ja, wir teilen. Alles, was wir verdienen, legen wir auf den Tisch und teilen es zu gleichen Teilen auf. Das ist gewissermaßen die Voraussetzung dafür, dauerhaft gut zusammenzuarbeiten. Und klar, manchmal ist man frustriert, weil man für ein Projekt „wie ein Pferd“ gearbeitet hat, wie man bei uns in Kroatien sagt, und trotzdem alle im Team denselben Anteil bekommen. Am Ende gleicht ist es aber immer ausgeglichen.
„Der Bekanntheitsgrad und die Erfahrung einer Künstlerin sollten keinen Einfluss auf deren Bezahlung haben.“
Faire Bezahlung für Kunstschaffende ist ein sehr wichtiges Thema für Sie. Was bedeutet „fair“ in Zahlen?
N.I.: Wir können noch keine konkreten Zahlen nennen. Auch im sozialdemokratischen Wien haben viele Leute noch immer keine stabilen Arbeitsplätze in Kunstinstitutionen. Kreative beuten sich selbst aus und werden ausgebeutet, sodass in dieser Branche jede irgendwie unterbezahlt ist.
Was erhält eine junge Künstlerin in der Kunsthalle für eine Ausstellung?
I.C.: Was wir in der Kunsthalle gerade etablieren, ist ein Modell, das eine Gleichbehandlung aller Künstlerinnen vorsieht. Es kommt natürlich auf die Art der Ausstellung an – manchmal werden alte Arbeiten gezeigt, manchmal wird originär etwas für die Präsentation entwickelt –, aber grundsätzlich sollten der Bekanntheitsgrad und die Erfahrung einer Künstlerin keinen Einfluss auf deren Bezahlung haben. Eine junge Kunstschaffende erhält dann für dieselbe Arbeit genauso viel wie eine bereits etablierte.
Wie hat das die Kunsthalle mit den Honoraren für Künstlerinnen bisher gehandhabt?
N.I.: Ich kann nicht für die bisherige Handhabung in der Kunsthalle sprechen, aber im Allgemeinen war das System bis dato so organisiert, dass Künstlerinnen von einer Galerie vertreten wurde. Diese kümmerte sich um den Verkauf, und das Marketing sorgte dafür, dass jene von den Institutionen wahrgenommen werden. Die Galerie war bisher allein dafür zuständig, ihre Künstlerinnen auf den Kunstmarkt einzuführen. Wir glauben, dass dies nicht das einzige System sein sollte, wie Kunstschaffende Geld generieren können oder sollten.
Wie können Kunstschaffenden sonst Geld lukrieren?
N.I.: Kunst hat einen viel größeren Raum in der Gesellschaft verdient und kann nicht allein über den Markt bewertet werden. Viele Städte in den Niederlanden, und auch die Stadt Berlin, haben kürzlich Berechnungen erstellt, wie viel für welche Art von künstlerischer Arbeit und für welche Dauer einer Ausstellung bezahlt werden sollte. Wir sind daran interessiert, ebenfalls ein solches System für Wien zu entwickeln.
„Was zeitgenössische Kunst leisten soll, ist die Eine-Million-Dollar-Frage.“
Kunstgalerien für zeitgenössische Kunst gibt es wie Sand am Meer, jede will anspruchsvoller, intellektueller und exklusiver sein als die anderen. Muss das im Jahr 2020 immer noch so sein? Ist das System Galerie, wie es bisher funktioniert, nicht obsolet?
I.C.: Was zeitgenössische Kunst leisten soll, ist die Eine-Million-Dollar-Frage. Es ist wichtig, dass Kunst in einen Dialog tritt und versucht, so viele Menschen wie möglich zu erreichen. Aber andererseits gilt es auch, die Balance zu halten: Kunst hat nun mal einen gewissen intellektuellen Anspruch. Sie soll Fragen aufwerfen, die nicht bequem sind. Kunst will mit Sorgfalt, Geduld und Konzentration konsumiert werden. Es ist ihre Aufgabe, ständig zu versuchen, verschiedene Ansätze neu zu verhandeln, und sie darf auch manchmal daran scheitern.
Was geschieht, wenn die Kunst diesen hohen Anspruch nicht mitbringt?
I.C.: Hat man diesen Anspruch an die Kunst nicht, kommen am Ende Blockbuster-Shows heraus. Nicht, dass ich was gegen diese hätte, aber wenn wir nur Ausstellungen produzieren, die niemanden herausfordern, was ist dann der Mehrwert?
Was soll Kunst können?
N.I.: Es lastet immens viel Druck auf der Frage, was Kunst sein soll und wie man die Grenze zwischen „hoher“ und „niedriger“ Kunst überwinden kann – was die Kunst, historisch gesehen, aber ohnehin ständig selbst leistet: Was 1960 noch als Trash galt, wurde 1961 durch Andy Warhol zur „hohen Kunst“.
Diese Frage ist angesichts der geschlossenen Ausstellungshäuser momentan wohl aktueller denn je: Braucht Kunst – mit der zunehmenden Verfügbarkeit und Konsumierbarkeit im Netz – einen gewissen „Show-Effekt“, um die Besucherinnen wieder mehr an den Ort des Geschehens zu locken?
N.I.: Kunst war noch nie leicht zu konsumieren. Trotz einer gewissen Schnelllebigkeit heutzutage denke ich nicht, dass man zwingend Blockbuster-Shows braucht, um die große Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zu ziehen. Aber wie gesagt, nichts gegen Blockbuster-Shows!
„Nichts gegen Blockbuster-Shows!“
Was macht eine Ausstellung zu einer guten Ausstellung?
S.S.: Eine Ausstellung kann so vieles zur gleichen Zeit auf verschiedenen Ebenen leisten. Wir bemühen uns, einen Ausstellungsraum zu schaffen, der verschiedenste Positionen und Perspektiven aufnehmen kann und es im besten Falle schafft, einem großen Kreis von Menschen das Gefühl zu geben, dass es dort etwas für sie gibt.
Was könnte das sein?
S.S.: Vielleicht ist das, was sie in einer Ausstellung sehen und erfahren, später der Grund, warum sie ins Kino gehen, sich einer Demonstration anschließen oder sie selbst einen Ausstellungsraum mieten, um diesen zu bespielen, wer weiß!?
Was langweilt Sie an Ausstellungen?
N.I.: Unnötige Professionalität oder geschmacklose Opulenz! Mich langweilt auch „Elfenbeinturm-Kunst“, bei der die immer gleichen Hierarchien damit beschäftigt sind, ihre eigene Macht auszuweiten. Richtig genervt bin ich außerdem von politischer Ignoranz, die vorgibt, unpolitisch zu sein, aber, ohne sich der eigenen Privilegien bewusst zu sein, ignoriert, wer den Preis für ihre Kunst bezahlt. Die Liste ist lang, wie Sie sehen ...
... dann bitte fahren Sie gerne fort!
I.C.: In Ausstellungen nervt uns konkret auch, wenn Kunst gezeigt wird,
die ursprünglich in einem politischen Kontext verwurzelt war, für die
Ausstellung aber gewissermaßen „reingewaschen“ und „keimfrei“ gemacht
wurde. Diese Säuberung entdeckt man leider häufig bei historischen
Ausstellungen, aber durchaus auch, wenn zeitgenössische Kunst gezeigt wird.
Worüber braucht die Welt definitiv keine weitere Ausstellung?
N.I.: Vielleicht Ausstellungen über aktuelle Trends, kurzlebige Themen, die sich bald ohnehin wieder überholt haben, Trends, die für viele neu, aber für andere schon bald wieder alt sind.
„Richtig genervt bin ich von politischer Ignoranz.“
Welche Trends meinen Sie konkret?
N.I.: Ein Trend etwa ist die Sache mit den Kollektiven: Als wir vor zwanzig Jahren als Kollektiv begonnen haben, stand die kollektive Praxis definitiv im Vordergrund. Ab den 90ern waren solche Teams total im Trend. Heutzutage tun alle so, als wäre es etwas Exotisches, gemeinsam zu kuratieren, sei es jetzt für die documenta oder die Kunsthalle Wien – ein Trend, über den die Welt definitiv keine eigene Ausstellung mehr braucht. Für andere sind es vielleicht Themen wie „objektorientierte Ontologie“.
Ihr Vorgänger in der Kunsthalle, Nicolaus Schafhausen, legte seine Funktion drei Jahre vor Ablauf seines Vertrages zurück, aus politischem Protest, wie er meinte: Die Wirksamkeit der Kunst in Zeiten nationalistischer Politik sei zu begrenzt. Empfinden Sie das auch so? Könnte eine Institution wie die Kunsthalle nicht ein wichtiger Ort des Widerstands gegen nationalistische Politik sein?
I.C.: Wien unterstützt eine Vielzahl von Kulturinstitutionen finanziell sehr großzügig, womit diese ihr Programm auch umsetzen können. Das ist international eher eine Seltenheit geworden. Tendenziell zieht sich die Politik weltweit von der Subvention kultureller Institutionen mehr und mehr zurück – es ist zunehmend schwieriger, unbequeme Diskurse zu führen.
Kann die Kunst kritisch und unabhängig bleiben, wenn sie so stark öffentlich unterstützt wird?
N.I.: Die Kunst ist ein Raum der Freiheit, der historisch erst errungen werden musste. Diese Freiheit ist keine natürlich gegebene, wir sollten sie nicht als selbstverständlich ansehen. Und wenn ich sage „wir“, dann meine ich Westeuropa. Dieser Raum der Freiheit wird immer enger. Ich glaube nicht, dass Kunst per se ein Mittel gegen Nationalismus sein kann oder muss. Aber manchmal ist sie das, und dann ist es gut, dass sie gefördert wird. Manchmal ist Kunst aber auch etwas Kleineres, Intimeres, und das ist auch okay. Wir müssen einen Weg finden, diesen großen Raum der Freiheit zu schützen, damit auch kleinere Dinge darin aufblühen können.
„Die Kunst ist ein Raum der Freiheit, der historisch erst errungen werden musste.“
Welche Themen muss Kunst im Jahr 2020 ansprechen?
N.I.: Es gibt so viele brisante Themen unserer Zeit. Ich habe kürzlich eine Ausstellung in Berlin als Teil der Berlinale gesehen – eine Videoarbeit von Forensic Architecture, einer Gruppe, die ebenfalls in unserer aktuellen Ausstellung „… von Brot, Wein, Autos, Sicherheit und Frieden“ vertreten ist. Sie rekonstruierte den Moment im Jahr 2015, als etwa vierzig Menschen von einem Flüchtlingsboot im Mittelmeer ertranken.
Was erzählt dieses Kunstwerk?
N.I.: Eine der Frauen, die überlebt haben, hatte eine kleine Kamera am Handgelenk. Mit diesen Aufnahmen bildete die Gruppe das Geschehen nach und schaffte es, deutlich zu machen, dass das ganze Frontex-System ausschließlich dafür geschaffen wurde, Grenzen zu schützen – und nicht Leben. Die Wahrheit ist, auf hoher See sterben Menschen wegen jenen, die sie eigentlich retten sollten. Ein unglaublicher Film, es sind schreckliche Bilder. Aber zugleich stimmt es uns hoffnungsvoll zu sehen, dass Kunst auf so starke Art und Weise Wahrheit ausdrücken kann. Nicht immer muss Kunst das tun. Aber wenn sie es tut, macht es mich demütig.
Das ist sehr berührend!
S.S.: Zu dieser Geschichte möchte ich noch hinzufügen, dass Eyal Weizman, dem Leiter dieses Recherchekollektivs, kurz darauf die Einreise in die USA, wo er eigentlich einige Ausstellungen zeigen wollte, verweigert wurde, weil der Algorithmus der US-Botschaft ihn als „gefährliche Person“ identifiziert hatte. Sie boten ihm die Einreise nur an, wenn er bereit sei, alle Mitarbeiterinnen, Organisationen und Kooperationspartnerinnen aufzulisten, die möglicherweise den Algorithmus gefüttert hatten und somit ebenfalls „verdächtig“ sind. Das ist eine sehr beängstigende Geschichte, die das Spannungsfeld, das wir zuvor schon beschrieben haben, gut illustriert.
„Die Frage der Ausstellung ist, wie wir uns in Zukunft ein gutes Leben vorstellen.“
In Ihrer ersten Ausstellung in der Kunsthalle, „ ... von Brot, Wein, Autos, Sicherheit und Frieden“ geht es um den Traum vom guten Leben. Wie sieht es denn aus, das gute Leben?
N.I.: Es geht viel mehr noch um den Mythos vom guten Leben. Niemals werden wir alle in einem System leben, in dem jeder Mensch auf der Welt Brot, Wein, ein Auto, Sicherheit und Frieden haben wird. Selbst wenn dieses Leben vielleicht für uns, die wir hier zusammensitzen und dieses Interview führen, möglich ist, so ist es definitiv für einen Großteil der Menschheit nicht zu erreichen. Wir müssen diesen Mythos völlig aufgeben.
Eine eher pessimistische Haltung, die Sie da einnehmen. Was können wir uns stattdessen von einem guten Leben erhoffen?
N.I.: Die Frage der Ausstellung ist, wie wir uns in Zukunft ein gutes Leben abseits dieses Mythos vorstellen. Was passiert, wenn wir uns von diesen falschen Versprechungen verabschieden? Wie sieht eine Visualisierung der Zukunft aus, die nicht „gut“, aber auch nicht gleich apokalyptisch ist? Wir glauben, dass wir durch die Vorstellungskraft, die Kunst erzeugt, gemeinsam eine neue Zukunft denken können. Kunst wird dabei eine wichtige Rolle spielen.
Was brauchen Sie persönlich für ein gutes Leben?
I.C.: Fließendes Wasser, das ist ein Privileg und Luxus.
S.S.: Ich wollte jetzt eigentlich sowas sagen wie „ein Buch“, um ehrlich zu sein. Aber nachdem Ivet so etwas Bedeutendes gesagt hat, kommt mir das dumm vor.
I.C.: Keine Sorge, ich hätte auch „ein Buch“ gesagt.
Wenn ich nun folgende Begriffe nenne, was kommt Ihnen als Erstes in den Sinn? Brot?!
N.I.: Reis.
I.C.: Butter.
S.S.: Mladen Stilinović – einer der Künstler in unserer Ausstellung.
Wein?
N.I.: Grüner Veltliner in Wien natürlich.
I.C.: Gulasch.
S.S.: Poesie.
Autos?
I.C.: Stadt.
N.I.: Kindheit.
S.S.: Ausflug.
Sicherheit?
N.I.: Zuhause. Aber nicht im Sinne von „Homeland Security“.
I.C.: Zuhause.
S.S.: Der Begriff Sicherheit wurde so häufig in einem missbräuchlichen Kontext verwendet, dass mir automatisch das Wort „Kontrolle“ in den Sinn kommt – leider.
Frieden?
I.C.: Frieden bedeutet für mich eigentlich auch „Kindheit“. Der Zweite Weltkrieg ist vorbei, wir werden nie wieder Kriege erleben – in diesem Spirit wurden wir erzogen.
N.I.: Für alle.
S.S.: Für alle.
Vielen Dank für das Gespräch!