Die Kurz-Biografin

Die totale neoliberale Selbstoptimierung

Ein Schnellschuss, aber ein fundierter Schnellschuss. Nur wenige Wochen vor der Regierungsbildung in 2017 publizierte die Politikjournalistin und promovierte Historikerin Barbara Tóth gemeinsam mit Nina Horaczek das Buch Sebastian Kurz: Österreichs neues Wunderkind? Im Interview mit dem C/O Vienna Magazine zeichnet sie ein Psychogramm des jüngsten Staatsoberhauptes der EU. Wie tickt der neue österreichische Bundeskanzler und sein Umfeld? Wer zieht wirklich die Strippen im Hintergrund? Was ist das Geheimnis seines Erfolgs, und was können wir von Kurz und seiner getreuen Entourage in Zukunft noch erwarten?

Text: Antje Mayer-Salvi

„Wie performe ich? Bin ich eh gut? Kurz ist die totale Kontrolle."

Antje Mayer-Salvi: Bist Du Sebastian Kurz persönlich begegnet?

Barbara Tóth: Ja, mehrfach. Ich habe mit ihm in den vergangenen Jahren am Rande von Veranstaltungen immer wieder gesprochen und geplaudert. Ich hatte die Gelegenheit, ihn etwa bei einem bilateralen Besuch in Slowenien zu besuchen. Beim Rückflug saßen wir die ganze Zeit nebeneinander und unterhielten uns. Für das Buch selber wollte er allerdings nicht mit Nina Horaczek und mir sprechen. Inzwischen wissen wir auch warum: Im Februar erscheint bei Heyne eine autorisierte Biografie, geschrieben von Paul Ronzheimer, Chefreporter im Politikressort der BILD-Zeitung, ähnlich alt wie Sebastian Kurz (Jahrgang 1985, Anm. d. Red.). Unser Projekt konnte er nicht autorisieren und steuern. Was sollte er sich da noch mit uns hinsetzen?

Ist Kurz so charismatisch und einnehmend, wie seine Fans behaupten?

Dieses Charisma, das ihm viele nachsagen, konnte ich nicht entdecken. Er ist nett, er hört gut zu, er ist höflich. Dieser Besuch in Slowenien, als frisch gekürter Außenminister, bei dem er von hohen Beamten des Außenressorts und engen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern begleitet wurde, war interessant. Es gelingt ihm außerordentlich gut, seine Truppe zu fokussieren. Er versteht es, auch mit wesentlich Älteren, ein Teamgefühl zu erzeugen. Er saugt alle Informationen seiner Berater auf, nimmt alles an Tipps mit. Auf dieser Basis performt er dann. Damals lief alles wie am Schnürchen! Er ist ein perfekter Politdarsteller, der sehr gut beraten ist.

Hat Kurz auf Eurer Buch schon reagiert?

Nein, wir sind ihm seit der Publikation einmal begegnet, haben uns kurz die Hände geschüttelt und freundlich angelächelt. Das ist typisch für Sebastian Kurz, dass er Dinge, die vielleicht nicht zu hundert Prozent schmeichelhaft sind, nie aufwerten würde, indem er darauf reagiert. Da ist er Medienprofi genug. Er weiß, dass in medialen Zeiten wie diesen eine Reaktion, auch wenn es eine negative ist, Werbung wäre.

Zwei Wochen vor der Regierungsbildung, Anfang Dezember 2017, wurde Eurer Buch publiziert. Habt Ihr mittlerweile neue Erkenntnisse?

Unser Buch war ein Schnellschuss, aber ein fundierter Schnellschuss. Es ist binnen zweier Monate entstanden – auf Basis unserer langjährigen Erfahrung und großen Netzwerkes als Innenpolitik Journalistinnen. Was wir so nicht voraussagen konnten, war, wie radikal Kurz’ Regierungsprogramm werden würde. Es überwiegt das Neoliberale und die totale Ethnisierung sozialer Konflikte. Ich bin mir nicht sicher, ob man das nicht de facto schon in die Nähe einer Apartheits-Philosophie rücken kann. „Wieviel ist ein Kind wert?“ Antwort: „Je nachdem, welchen migrantischen Hintergrund es hat“. Ziemlich bedenklich. Über Kurz als Kanzler würden wir gerne ein neues Kapitel schreiben, was wir tun werden.

„Was wir nicht voraussagen konnten, war, wie radikal Kurz’ Regierungsprogramm werden würde."

Wer und was waren Eure Quellen für das Buch?

Für langjährige Innenpolitikjournalistinnen wie Nina Horazcek und mich brauchst du für tragfähige Gespräche Kontakte und Beziehungen in viele Richtungen ins politische System. Das waren Leute aus seinem bekannten Umkreis und natürlich auch seine Kritiker und Kritikerinnen. Unseren Quellen sichern wir selbstverständlich Anonymität zu. Dabei gibt es eine eiserne Regel: Check – Recheck – Doublecheck. Ein Gerücht ist in Wien schnell mal in die Welt gesetzt. Es muss von zumindest zwei anderen Quellen bestätigt werden.

Kurz’ Wahl zum Kanzlerkandidat, schreibt Ihr in Eurem Buch, wurde schon fünf Monate davor von einer fünfköpfigen Gruppe Getreuer generalsstabsmäßig vorbereitet. Thematisch und inhaltlich hatte man sich laut einem geheimen Papier, das dem Falter zugespielt wurde, wenig überlegt. Rächt sich das jetzt? Hat Kurz schlaflose Nächte angesichts der chaotischen Kommunikation der FPÖ-Ministerinnen?

Ich glaube, Kurz hat überhaupt keine schlaflosen Nächte. Der ist entspannter, als wir glauben. Das kennt er ja schon aus der rot-schwarzen Koalition, in der sich die SPÖ- und ÖVP-Minister gegenseitig nichts mehr geschenkt haben, weil alle so unzufrieden waren. Ich glaube eher, dass Strache schlecht schläft. Es wäre sein Job, seine Mannschaft zusammen zu halten.

„Kurz hat keine schlaflosen Nächte. Der ist entspannter, als wir glauben."

Ich bitte Dich um eine professionelle Einschätzung als Historikerin und erfahrene Politikjournalistin. Warum haben Teile der österreichischen Gesellschaft so viel Ressentiments gegenüber dem Fremden? Warum sorgt das „Autoritäre bei den Ösis für so viel Geborgenheitsgefühl“, wie Markus Binder (Attwenger) in seinem Kommentar kürzlich in Der Standard schreibt?

Ich glaube, das sind mehrere Phänomene, die zusammenkommen. Wir sind traditionell im Denken sehr strukturkonservativ, vor allem in Ostösterreich, wo sich die politische Macht konzentriert. Bei uns war die Entnazifizierung nicht so gründlich und offensiv wie in Westdeutschland. Man war ja offiziell das erste Opfer der Nazis. Dadurch war es möglich, dass die ehemaligen Autoritären, also die Nationalsozialisten 1955 die VDU, aus der später die FPÖ hervorging, gründen konnten. Dazu die kleine Größe des Landes und die abgelegene Lage im Europa. 
 

Das alles hat was mit dem Selbstbewusstsein der Gesellschaft gemacht. Man fühlt sich immer dann besonders stark, wenn man den anderen niedermachen kann. Kurz’ Großmutter, die ihn stark geprägt und auf deren Bauernhof in Niederösterreich er als Kind viel Zeit verbracht hat, ist übrigens Ungarin. Kurz’ Mutter versteht sogar noch Ungarisch.

Wird die „Freundschaft“ zwischen Basti und Bumsti halten?

Die FPÖ in der Regierung bedeutet ein höheres Maß an "Unkoordiniertheit" und Unprofessionalität, was wir schon von der FPÖ-Chaostruppe aus dem Jahr 2000 kennen. Dieses Jahr ist sozusagen politisch gelaufen. Alle sind mit den Vorbereitungen des EU-Ratsvorsitzes Österreichs beschäftigt. Der wirkliche Realitycheck dieser Koalition beginnt erst 2019. Und je mehr Kritik jetzt aus dem Ausland kommt, desto mehr schweißt die das zusammen. Das wissen wir aus den Nullerjahren. Die Sanktionen waren für Schüssel ein Geschenk.

Kurz hat also selbst einen migrantischen Hintergrund. Ist Kurz ein Reformkanzler?

Wir haben ihn überschätzt. Kurz hat im Wahlkampf im Grunde ja nichts Anderes gemacht, als der FPÖ die Wahlthemen wegzunehmen, sie salonfähig zu machen und mit einem höflichen, jugendlichen und feschen Gesicht zu präsentieren. Ich hätte mir schon ein großes Staatsreformprojekt erwartet und nie gedacht, dass Kurz sich bei großen Projekten – Stichwort Gesundheit und Soziales – von den Bundesländern doch so sehr reinreden lässt.

„Kurz wird uns länger bleiben, als uns lieb ist."

Bleibt Kurz kurz oder bleibt Kurz lang?

Ich glaube, er wird uns länger bleiben, als uns lieb ist. Das ist schon alles auf zwei Legislaturperioden angelegt ...

… weil er seine Arbeit machen und sie erfolgreich sein wird?

… weil er ein so gutes Team und Netzwerk besitzt, das, wenn’s nicht passt, noch mal so einen Wahlkampf hinlegen kann.

… und die Opposition momentan nicht gut aufgestellt ist?

Genau, weil sich die Opposition nach dem Ausfall der Grünen wieder neu aufstellen muss. Und – das muss man leider hinzufügen – weil der Zeitgeist seit 2015 in unserem Land und in Europa von rechts weht.

Wenn man jemanden persönlich so nah kommt, blitzt ja oft für einen vermeintlich unbeobachteten Bruchteil einer Sekunde, auch wenn jemand noch so kontrolliert ist, das wahre Gesicht hinter der Maske hervor. So etwas erlebt?

Kurz ist die absolute Kontrolle, auch wenn er den „IKEA-Kanzler“ erfüllt: legere, locker, per-Du und kumpelhaft mit den Regierungskollegen. Eine Stunde nebeneinander im Flieger ist ja eine relativ intime und nahe Situation, um noch mal an den Anfang unseres Gesprächs zurückzukommen. Sobald es tatsächlich privater oder umgänglicher wird, biegt Kurz aber sofort ab. 
 

So einen Moment, nach dem Du fragst, gab es im Wahlkampf und bei den Regierungsverhandlungen. In den Wahlkampfduellen konterte er zeitweise überheblich mit heruntergezogenen Mundwinkeln, da kam seine unglaubliche Selbstüberzeugung zum Ausdruck. Das ist nicht der offiziell kommunizierte Kurz. Und dann sieht man ihn bei den Koalitionsverhandlungen im Video einmal mit dem Kopf wackeln und blödeln. Offensichtlich macht er sich da über jemanden oder etwas lustig, so wie sich halt ein 31-jähriger, kinderloser Student in seinem Alter benimmt. Das war nett zu sehen, aber dieser Zug ist inzwischen bei ihm vollkommen verschüttet.

Im Wahlkampf war Kurz’ junges Alter kein Thema? Oder sind Berufs- und Lebenserfahrung – und die damit im besten Falle einhergehende „Weisheit“ – in unserer Start-up-Kultur keine Kategorie mehr, die zählt?

Keine Frage, der Mythos der Superhelden von Silicon Valley, die Mitte zwanzig Millionenunternehmen aufgebaut haben, prägen unsere Kultur und Werte. Das türkise Team hat schon sehr früh im Wahlkampf mit Meinungsumfragen abtesten lassen, was die Stärken und Schwächen des Spitzenkandidaten Kurz sind. Sein junges Alter war ein Schwachpunkt! Aber die Opposition hat diese Karte nicht gespielt. Er hat noch keine Familie gegründet, keinerlei berufliche Erfahrung außerhalb der Politik, keinerlei zusätzlichen beruflichen Fähigkeiten, nicht mal ein abgeschlossenes Hochschulstudium.

„Kurz ist zwar biologisch jung, aber in der Denke eher gefühlte 45+."

Das Verwegenste, was Kurz von sich Preis gibt, ist, dass er ein Morgenmuffel ist. Er bewegt sich offensichtlich völlig kontrolliert – immer der medialen Beobachtung gewahr – durch die Welt. Er zahlt ja auch einen eigenen Fotografen und einen eigenen Kameramann, die ihn auf Schritt und Tritt begleiten …

Seine Biografie ist sowas von gestanzt. Meiner Meinung nach ist er zwar biologisch jung, aber in der Denke eher gefühlte 45+. Nina Horaczek und ich haben ja viel über ihn gelesen, mit unzähligen Menschen geredet, aber man denkt sich nach einer Zeit: „Hat der nicht irgendwo auch einmal Blödsinn gemacht? Kurz reflektiert ständig „Wie komm ich an?“ Das ist ja auch eine Frage, die er Journalisten dauernd stellt: „Wie war ich?“ Er ist sozusagen extrem vertraut mit seinem medialen „Ich“.

Er checkt sozusagen permanent seine medialen „Likes“?

Ja, im Sinne: „Bin ich eh gut?“ „Wie steht’s mit meinen Umfragewerten?“ „Wie performe ich gerade?"

Er fragt Journalistinnen wie Dich tatsächlich, „Wie fanden Sie mich heute“?

Mich nicht, weil wir kein amikales, sondern ein korrektes und sachliches Verhältnis pflegen. Aber ich weiß von Kollegen und Kolleginnen und Boulevardblättern, die Sebastian Kurz näherstehen, dass es immer wieder gemeinsame Mittagessen gibt, wo man sowas dann eben bespricht. Er ist ein Teil der Generation Y par exellence, ein Kind dieser kurzen neoliberalen Phase, die Österreich in den Jahren 2000-2006 erlebt hat (da war Kurz 14 – 20 Jahre alt, Anm. der Redaktion). 
 

Seit seiner Jugend hat Kurz intus, dass er alles aus eigener Kraft schaffen muss. Leistung bringen, für sich selbst verantwortlich sein, nicht bedürftig sein. Wenn man es nicht geschafft hat, war man halt nicht gut genug – ein Ethos der totalen neoliberalen Selbstoptimierung, die seine Biografie und Performance ganz stark abbildet. Es geht immer um ihn und sein Ding, und da gibt es quasi „Jünger“, die ihm dabei helfen. Ein solidarisches oder soziales Konzept gibt es dabei nur, wenn es seiner Karriere nützt.

„Mit Boulevard-Blättern gibt es immer wieder gemeinsame Mittagessen!"

Gibt es etwas, was Du an Sebastian Kurz bewunderst?

Nachdem ich mit Thomas Hofer (Wiener Politikberater und Lobbyist, Anm. der Red.) auch einige Bücher über Wahlkämpfe und Wahlkampagnen geschrieben habe, kann ich sagen, ich erkenne an, dass Sebastian Kurz eine unglaublich gute öffentliche Vermarktung seiner selbst betreibt…

… die geht aber auf das Konto von Kampagnen-Experten Philipp Maderthaner und Pressesprecher Gerald Fleischmann …

Sebastian Kurz lässt aber zu, dass diese Vollprofis agieren können. Er lässt sie machen und vertraut ihnen, das ist, wie wir von anderen Parteichefs wissen, die glauben, alles selbst bewerkstelligen zu können, auch nicht so einfach. Aus marketingtechnischer Sicht hat Kurz wirklich einen der besten Wahlkämpfe der letzten 20 Jahren hingelegt.

Das ist ein Kompliment und eine Beleidigung zugleich!

Gut, mich hat auch fasziniert, wie Kurz es geschafft hat, surfen zu lernen. Da braucht man wirklich viel Geduld (lacht).

Allerdings nicht in Kalifornien, sondern am ÖVP-Strand an der Alten Donau in Wien! Kurz’ Karriere ist brav, straight und spießig und deswegen erfolgreich?

Sein Leben ist die ÖVP. Er ist im Grunde – trotz seiner jungen Jahre – ein bereits sehr erfahrener Politiker. Er hat praktisch alle Programme der ÖVP-Talenteschmiede durchgemacht. Wenn man Headhunter oder Wissenschaftsforscher fragt, wie sich Exzellenz zeigt, dann meinen jene, dass das Wichtigste die Brüche in der Biografie seien. Die fehlen Kurz. Er war seit Jugend an immer beim gleichen Verein, der ÖVP. Eine Karriere nach seiner Zeit als Bundeskanzler, außerhalb des politischen Biotops? Das ist für mich schwer vorstellbar.

Da gab es aber einen Moment …?

 … der Moment, kurz bevor er Staatssekretär für Integrationsfragen wurde, als er offenbar aus der Politik aussteigen wollte. Da war er mit dem Studium schon so weit, dass er gesagt hat „Okay, ich mache jetzt noch Praktika, gehe ich in eine Wirtschaftskanzlei oder in ein Industrieunternehmen.“ Da gab es eine Weggabelung! Dann kam der Anruf von Spindelegger und es ist die Politik geworden, oder besser gesagt: geblieben!

Lügt Kurz oft?

Er zieht immer wieder Expertinnen hinzu und versucht seine Argumente durch wissenschaftliche Arbeiten abzusichern. Er versteht es manchmal sehr gut, Fakten in seinem Sinne zu interpretieren. Die sogenannte „Aslan-Studie“ über islamische Kindergärten, hat er in seinem Sinne, der Falter hat das nachgewiesen, umformulieren lassen. Das geht bis zu biografischen Details: Er ist im Wiener Arbeiterbezirk Meidling aufgewachsen, aber kein Arbeiterkind, sondern Sohn des klassischen Mittelstands. Solche Methoden kennen wir aber leider von allen Politikerinnen und Politikern.

„Kurz muss nicht netzwerken, er ist das Netzwerk!"

Bestimmt Kurz wirklich oder ziehen die Strippen andere?

Kurz ist durchaus auch Marionette. Wir dürfen sicher nicht so naiv sein und glauben, dass alles, was jetzt passiert, nur auf Kurz zurückzuführen ist. Es geht um die Machteinteilung in Österreich. Da geht es um Interessen – und Lobbying-Gruppen. Das ist Wort für Wort dem Regierungsprogramm abzulesen. Die Immobilienwirtschaft hat viel gespendet (z.B. Dorit und Georg Muzicant, Anm. d. Red.), nun steht im Regierungsprogramm, dass das Verbots des Lagezuschlages in Gründerzeitvierteln, aufgehoben werden soll. Das kann eine Verteuerung der Mieten um bis zu 2,5 Euro pro Quadratmeter bedeuten. Das wird uns noch sehr beschäftigen in Zukunft.

Auf wen hört der aktuelle Bundeskanzler neben seinen engsten Beraterinnen?

Sebastian Kurz ist mit allen Ex-ÖVP-Chefs in Kontakt. Der weiß schon, wem er was schuldig ist. Und er hat seine Kontakte in Richtung Wirtschaft und Industrie schon als Staatssekretär für Integration sukzessive aufgebaut. Er hat sein Netzwerk genau dort, wo ein Interesse besteht, dass die ÖVP weiterhin in der Regierung sitzt, also in allen sozialpartnerschaftlichen Gremien und in quasi allen Lobbying-Gruppen.

Wie netzwerkt Kurz in seinem Umfeld?

Im Job, beim Sport, bei Veranstaltungen. So hart arbeitend, körperbewusst, gesund, sportlich, schlank und stilistisch legere, mit offenen Hemdkragen und Jeans sich alle nebst ihren ebenso selbstoptimierten weiblichen – wie männlichen - Begleitungen geben, sie trinken, rauchen und amüsieren sich auch gemeinsam in den besseren Clubs der Stadt. Aber als ehemaliger Chef der jungen ÖVP, Präsident der Parteiakademie, ÖVP-Parteivorsitzender sitzt Kurz in der Partei-Matrix an mehreren Schlüsselstellen und sein engstes Umfeld besetzt die entscheidenden Posten. Kurz muss nicht netzwerken, er ist das Netzwerk!

Ich danke Dir herzlich für das Gespräch und Deine Einschätzungen!

Über Barbara Tóth

Die promovierte Historikerin, Buchautorin und leitende Redakteurin der Stadtzeitung Falter Barbara Tóth (*1974), Mutter zweier Söhne, ist auch eine, „die wie Sebastian Kurz früh begonnen hat, ihre Karriere zu planen“. Als Teenager schrieb sie für die Schülerzeitung und nach einem Praktikum bei der österreichischen Wochenzeitung Profil mit Anfang 20 („Das war mein großes journalistisches Vorbild damals!“) schrieb sie ein paar Jahre für die Frankfurter Allgemeinen Zeitung in Berlin und publizierte im Rahmen eines Milena Jesenská Studium ein Buch über eine Klasse, die 1989 in Prag maturiert hatte. 

„Mich hat immer die Frage beschäftigt, was gewesen wäre, wenn meine Eltern nicht nach Wien gekommen wären.“ 
Tóth ist Tochter einer Tschechin und einem aus der Slowakei stammenden Ungarn. Für ihre Eltern war Deutsch immer eine Fremdsprache, umso mehr war die Beschäftigung mit der deutschen Sprache von klein auf ein Thema in ihrer Familie. Sie erinnert sich daran, dass das deutsche Wörter- und ein Synonymwörterbuch immer griffbereit neben dem Fernseher lagen. Nicht das Schreiben sei für sie „Ankommen“, sondern das Geschichten über Menschen erzählen, über Karl von Schwarzenberg, Margit Fischer und jetzt eben über Sebastian Kurz. Irgendwann nur noch fiktive Literatur zu schreiben, sei ihr großes Ziel. 

 

Kinder, Kraftort und Kohle
 

Bevor sie beim Falter landete, war sie vier Jahre beim Wochenmagazine Format für die Innenpolitik zuständig und danach ebenso lang bei der Tageszeitung Der Standard. Gibt es einen Moment in ihrer Karriere, über den sie nachträglich lachen kann? „Ich habe vor ein paar Jahren im Falter die sehr talentierte Sonja Wehsely als zukünftige Wiener Bürgermeisterin ausgerufen. Das war wohl etwas nassforsch von mir.“

Und was tut Tóth, wenn sie nicht gerade Quellen trifft, recherchiert oder schreibt? Spaß mit den Kindern und Freunden haben, sporteln und auf den Neusiedlersee, ihren „Kraftort“, blicken: „Die Weite und die wechselnden Licht- und Farbstimmungen des Wassers und Himmels üben auf mich eine unglaubliche Faszination aus.“ 

Gibt es Dinge, die sie ärgern? „Ich habe mich offensichtlich zu spät um eine Eigentumswohnung gekümmert. Jetzt kann ich – obwohl ich gut verdiene – mir in Wien wahrscheinlich keine mehr leisten.“ Sie fürchte, sie sei schon Teil der Abstiegsgesellschaft, die der Soziologe Oliver Nachtwey in seinem gleichnamigen Buch beschreibt. Die Angst vor dem Abstieg. Da schließt sich am Ende unseres Gesprächs wieder der Kreis. Eine Drohung, die sich rechte Politiker wie Sebastian Kurz in Europa zu Nutze machen. Man wird sehen, wie viele Wählerinnen und Wähler ihr in Zukunft standhalten.


Eine ausführliche Biografie und Bibliografie nebst der Auflistung aller journalistischen Auszeichnungen von Barbara Tóth finden Sie hier

Nina Horaczek, Barbara Tóth: Sebastian Kurz: Österreichs neues Wunderkind? Residenz-Verlag, Salzburg 2017

Oliver Nachtwey: Die Abstiegsgesellschaft. Über das Aufbegehren in der regressiven Moderne. Edition Suhrkamp, Berlin 2016

www.sebastian-kurz.at/magazin/das-kommt-mit-sebastian-kurz
 

Der Porn-Aktivist

Text: Lena Stefflitsch

Wie prüde bist Du eigentlich, Österreich? Diese Frage stellt sich nicht zuletzt deswegen, weil die FPÖ ankündigte, die Subventionen des ersten alternativen Porn Film Festival Vienna, das am 1. März beginnt, zu prüfen. Die Partei wolle sichergehen, dass keine Steuergelder in die Pornoindustrie fließen. Wir haben den Veranstalter Yavuz Kurtulmus zu einem privaten Gespräch über Aktivismus, den politischen Rechtsruck und sein Leben als Türke, „der offen schwul und Moslem ist“, befragt. 

Die Politische

Text: Shilla Strelka

In den 90er-Jahren ist Elke Silvia Krystufek mit ihren Performances und Selbstporträts durchgestartet. Immer wieder hat sie mit dem normativen Blick des Betrachters gebrochen und gegen Tabus aufbegehrt. Dass die Künstlerin, die seit einigen Jahren auf ihrem Mittelnamen Silvia besteht, sich mittlerweile auch Männerakten und einer feministischen Aufarbeitung der islamischen Welt widmet, verwundert wenig, hat sie doch nie aufgehört, nach gesellschaftlichen Brennpunkten zu fahnden. Wir trafen sie zu einem Gespräch.

Die Löwin

Text: Lisa Lugerbauer

Die Publizistin RUBINA MÖHRING verkörperte die Pressefreiheit wie keine andere Person. Als Präsidentin von REPORTER OHNE GRENZEN ÖSTERREICH setzte sie sich jahrelang bis zu ihrem Tod im Jahr 2022 dafür ein, dass ihre Kolleginnen gefahrlos und unabhängig ihre Arbeit tun können. Wir haben sie vier Jahre vor ihrem Tod zum Interview getroffen. Sie ist furchtlos, kritisch und vor allem eines: beharrlich!