Von durchzechten Nächten und Spitzendeckchen
Seit gut über einen Jahr leitet Lilli Hollein nun das MAK. Eine Art Bootcamp für Museumsdirektorinnen seien die vergangenen Monate mit Lockdown, Ukraine-Krieg und Energiekrise gewesen. Anlässlich der großen Ausstellung The Fest. Zwischen Repräsentation und Aufruhr (noch bis 7. Mai 2023) sprechen wir mit ihr über durchgemachte Nächte, die Wedding-Planner des Barocks, und warum Spitzen- und Klöppelarbeiten die Hermès-Taschen ihrer Zeit waren.
„Mein erstes Jahr war eine Kumulation von Albträumen.“
Antje Mayer-Salvi: Was macht eine gute Party aus?
Lilli Hollein: Eine gute Feier ist liebevoll und detailreich gestaltet, und sie ist dann vollkommen, wenn alle zusammenhelfen. Wenn die konzeptuelle Hülle zu steif und streng ist, kann das aber auch ins Gegenteil kippen. Auf der anderen Seite wissen wir beide nur zu gut, dass die besten Partys oft spontan entstanden oder erst am frühen Morgen vollkommen wurden. Dann, wenn man gemeinsam den sprichwörtlichen Rest vom Fest vernichtet hatte und niemand heimgehen wollte ...
... ein schöner Zustand des zeitlosen Seins. Gab es Feste, an die Du Dich besonders gerne erinnerst?
Oh, da gab es viele! Besonders gut in Erinnerung sind mir die wilden Feiern diverser Architekturbüros in Wien mit teils beachtlichem Gestaltungsaufwand und natürlich das eine oder andere Fasching-Gschnas, die ja seit einiger Zeit eine Art Revival erleben.
Darf ich fragen, als was Du damals gegangen bist?
Bei einem Faschingsfest der Vienna Design Week reüssierte ich als Kaffeeautomat.
„Ziemlich abgefahren!“
Ich sehe, angewandtes Design liegt Dir im Blut. In der aktuellen Ausstellung „The Fest“, welche die Gastkuratorin Brigitte Felderer mit Olga Wukounig und Anne-Katrin Rossberg auf Deine Einladung hin zusammengestellt hat, wird vor allem auch das institutionelle Fest beleuchtet. Zwei Drittel der Ausstellungsobjekte stammen aus der Sammlung des MAK. Gibt es ein gezeigtes Stück, das Dich persönlich besonders beeindruckt?
Wir spannen einen weiten Bogen vom Barock bis in die Gegenwart, von herrschaftlichen Bällen über den Maiaufmarsch bis ins Berliner Berghain. Einzigartig finde ich persönlich das Buch des Pritschenmeisters Heinrich Wirri mit den Entwürfen für einen Habsburgischen Hochzeitszug, an denen auch der Renaissance-Maler Giuseppe Arcimboldo mitgearbeitet haben soll. Die sind ziemlich abgefahren.
Sie dokumentieren einen mehrwöchigen Festakt mit opulenten Kostümumzügen, Feuerwerken, Turnieren ...
... absolut dekadent, aber auch erstaunlich experimentierfreudig und kunstsinnig. Salopp würde man das heute als „irre“ bezeichnen. Das Volk war natürlich bestenfalls Zaungast. Die mehrtägigen Festivitäten wurden von einem Pritschenmeister, dem historischen Vorbild eines Wedding-Planners, inszeniert. Der Erzherzog musste für diesen Exzess sogar Schulden aufnehmen.
„Die Tage sind dicht.“
Du bist nun über ein Jahr Generaldirektorin des MAK. Die erste weibliche Leitung, die diesem Haus vorsteht, unglaublich, aber wahr. Wie sieht denn im Jahr 2023 der Alltag einer Museumsdirektorin aus?
Der Alltag im Direktorat eines Museums hat sich in den vergangenen 150 Jahren wohl nicht groß geändert. Vieles ist allerdings hinzugekommen, was nicht zum Kern der wissenschaftlichen Arbeit gehört. Neben dem Haupthaus am Stubenring gibt es ja noch mehr MAK-Standorte: das Geymüllerschlössel, das Josef-Hoffmann-Geburtshaus im tschechischen Brtnice, das MAK Center mit dem Schindler House in Los Angeles, den MAK Tower im Arenbergpark im dritten Bezirk. Letzterer ist ein Flakturm, in dem sich Teile unseres Depots befinden.
Peter Noever führte das Haus ein Vierteljahrhundert, 25 Jahre lang. Die Zeiten ändern sich: Die Direktion und Geschäftsführung sind mittlerweile gänzlich weiblich?
An meiner Seite stehen noch Teresa Mitterlehner-Marchesani, als wirtschaftliche Geschäftsführerin, und Martina Kandeler-Fritsch, als stellvertretende wissenschaftliche Geschäftsführerin und Prokuristin. Ich bin als Generaldirektorin für über 160 Mitarbeiterinnen und über 900.000 Objekte und Druckwerke verantwortlich. Meine Tage sind ziemlich dicht und sehr abwechslungsreich. Ich nehme an einer Vielzahl an Jour fixes mit diversen Abteilungen des Hauses teil und erledige administrative Arbeiten. Ich muss mich um Leihgaben kümmern und Projekte vorantreiben, die das Team und ich uns vorgenommen haben. Das Haus nach außen zu vertreten, gehört auch dazu, und ja, eine meiner Aufgaben ist es, Geld von Sponsorinnen und Spenderinnen aufzustellen.
Dein Vater Hans Hollein war ein berühmter Architekt, Designer und Künstler, Deine Mutter Helene Modezeichnerin. Seit Deiner Kindheit bist Du es gewohnt, von Kunst und Kreativem umgeben zu sein, dass Öffentliches und Privates sich vermischen. Auch Dein älterer Bruder Max ist Museumsdirektor, er leitet das Metropolitan in New York, das größte Kunstmuseum der USA. Was sagt Deine jugendliche Tochter zu diesem neuen Leben?
Ich habe das Glück, dass sich meine 15-jährige Tochter Ada für Kunst interessiert und sich fast überall mitschleppen lässt (lacht). Für sie ist dieses Leben positiv besetzt – wie es für meinen Bruder Max und mich auch war, auch wenn ihre Klassenkameraden das wohl zuweilen nicht nachvollziehen können. Meinem Vater war es wichtig, seine Familie auf Reisen mitzunehmen. Wir wurden von unseren Eltern im Stechschritt durch den Prado geschliffen, sind durch den Matsch so mancher großen Baustelle meines Vaters gestiefelt und ziemlich vielen interessanten Menschen begegnet.
Was machen die Holleins, wenn sie privat sind?
Mein Bruder und ich haben uns immer gut verstanden und tun es nach wie vor. Wenn Max und ich telefonieren oder Weihnachten gemeinsam verbringen, reden wir nicht vorwiegend über unsere Jobs, sondern über unsere Nichten und Neffen und andere private Dinge. Mein Vater arbeitete wahnsinnig viel, aber seine Familie war ihm so wichtig wie uns. Wir aßen mit ihm gewöhnlich zu Abend. Er kehrte dann aber oft wieder zurück ins Büro, wo er nicht selten bis in die frühen Morgenstunden werkte. Sein Atelier lag ums Eck unserer Wohnung im vierten Bezirk, in der ich übrigens bis heute wohne.
„Unsere Mutter war immer für uns da.“
Vergessen wir nicht, über Deine Mutter zu reden, die mit 53 Jahren viel zu früh verstorben ist. Wie wichtig war sie für Dich?
Sie besaß eine große Sensibilität für Menschen. Sie hatte Humor und ein gutes Auge für Kunst. Nach der Heirat mit meinem Vater übte sie ihren Beruf als Modezeichnerin und Designerin allerdings nur noch sporadisch aus. Sie war immer für uns da. Max und ich sind sehr behütet aufgewachsen. Als sie starb, war ich 25 Jahre alt. Jetzt lebe ich schon mein halbes Leben ohne sie, aber ich spüre sie. Ich bin sehr durch sie geprägt.
Danke, dass wir ein wenig über Dich privat erfahren durften. Zurück zum MAK, mache uns neugierig! Wie kann ich meine jugendliche Tochter für das angewandte Design des Rokokos oder die ausgestellten Spitzen- und Klöppelarbeiten begeistern?
Diese Spitzen, unglaubliche Kunsthandwerke, fragil und komplex, erzählen uns viele Geschichten. Sie waren früher das, was heute vielleicht die Handtaschen von Hermès sind: Statussymbole. Mit ihnen konnte man Wohlstand zeigen. Ihre Herstellung ermöglichte Frauen eine eigenständige Erwerbstätigkeit, sie sind aber auch Zeugnisse prekärer Arbeitsbedingungen. Auch die Geschichte der Frau, die einen großen Teil unserer Spitzensammlung im MAK gestiftet hat, ist interessant. Bertha Pappenheim war eine österreichisch-deutsche Frauenrechtlerin, Gründerin des Jüdischen Frauenbundes sowie eines Wohnheims für „gefallene Mädchen“. Bekannt wurde sie darüber hinaus als die Freud-Patientin „Anna O.“. Denken wir an den DIY-Trend, mathematische Ordnungen oder Praktiken des Co-Workings: Das Thema Spitzen ist hochaktuell, man muss nur die Perspektive ändern.
„Aktivismus ist etwas, was mich brennend interessiert.“
Apropos hochaktuell. Am MAK-Eingang wurden meine Taschen untersucht. Ich nehme an, das hat was mit den Klimaaktivistinnen zu tun, die Kunstwerke beschütten oder sich an deren Rahmen ankleben, um auf ihre Forderungen aufmerksam zu machen. Wie stehst Du zu den Protesten, wie Deine jugendliche Tochter Ada?
Das Thema „Aktivismus im Museum“ hat meine Tochter leidenschaftlich aufgegriffen und es war sogar Inhalt einer ihrer Arbeiten in der Schule. Die 50-jährige Mutter und 15-jährige Tochter sind sich einig: Das Ansinnen der Aktivistinnen ist richtig. Wir müssen Druck machen, wenn wir den Klimakollaps noch in Griff bekommen wollen. Die Klimakrise wird ja auch im MAK immer wieder, etwa im Design Lab, behandelt. Aktivismus ist etwas, was mich brennend interessiert. Ich kann verraten, dass wir mit dem Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt eine Ausstellung zum Thema Protest und Architektur gestalten werden. Es gab und gibt intelligente, kreative Formen des Widerstands. Da sind Ada und ich uns einig.
Gibt es etwas, was Dir Angst macht?
Mein erstes Jahr war eine Art Bootcamp, eine Kumulation von Albträumen einer Museumsdirektorin. Im Herbst 2021 startete ich im Lockdown: ein Haus mit 160 Mitarbeiterinnen, die ich kennenlernen wollte, die aber vorwiegend im Homeoffice waren. Als wir die Ausstellung „Chernobyl Safari“ mit der russischen Künstlerin Anna Jermolaewa aufgebaut haben, brach der Ukraine-Krieg aus.
Jetzt haben wir eine Energiekrise und eine drohende Inflation ...
... die Heiz- und Stromkosten für unser Haus sind enorm. Aber: Ich bin unerschütterlich optimistisch. Es kann eigentlich nur besser werden! Die Stimmung im Haus ist wirklich gut und das macht mir große Freude.
Danke für das Gespräch!
Die Ausstellung The Fest. Zwischen Repräsentation und Aufruhr ist noch bis 7. Mai 2023 zu sehen.