Die Manteros

Wenn einer läuft, laufen alle.

Die illegalen Straßenverkäufer werden in Spanien Manteros genannt. Eine Personenbezeichnung, die sich aus ihrer ständigen Begleiterin, einer Manta, ableitet, der weißen Decke, auf der sie ihre Waren ausbreiten und die sich in Sekundenschnelle in einen tragbaren Beutel umformen lässt. Als Top Manta bekannt findet der informelle Verkauf von Fake-Luxusartikeln auf öffentlichen Plätzen in vielen Teilen Spaniens statt. Anders als in Barcelona, wo die Manteros sogar eine Gewerkschaft und ein eigenes Modelabel gegründet haben, erschwert das hohe Polizeiaufgebot im Zentrum Madrids, sich den Lebensunterhalt zu verdienen. Wer sind die „schwarzen“ Männer mit den weißen Säcken? Uns haben die Manteros aus ihrem Alltag erzählt.

„Freiheit und Liebe sind wirklich schön. Keines von beiden habe ich in Spanien gefunden.“ – Amador F.

Amadou F.

Lena Stefflitsch: Wann hast Du mit Top Manta, also dem Verkauf von gefälschten Markenartikeln, auf der Straße angefangen?

Amador F.: Ich arbeite seit sechs Monaten als Mantero. In Senegal war ich Designer und Schneider. 

Ist Dir Luxusmode wichtig?

Kleidung ist nicht wichtig, doch ich liebe Mode schon, aber andere. Mein liebstes Stück ist ein Rasta-Outfit, das ich selbst entworfen und genäht habe. Ich liebe Reggae, mehr als jede andere Musik.

Was empfindest Du als schön?

Freiheit und Liebe sind wirklich schön. Keines von beiden habe ich in Spanien gefunden. Ich möchte einfach jemanden treffen, den ich so sehr liebe, dass ich eine Familie gründen möchte –ich bin nicht mehr so jung, ich bin jetzt 32. Mein Leben besteht nur aus Stress. Ich möchte, dass es meinem Kind eines Tages besser geht als mir, dass es zur Schule geht und ein ruhiges Leben führt.

Was bedeutet Top Manta für Dich?

Die Leute wissen nicht viel über Top Manta und die Manteros. Viele sehen es auch gar nicht ger-ne, dass wir auf der Straße verkaufen. Sie denken Top Manta wäre von der Mafia gesteuert, die die Verkäufer auf den Platz schicke. Aber das ist nicht so. Jeder Mantero besorgt sich seine Wa-ren mit dem eigenen Geld und versucht, sie dann wieder zu verkaufen. 

Was verkaufst Du?

Taschen, aber davor habe ich Fußball-Shirts verkauft, von Real Madrid, Atlético, Bayern Mün-chen, Paris Saint-Germain … Aber die Shirts sind so teuer — wenn die Polizei dir deine Ware ab-nimmt, verlierst du viel Geld. Ein Sack davon kostet 900 Euro und man versucht, ein Trikot für 25 oder 20 Euro zu verkaufen, denn eines kostet zehn Euro im Einkauf. Das sind nur zehn Euro mehr – das ist nichts dafür, dass du 25 Kilo schleppst und vor der Polizei wegrennst. 

Wie viel verkaufst Du an einem guten, wie viel an einem schlechten Tag?

Du weißt nie, wann es einen guten Tag geben wird. Im Moment geht das Top-Manta-Geschäft gar nicht gut. Man verkauft vielleicht ein oder zwei Taschen pro Tag. Damit kann man gerade essen, man muss aber auch noch die Miete zahlen. Früher dachte ich, dass in Europa viele Arbeiter gesucht werden. Jetzt sehe ich das anders. Ich glaube, viele Menschen sehen es nicht gerne, dass so viele schwarze Menschen in Europa leben. Viele geben uns auch die Schuld für so einige Probleme in Spanien, manche sogar für die Finanzkrise!

Wieso hast Du mit Top Manta begonnen?

Ich habe Top Manta nicht gewählt, sondern das System hat mich zu einem Mantero gemacht. Viele Menschen aus Senegal wissen nichts über Europa, bevor sie herkommen. Sie wohnen in einem kleinen Dorf und wissen gar nicht, was es bedeutet, das Mittelmeer mit einem kleinen Boot zu überqueren. 

Was war Dein gefährlichstes Erlebnis als Mantero?

Eines Tages, als ich auf der Einkaufsstraße Gran Vía arbeitete, kam die städtische Polizei auf Mo-torrädern. Ich rannte sicher zwei Kilometer bis zum Retiro-Park. Sie versuchten, sich an meinem Sack festzuhalten, aber ich habe so fest angerissen, dass einer von ihnen vom Motorrad gefallen ist. Ich schaffte es gerade in die Metro und letztendlich nach Hause. Nach diesem Ereignis habe ich meine Wohnung für drei Tage nicht verlassen. Ich mag es nicht, vor jemandem weglaufen zu müssen. Ich hätte mir niemals gedacht, dass mein Leben in Europa so aussehen würde. 

Wo lebst Du?

Ich wohne mit einem Onkel, der vor 25 Jahren hergekommen ist, in einem Apartment. Ich versuche, jeden Monat 100 bis 150 Euro an meine Familie zu schicken. 

Wie sieht der Prozess aus, um Papiere für Spanien zu bekommen?

Wenn man länger als drei Jahre in Spanien lebt – das kann man mit dem Mietvertrag beweisen – und auch einen Arbeitsvertrag hat, kann man am Amt Papiere beantragen. Ich kenne aber Leute, die nach zehn Jahren noch immer keine Aufenthaltsgenehmigung haben. 

Wie möchtest Du eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen?

Ich habe eine Freundin in Spanien, meine beste Freundin. Ich werde ihr Geld bezahlen, und dann heiraten wir. Eine Scheinehe, verstehst Du? Dann kann ich fünf Jahre lang in Spanien bleiben. 

„Sie haben mich mit einem Elektroschocker niedergestreckt. Keiner will diese Arbeit. Das schwöre ich Dir.“ – Yamal K.

Yamal K.

Lena Stefflitsch: Wie viel wiegt Dein Sack?

Yamal K.: Ca. 40 Kilo, weil es Schuhe sind …

Wie oft am Tag musst Du Deine Sachen einsammeln und von einem Platz fortgehen?

Das kommt ganz darauf an, wenn du Glück hast, kannst du zwei Stunden stehen, manchmal packst du deine Sachen schon nach zwei Minuten zusammen. Normalerweise müssen wir aber ständig unsere Mantas abbauen und wieder aufbauen, weil die Polizei immer in der Nähe ist. 

Ist Top Manta ein hartes Geschäft?

Es ist hart, ich möchte normal und legal arbeiten. Bei Top Manta ist die Polizei ständig hinter einem her, und sie bringen dir keinen Respekt entgegen. Sie sind auch sehr brutal. Vor ungefähr zwei Wochen haben sie mich mit einem Elektroschocker niedergestreckt. Keiner will diese Arbeit, das schwöre ich Dir, keiner will das. Und die Rückenschmerzen – ich habe ständig Schmerzen.

Du verkaufst Sneaker, wie viel kostet ein Paar?

20 bis 25 Euro. 

Trägst Du die Sachen, die Du verkaufst, auch selber?

Nein (lacht). Er zeigt mir die schwarzen originalen (!) Nike Air Force 1, die er anhat. Ich kaufe meine Kleidung eher, wenn es in großen Geschäften Abverkauf gibt. 

An welchen Tagen der Woche arbeitest Du als Mantero?

Ich arbeite an allen Tagen, bis ich müde bin oder nicht mehr kann, weil uns die Polizei nicht lässt. Am Wochenende ist es schwieriger, weil mehr Polizisten, vor allem in zivil, unterwegs sind. 

Was ist Schönheit für Dich?

Die Menschen und Frieden, auf der Straße und beim Verkaufen nicht ständig auf der Hut sein zu müssen, das wäre wirklich schön. Schön finde ich auch die Natur, Bäume und Blumen.

Die Blumen in Spanien oder in Senegal?

In Senegal (lacht) …

Ihr verkauft meistens in Gruppen, wieso?

Die Polizei kann uns weniger anhaben, wenn wir mehrere sind. Wenn du alleine oder nur zu zweit bist, können sie dich leichter verfolgen und verhaften. Wir halten auch alle gemeinsam Ausschau nach den Polizisten. Vor allem nach denen in Zivilkleidung, die ich mittlerweile schon von Weitem erkenne.

Woher beziehst Du die gefälschten Artikel?

In Fuenlabrada, einem Ort südlich von Madrid, besorge ich bei chinesischen Lieferanten meine Ware. Ich habe schon Manteros weinen gesehen, weil die Polizisten ihnen ihre Mantas abgenommen haben und sie nicht genügend Geld hatten, um neue Sachen einzukaufen. 

Was ist Dein größter Wunsch?

Papiere für Spanien zu bekommen und nach Senegal zurückzukehren, um meine Mutter zu besuchen, daran denke ich oft. 

„Schönheit ist für uns, zu versuchen, in jedem Tag das Positive zu finden.“ – Cheikh N. & Oumar S.

Cheikh N. & Oumar S.

Lena Stefflitsch: Wie viel ist ein Sack voller Taschen wert?

Cheikh N.: Um die 300 bis 350 Euro.

Wie seid Ihr von Senegal nach Spanien gekommen?

Omar S.: In einem Boot von Marokko nach Spanien. Wir waren zu acht auf einem Schlauchboot, sieben Männer und eine Frau, die ins Wasser gestürzt ist und nicht überlebt hat. Wir waren vier Stunden unterwegs, bis wir von einem Rettungsboot mitgenommen wurden. 

C: Wir wurden mit unserem Schlauchboot auch gerettet. Als wir auf dem Schiff waren, haben wir einfach nur vor Freude gejubelt, weil wir überlebt hatten. 

Was passiert, wenn Euch ein Polizist erwischt?

O: An einem Tag habe ich alleine bei einer Metrostation verkauft, ein Zivilpolizist hat mich erwischt, mir meinen Sack weggenommen und mich verhaftet. Drei Tage musste ich im Gefängnis verbringen, in einer Zelle mit 30 anderen Menschen, ohne Decke, es war schrecklich. Das war ganz am Anfang, weil ich die Situation und die Zivilpolizisten noch nicht kannte. 


C: Die Polizei hat mich insgesamt dreimal erwischt. Einmal war ich für drei Tage im Gefängnis, die anderen beiden Male haben sie mich rasch wieder entlassen und mir nur meine Sachen abgenommen.

Was ist Schönheit für Dich?

C: Ein gutes Herz zu haben. Versuchen, jeden Tag das Positive zu finden, um auch im Herzen positiv zu sein.

„In Afrika sagt Dir niemand, wie es in Europa wirklich läuft.“ – Maca D.

Maca D.

Lena Stefflitsch: Hast Du eine Anekdote von Deiner Arbeit als Mantero?

Mama D.: An einem Tag, es war gerade Ramadan, haben wir unsere Waren am Strand in Cádiz verkauft. Dann tauchte die Polizei auf und verfolgte uns. Also sind wir alle ins Meer gerannt, samt unseren Sachen. Die Polizisten blieben stehen, schauten uns an und warteten. Wir sind aber nicht rausgekommen. Ein älterer Herr, der vorbeikam, hat den Polizisten zugerufen, sie sollen uns doch in Ruhe lassen. Letztendlich sind sie wirklich gegangen und wir konnten aus dem Wasser.

Hast Du vor Deiner Abreise aus Senegal gedacht, dass Dein Leben so wird?

Ich habe nur davon geträumt, nach Europa zu gelangen. In Afrika sagt dir niemand, wie es hier wirklich läuft. Das Einzige, was man in Afrika im Fernsehen hört, ist, dass Millionen von Arbeits-plätzen verfügbar sind, weil es zu wenige junge Menschen gibt. Erst wenn man hier ankommt, sieht man, wie die Situation in Europa wirklich ist. 

Und wie war die Situation, als Du angekommen bist?

Es gab nichts für mich, ich musste mir meinen Unterhalt erst suchen. Zuerst als Mantero, dann auf der Baustelle oder durch den Verkauf von Marihuana. Am Anfang kennt und weiß man nichts, spricht die Sprache nicht, also was macht man? Top Manta ist eben das, was es gibt und was dich am Leben hält. In Cádiz haben wir zu zwölft in einer Wohnung gelebt und alle als Manteros gearbeitet. 

Lebst Du hier in Frieden?

Ja, ich lebe schon in Frieden, weil ich viele hilfreiche Kontakte habe. Aber für viele ist ihr Leben in Spanien wie ein Gefängnis. Sie wohnen auf der Straße, können nicht duschen, nicht schlafen – als wären sie Gefangene. 

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