Megamuskeln & Miniautos
Fitnesstrainerin Lara Tasharofi war nach eigener Aussage einst „die unsportlichste Person im Fitnessstudio“. Heute gehört die 31-jährige Wienerin zu den muskulösesten Frauen und den besten Bodybuilderinnen Österreichs. Mit ihrem extremen Körper stößt sie nicht immer nur auf Bewunderung. Wir sprachen mit ihr über Weiblichkeit, Anabolika und die existenzielle Frage, ob sie sich noch am Hinterkopf kratzen kann.
„Wer definiert, dass Muskeln männlich sind?“
Lara Ritter: Kannst Du Dich noch in die gängigen Konfektionsgrößen quetschen oder brauchst Du eine Schneiderin?
Lara Tasharofi: Ich passe nicht mehr überall rein, weil ich andere Proportionen habe als untrainierte Frauen. Ich trage schon lange keine engen Jeans mehr und kann mich auch nicht mehr in die Kleider reinzwängen, die ich früher getragen habe – allein schon wegen meines großen Brustumfangs. Da ich aber im Fitnessstudio arbeite, habe ich es leicht, Leggings und Tanktops als Arbeitsoutfit sind völlig okay.
Fällst Du mit Deinem Körper auf der Straße auf?
Unterwegs ernte ich oft seltsame Blicke, Leute zeigen mit dem Finger auf mich. Wenn sie an mir vorbeigehen, lachen sie oft. Das ist mir gerade erst wieder passiert, als ich mit dem Bus hierher gefahren bin. In den Öffis ist es mühsam für mich. Selbst wenn es warm ist, erwische ich mich dabei, mir eine Weste überziehen zu wollen, weil ich nicht angesprochen werden möchte. Wenn solche Vorfälle täglich passieren, entwickelt man eine Art Schutzschild.
Bodybuilderinnen essen vier bis zehn Mahlzeiten am Tag: Das muss ja schrecklich zeitraubend sein, allein diese Mengen an Essen zu besorgen und anzurichten.
Ich esse ja nicht sechsmal am Tag eine so riesige Portion wie etwa in einem Lokal. Solche Mahlzeiten bestehen zum Beispiel aus hundert Gramm Gemüse und fünfzig Gramm Reis, auch ein Eiweißshake zählt als Essen. Als Bodybuilderin muss man sich das ganze Jahr über an einen strikten Diätplan halten und bekommt genaue Vorgaben, was man zu sich nehmen darf und wie viel davon. Ich gehe schon lange nicht mehr spontan zum Kühlschrank und nehme mir irgendetwas heraus, auf das ich einen Gusto habe.
„Leute zeigen mit dem Finger auf mich.“
Im Bodybuilding gilt es, den eigenen Körper zu perfektionieren. Gibt es noch Tage, an denen Du nicht an Deine Muskeln denkst?
Oh Gott, denkt bitte nicht, dass ich die ganze Zeit nur meine Muskeln betrachte (lacht)! Klar, es ist ein durch und durch oberflächlicher Sport, aber die mentale Stärke ist dabei viel wichtiger. Wenn ich mich auf einen Bodybuilding-Wettbewerb vorbereite, ist das drei bis vier Monate lang mit absoluter Kontrolle über das Essen und mit striktem Training verbunden. Ich lebe diesen Sport 24 Stunden am Tag, es ist vor allem eine mentale Herausforderung, die Disziplin zu halten. Momentan mache ich viermal die Woche rund anderthalb Stunden Krafttraining, wenn ich auf Diät bin, mache ich zusätzlich auch noch 40 bis 60 Minuten Cardiotraining pro Tag. Das Posen, das bei Bodybuildingwettbewerben dazugehört, übe ich in der Vorbereitungsphase auch jeden zweiten Tag – es ist also alles recht zeitintensiv.
Was ist das Schöne an der Anstrengung?
Das Erfolgserlebnis, wenn man sie durchhält. Es ist ein Wettkampf gegen sich selbst und einfach toll, wenn man sich beim Training spürt und merkt, dass man verschiedene Körperpartien anspannen kann. Viele Menschen haben dieses Körpergefühl nicht mehr, bei dem man seinen Rücken und seine Beine spürt. Viele sitzen den ganzen Tag im Büro und spüren sich gar nicht mehr.
Wird Sex besser, je mehr Muskeln man hat?
An sich nicht, aber ich bin selbstbewusster geworden, und das kann den Sex durchaus besser machen. Mir ist egal, was ich trage, ob eine hautenge Hose oder ein hautenges Kleid, ich fühle mich in jedem Kleidungsstück wohl. Dieses Gefühl überträgt sich auf alle anderen Lebensbereiche.
„Ich halte es aus, zwei Wochen nicht zu trainieren.“
Dienen Muskeln dazu, etwas zu kompensieren?
Bei vielen, ja. Ich arbeite als Fitnesstrainerin und bei einigen Kunden merke ich schon beim Erstgespräch, dass sie früher dick waren und sich noch immer so fühlen, obwohl sie es gar nicht mehr sind. Es gibt auch schlanke Männer, die maskuliner wirken oder eine Frau beeindrucken wollen. Das ist nicht unbedingt schlimm, solange es nicht ins Extreme geht.
Auf welchen Muskel bist Du besonders stolz?
Auf meine Rücken- und die Schultermuskulatur. Ich hatte schon immer recht starke Beine, aber meinen Oberkörper zu trainieren, das war eine Herausforderung! Jetzt habe ich aus einer Schwäche eine Stärke gemacht, das finde ich schön. Außerdem stechen muskulöse Schultern hervor, die restliche Muskulatur wird oft von der Kleidung verdeckt.
Was möchtest Du noch an Dir optimieren?
An sich bin ich zufrieden mit meinem Körper, aber Bodybuilding ist eine Neverending Story. Es gibt immer Muskeln, bei denen ich mir denke, die könnten noch ausgeprägter oder definierter sein. Ohne die Möglichkeit, sich zu verbessern, wäre es ja langweilig!
Bist Du so stark, dass Du ein Auto heben kannst?
Das habe ich noch nicht ausprobiert (lacht). Als Bodybuilderin brauche ich natürlich Kraft, sonst kann ich ja keine Muskeln aufbauen, aber ich bin auch keine Gewichtheberin. Das schwerste Gewicht, das ich vom Boden heben kann, wiegt 160 Kilogramm.
Ein Miniauto könnte sich da vielleicht ausgehen! Gönnst Du Dir auch manchmal Urlaub?
Durchaus. Ich halte es aus, zwei Wochen nicht zu trainieren. Wenn ich mich auf einen Wettbewerb vorbereite, mache ich das natürlich nicht, aber ich plane meine Ferien auch nicht in diesen Monaten.Während des Urlaubs esse ich dann mal nicht nach Plan, sondern das, was auf den Tisch kommt, hole mir etwas vom Buffet oder bestelle Pommes und Schnitzel.
„Diese fünf Minuten auf der Bühne sind wunderschön.“
Du hast seit 2015 zahlreiche Bodybuilding-Meisterschaften gewonnen. Die Veranstaltungen laufen so ab, dass Du auf der Bühne Deine Muskeln präsentierst. Dabei werden deren Symmetrie, Masse, Dichte, Proportion und Ästhetik von einer Jury bewertet. Was ist der Reiz daran, sich auf der Bühne bewerten zu lassen?
Ich gehe nicht auf die Bühne, weil ich mich bewerten lassen möchte, sondern damit ich zeigen kann, wofür ich die ganze Zeit gearbeitet habe. Diese fünf Minuten auf der Bühne sind wunderschön, und man muss schon ein bisschen selbstverliebt sein, um sich im Bikini auf die Bühne zu stellen. Man steht dort mit sieben bis zehn Prozent Körperfett, das schaut richtig heftig aus. Es fühlt sich aber nicht gut an, Wettkampf-Bodybuilding ist nicht der gesündeste Sport. Wenn ich mich gerade auf keinen Wettbewerb vorbereite, versuche ich, den Sport auf einer gesunden Basis zu betreiben, mein Körperfett steigt dann wieder.
Expertinnen sagen, dass die Muskeln von Bodybuilderinnen nur durch Anabolika möglich sind. Wie ist das bei Dir?
Im Wettkampf-Bodybuilding ist das schon ein Thema. Der Muskel wächst nur, wenn nicht trainiert wird, wenn man aber viel trainiert, hat er wenig Zeit zum Regenerieren. Es wird in jedem Profisport mit gewissen Substanzen supplementiert – Bodybuilderinnen sind halt eine gute Angriffsfläche, weil man es ihnen ansieht. Aber nicht nur im Profisport, auch unter Hobbysportlerinnen wird was genommen. Ich arbeite in einem Fitnessstudio und bekomme mit, dass viele spaßhalber Anabolika nehmen. Dafür habe ich so gar kein Verständnis.
„Was bedeutet es überhaupt, eine Frau zu sein?“
Weiblichkeit wird klischeehaft mit weichen Rundungen und Zierlichkeit assoziiert – dein Körper ist so ziemlich das Gegenteil davon. Was bedeutet Frausein für Dich?
Oft konfontieren mich Männer mit der Aussage: „Frauen sollen keine Muskeln haben, das ist ja etwas Männliches!“ Ich frage mich dann, wer definiert, dass Muskeln männlich sind? Wir sind alle mit Muskeln geboren, und wenn man Kraftsport macht, sieht man sie halt. Vielen Menschen passt das nicht in ihr Konzept davon, wie eine Frau zu sein hat. Frausein ist geradezu zum Stigma mutiert. Was bedeutet es überhaupt, eine Frau zu sein? Ich gehe gerne essen, ich gehe gerne auf einen Kaffee mit meinen Mädels, ich gehe gerne zum Friseur, ich gehe gerne zur Kosmetikerin. Bin ich jetzt eine Frau, weil ich gerne zur Kosmetikerin gehe, oder bin ich keine Frau, weil ich auch gerne trainieren gehe? Ich beschäftige mich viel damit, weil ich im Alltag häufig mit tradierten Vorstellungen von Weiblichkeit konfrontiert werde.
Gibt es etwas, das Dir Angst macht?
Teilweise macht mir Social Media Angst. Im Internet herrscht Schein und Trug. Ich habe schon viele gemeine Kommentare erhalten, zum Glück kann ich damit umgehen. Für jemanden, der kein Selbstbewusstsein hat, kann das aber schlimm sein. Auch der Schönheitswahn auf diesen Plattformen sorgt dafür, dass sich viele Menschen schlecht fühlen. Oft kommen junge Mädels zu mir, zeigen mir ein Bild von einer Fitness-Influencerin und sagen: „So werde ich nie ausschauen. Die ist perfekt, und ich bin es nicht.“ Das macht mich traurig.
Arnold Schwarzenegger meinte, dass Muskelmasse die Bewegung einschränke, er etwa konnte sich nicht mehr den Nacken rasieren. Wie geht es Dir damit, kannst Du Dir den Rücken kratzen?
Das schaffe ich noch (lacht). Aber Muskelmasse schränkt natürlich ein, je mehr davon vorhanden ist, desto mehr leidet die Mobilität. Würde ich keine Stretching-Übungen machen, würden mir einige Bewegungen schwerfallen.
„Die Muskelmasse schränkt die Mobilität ein.“
Du hast bei zwei Performances der Künstlerin Jakob Lena Knebl mitgewirkt, bei denen Du mit anderen Bodybuilderinnen neben Vasen und Lampen posiert hast. Was ist anstrengender: ein Bodybuilding-Wettbewerb oder eine Kunst-Performance?
Ein Bodybuilding-Wettbewerb (lacht). Dort gibt es den Druck, zu gewinnen, die Performance war hingegen entspannt, wir zogen Bikinis an, wurden bemalt und posierten auf der Bühne. Es war eine schöne Erfahrung, außerhalb der Bodybuilding-Szene meinen Körper zeigen zu dürfen. Am nächsten Tag hatte ich aber einen Mordsmuskelkater!
Als Du mit Bodybuilding begonnen hast, warst Du mitten im Betriebswirtschaftsstudium und hast Dich nicht sonderlich für Sport begeistert. Wie wird man von der „unsportlichsten Person im Fitnessstudio“ zur Siegerin der österreichischen Bodybuilderinnen-Meisterschaft?
Das erste Mal war ich mit meinem Ex-Freund im Fitnessstudio. Er war dort jeden zweiten Tag, stundenlang, und ich wollte wissen, was es damit auf sich hat. Mir gefiel das Trainieren von Anfang an und als ich die ersten Erfolge sah, merkte ich, dass ich mich mit anderen messen möchte. Ich war schon immer zielstrebig. Wenn mir etwas gefällt, macht es mir nichts aus, das zu tun, was notwendig ist, um darin noch besser zu werden.
Was passiert wohl, wenn Du vom einen auf den anderen Tag aufhörst zu trainieren?
Mit der Ernährung kann man den Muskelabbau verlangsamen, aber wenn man nicht mehr trainiert, läuft es darauf hinaus, dass man seine Muskeln verliert. Das ist, denke ich, das Grauen einer jeden Athletin, nicht aufgrund von Eitelkeit, sondern wegen der Arbeit, die in solchen Muskeln steckt. 2019 brach ich mir einen Teil meines Handgelenks und konnte zweieinhalb Monate nicht trainieren. Damals wurde mir bewusst, dass meine Muskeln vergänglich sind und es tatsächlich ein Leben außerhalb des Sports gibt.
Was machst Du, wenn Du in Pension bist?
In fünf bis sechs Jahren möchte ich in Wettkampf-Bodybuilding-Rente gehen. Ich werde jetzt 31 und kann diesen Extremsport nicht ewig machen. Mit 50 möchte ich nicht mehr auf der Bühne stehen. Ich werde weiterhin als Coach arbeiten, mit 70 bin ich dann hoffentlich gesund, habe irgendwo ein Haus, sehe ein bisschen was von der Welt und führe ein gemütliches Leben. Mehr möchte ich nicht, ich will alles ganz simpel haben.
Danke für das Gespräch!