Kunstkommerz & politischer Diskurs
Die in Polen geborene und im deutschen Rheinland aufgewachsene Kunstexpertin Johanna Chromik ist seit Januar für das künstlerische Programm der viennacontemporary verantwortlich und folgt damit Christina Steinbrecher-Pfandt. Die Kunstmesse mit dem Schwerpunkt Zentral- und Osteuropa findet vom 26.–29. September in der Marx Halle statt und ist damit einen Tag kürzer als die Jahre zuvor. Entspannte Aufregung macht sich bei der leidenschaftlichen Radfahrerin breit. Wir wollten von ihr wissen, wie sie zur Kunst und ihrem Job in Wien gekommen ist, was dieses Jahr neu wird und was sie persönlich im Leben antreibt.
„Wovor fürchten Sie sich gerade am allermeisten?“ „Dass niemand kommt!“
Antje Mayer-Salvi: Ihre erste viennacontemporary als künstlerische Leiterin steht unmittelbar bevor. Wie geht es Ihnen gerade?
Johanna Chromik: Super! Langsam kommt aber doch ein wenig Aufregung auf. Ich kann mich auf mein tolles, routiniertes Team verlassen, das ist beruhigend. Wir haben unglaublich viele Meetings gerade, bei denen es um den Feinschliff geht, von der „Architektur“ einzelner Stände bis zu hunderten kleinen Entscheidungen, die nun noch getroffen werden müssen
Sie wirken aber entspannt!
Entspanntheit ist eine meiner guten Eigenschaften, ich meditiere sogar – dafür habe ich eine fantastische App. Gelassen mache ich alles schneller.
Und Ihre schlechteste Eigenschaft?
Ich bin zuweilen zu pragmatisch.
Wovor fürchten Sie sich gerade am allermeisten?
Dass niemand kommt (lacht)!
„Es kam tatsächlich der Anruf, und allzu viel Zeit hatte ich dann nicht.“
Ich denke, diese Angst ist unbegründet. Kam vergangenes Jahr „der“ überraschende Anruf aus Wien, und mussten Sie dann innerhalb weniger Stunden oder Tage entscheiden, den Job anzunehmen?
Es kam tatsächlich der Anruf, und allzu viel Zeit hatte ich dann nicht, aber es waren schon eher Tage als Stunden, die mir für die Entscheidung gelassen wurden.
Hatten Sie sich beworben?
Sagen wir, die viennacontemporary und ich sind zueinandergekommen. Aber weder die damals amtierende künstlerische Leiterin Christina Steinbrecher-Pfandt noch Rosemarie Schwarzwälder von der Galerie Nächst St. Stephan noch ihr Sohn Nikolaus Oberhuber, Gründer der Galerie KOW, für die ich tätig war, hatten sich da auch nur irgendwie eingemischt, auch wenn das so kolportiert wurde. Ich bin übrigens auch nicht die Schwiegertochter von Rosemarie Schwarzwälder (lacht). Ich bin alleine nach Wien gekommen.
Was ist Ihr erster Eindruck von Wien?
Na, großartig! Ich schwimme sehr gerne im Schönbrunner Bad meine Runden. Ich bin leidenschaftliche Radfahrerin und erkunde mit meinem Drahtesel die Stadt und fahre mit ihm auch zu allen Terminen. Meine Freunde beneiden mich um meinen neuen Arbeitsort. Ich musste – so kurz vor der Messe – einen regelrechten Besucherstopp aussprechen, obwohl mir mein Freundeskreis sehr wichtig ist.
Können wir uns dieses Jahr auf der viennacontemporary auf Neues freuen?
Die viennacontemporary ist keine Unbekannte für mich, wir kennen einander schon länger. Mir ist es sehr wichtig, das Profil der Messe noch stärker zu schärfen. Unser Vorteil liegt in einer gewissen überschaubaren Größe. Wir können – anders als größere Messen – auf Qualität und stärkere Akzente setzen und uns auch weiter spezialisieren. Wachsen, ja, aber in die Tiefe. Wir wollen uns aus der Kunstmesselandschaft damit noch mehr herausheben. Die Begegnung im Rahmen der viennacontemporary soll persönlich sein, und ich möchte die Besucherinnen da abholen, wo sie sind.
Die Kunst allein zieht nicht mehr?
Nicht ausschließlich! Die Kunstmesse ARCO in Madrid ist in mancherlei Hinsicht ein Vorbild. Sie bietet das „Rundum-sorglos-Paket“ und macht das top. Die Stadt ist ARCO, und ARCO ist Madrid. Wir sollten die „Sexyness Wiens“, das, was diese Metropole seit Jahren in internationalen Rankings zur lebenswertesten Stadt macht, bei der viennacontemporary noch mehr vor den Vorhang holen und das „Stadterlebnis Wien“ sozusagen mitliefern. Ich habe aber erst Mitte Januar meinen Job angetreten, bei dieser Ausgabe kann ich nicht alles neu aufrollen, ich taste mich gerade Schritt für Schritt heran. Die Messe steht bestens da, ist gut aufgestellt, aber klar, es gibt noch viel Spielraum und viele Ideen für kommende Ausgaben.
„Wir sollten die ,Sexyness Wiens‘ noch mehr vor den Vorhang holen.“
Wo denn?
Ich denke darüber nach, nächstes Jahr wieder mit einem Architektenteam zusammenzuarbeiten. Ich möchte gerne mehrere neue Formate entwickeln und an die Stadt Wien appellieren, unser Event als Aufwertung für den Ort zu begreifen. Unsere digitale Strategie lässt sich noch klarer und auf das Zielpublikum fokussierter formulieren. Ich will auch bestehende Partnerschaften noch mehr ausbauen. Wir konnten heuer tolle Kuratorinnen wie Fiona Liewehr für „Zone 1“ oder Tevž Logar für die Sektion „Focus“ gewinnen, der den NSK State aus Slowenien nach Wien bringt, für den man auf der Messe einen Pass beantragen kann. Wir thematisieren somit durchaus auch politische Statements bei uns. Auch unser offen gestalteter Bereich für zeitgenössische Videoproduktionen wird spannend.
Wird in Zeiten wie diesen zeitgenössische Kunst politischer?
Ich würde nicht sagen, dass die Kunst politischer wird, aber die politische Kunst wird sichtbarer und manifester. Auch wenn wir eine kommerzielle Messe sind, können wir, finde ich, einen Beitrag zum aktuellen Diskurs, wie eben mit dem NSK-Projekt, beitragen. Wenn man sich einzelne Galerien anschaut, findet man bei vielen ein starkes politisches Programm und Künstlerinnen, die sich schonungslos mit sozialen Realitäten beschäftigen.
„Auch wenn wir eine kommerzielle Messe sind, können wir einen Beitrag zum aktuellen Diskurs beitragen.“
Das Alleinstellungsmerkmal der viennancontemporary ist ihr Schwerpunkt „Zentral- und Osteuropa“. Sie haben selbst osteuropäische Wurzeln, sind in Polen geboren und mit Ihrer Familie im Alter von sechs Jahren nach Deutschland übersiedelt. Was tut sich in der Kunst im Osten?
Wir branden zwar die viennacontemporary mit dem Zentral-und-Osteuropa-Fokus, was schon auch absolut Sinn ergibt, aber das heißt nicht, dass die zentral- und osteuropäischen Galerien wie Exotinnen auf unserer Messe separiert werden. Sie sind selbstverständlicher Teil des Ganzen. Ich bin im vergangenen halben Jahr sehr viel im Osten unterwegs gewesen, in Polen, Tschechien, aber auch in Slowenien und Ungarn. Diese Länder verfügen über spannende Kunstszenen, aber sie sind natürlich sehr viel kleiner, und man muss teilweise einfach genauer hinsehen. Geld ist vorhanden, es gibt Sammlerinnen, auch jüngere, ich bin optimistisch, dass sich das weiter positiv entwickelt.
Zensur durch die Politik ist in der Kunstszene ein großes Thema – in Ungarn, Tschechien, auch in Polen? Wie nehmen Sie das dort wahr?
Die Szene ist sehr besorgt. Mitarbeiterinnen in Kunstinstitutionen werden „gegangen“, Posten nicht oder mit den eigenen Leuten nachbesetzt, oder es wird einfach der Geldhahn zugedreht. Immer wieder werden einzelne Kunstwerke regelrecht zensiert. In Ungarn ist das seit Längerem gang und gäbe.
„Zensur? Die Szene ist sehr besorgt!“
Der tschechische Kultusminister Antonín Staněk hat dem Direktor der Nationalgalerie Prag, Jiří Fajt, heuer im Frühjahr gekündigt ...
... wohl weil der den Präsidenten Miloš Zeman immer wieder aufgrund seines Antiislamismus und seiner Hetze gegen die EU kritisierte. Der Direktor des Warschauer Nationalmuseums, Jerzy Miziołek, hat Werke der feministischen polnischen Künstlerinnen Natalia LL und Katarzyna Kozyra aus der Sammlungspräsentation verbannt, was er mit der „verstörenden Wirkung“ auf Jugendliche begründete. Das rief viele Protest hervor. Nun hängen sie wieder. Ich freue mich, dass der Bau des neuen Museums für Moderne Kunst, Muzeum Sztuki Nowoczesnej, in Warschau nun doch stattfindet. Seit seinem Gründungsjahr 2005 warten wir darauf! Es ging regelrecht ein Seufzer der Erleichterung durch die Szene.
„Politik gehört zu meinem Leben einfach dazu.“
Sprechen Sie Polnisch?
Ich verstehe Polnisch gut, eine wunderschöne Sprache, aber ich spreche es leider nicht wirklich fließend.
Erzählen Sie von sich persönlich! Wie sind Sie zur Kunst gekommen?
Meine Eltern, die aus der Provinz zwischen Krakau und Warschau stammen, sind polnische Aussiedlerinnen und haben mit Kunst überhaupt nichts am Hut und wundern sich bis heute ob meines Werdegangs. Meine Mutter und ich gehen aber regelmäßig gemeinsam ins Museum, wir beide lieben das. Ich bin im Rheinland aufgewachsen, umgeben von spannenden Museen und Kunstinstitutionen. Mein Kunstlehrer in der Schule hat mich der Kunst nähergebracht. Der war der absolute Wahnsinn! Ihm habe ich sehr viel zu verdanken. Er war ein ehemaliger Student von Beuys, hat an der legendären Düsseldorfer Kunstakademie studiert, sein Künstlersein dann aber zum Glück aufgegeben und uns sehr experimentell unterrichtet.
Folgte nach Ihrem Abitur dann das unvermeidliche Studium der Kunstgeschichte?
Eben nicht, das war mir „zu erwartbar“. Zuerst zog es mich nach Israel, in einen Kibbuz, ich wollte unbedingt nach dem Abitur erst einmal ins Ausland und meinen Kopf ein „bisschen lüften“. Ich studierte im Anschluss Politik- und Kommunikationswissenschaften, später dann Kulturwissenschaften in Leipzig, schon damals eine super spannende Stadt. Ich hatte aber auch ernsthaft darüber nachgedacht, in den Journalismus zu gehen, nicht zuletzt aufgrund meiner prägenden politischen Erfahrungen in Israel. Politik gehört zu meinem Leben einfach dazu.
„Ich brenne auch privat für Kunst.“
Sie starteten Ihre Kunstkarriere in der Galerie Eigen + Art in Leipzig?
Genau, erst mit einem Nebenjob, die Galerie wurde dann richtig groß, und ich ging ihren Weg mit. Ich war auch in Berlin bei Eigen + Art mit dabei, später die Galerie König, es folgte ein Interregnum in den USA bei der Pace Gallery, dann offerierte mir die Berliner Galerie KOW einen Job, zuletzt war ich als Programmmanagerin im Salon Berlin des Museum Burda tätig.
Sammeln Sie auch selbst Kunst?
Ja, klar doch. Ich brenne auch privat für Kunst, die von manchen Menschen vielleicht als etwas sperrig empfunden wird. Es reizt mich, mich wirklich in eine Materie hineinzuarbeiten und mir das näher anzuschauen. Meinen ersten Bonus bei Eigen + Art habe ich direkt wieder in Kunst investiert. Ich hatte bei einer Messe eine Zeichnung von Ruby Osorio auf dem Radar. Um die schlich ich schon die ganze Zeit herum und am Abbautag schlug ich dann zu.
Was tun Sie, wenn Sie nicht an Kunst denken?
Ich liebe Sport, währenddessen bin ich off. Ich bewege mich irrsinnig gerne.
Was nervt Sie am Kunstmarkt?
Er könnte manchmal kollegialer sein und transparenter.
Worauf kommt es im Leben an?
Große Frage, einfache Antwort: Glück, Gesundheit und Freunde.
Ich danke für das Gespräch!
Johanna Chromik folgt auf die jahrelange Chefin Christina Steinbrecher-Pfandt. Sie war zuletzt Programmmanagerin im Salon Berlin des Museum Burda. Davor arbeitete die gebürtige Polin als Leiterin der Berliner Galerien König und KOW. Chromik wuchs im Rheinland auf, startete ihre Karriere bei der Galerie Eigen + Art in Leipzig und Berlin und war in den USA bei der Pace Gallery tätig.
Die viennacontemporary findet von 26. bis 29. September 2019 in der Marx Halle in Wien statt. Preview und Vernissage sind bereits am 26. September – nur mit Einladung!