Die Perlentaucherin

Die Stadt als Spielplatz

Die studierte Juristin ELISABETH NOEVER-GINTHÖR ist seit gut drei Jahren die Abteilungsleiterin von departure, dem Kreativzentrum der WIRTSCHAFTSAGENTUR WIEN. Kürzlich lud man Kreative ein, Ideen für KINDER IN DER STADT zu entwickeln. Wir sprachen mit der Mutter einer sechsjährigen Tochter darüber, wie kinderfreundlich Wien ist, wie es um die Kreativen in der Stadt steht und warum Technologie kein Selbstzweck sein soll.

Antje Mayer-Salvi: Für den Ideenwettbewerb „Kinder, Kinder!“ sollten neue Ideen, Konzepte, Produkte und Services für Kinder in der Stadt entwickelt werden. Sie waren in der Jury. Besteht in Zukunft die Chance, dass Wien kinderfreundlicher wird?

Elisabeth Noever-Ginthör: Absolut. Wir sind dran, auch wenn es erst einmal nur ein Ideenwettbewerb war. Jetzt helfen wir bei der Umsetzung, indem wir die richtigen Leute, etwa beim Magistrat und in der Stadt, mit den Kreativen zu vernetzen. Es gab 92 Einreichungen, auch aus dem Ausland, wie den Niederlanden und Dänemark, ein Siegerprojekt kommt aus Deutschland. Den ersten Platz hat Sylvia Kostenzer vom Wiener Studio d*luxe mit ihrer „REMAKE Wohnstraße“ gewonnen. Wir könnten uns das mittelfristig vor dem Markhof, dem Coworking und Colearning Space im 3. Bezirk, den Stefan Leitner-Sidl initiiert hat, gut vorstellen und hoffen, dass andere Bezirke aufspringen.

Was fanden Sie so gut an der Idee?

Man versteht die Idee sofort. Die Grafikerin arbeitet mit Chiffren des Straßenverkehrs und adaptiert sie leicht, verändert sie. Mein Lieblingsbild dazu ist der Zebrastreifen, der zu einem Spielball wird. Damit wird auch für jede Straßenbenützerin und jeden Straßenbenützer klar, dass es hier um eine Spiel- und Wohnstraße geht. Sylvia Kostenzer hat bei der Preisverleihung erzählt, dass ihre beiden Töchter bei der Entstehung des Projektes ganz zentral beteiligt waren. Ihre Grafik hat nämlich auch eine spielerische Ebene. Es bildet sich ein Raster, das zum Balancieren und Hüpfen einlädt. Ästhetisch ansprechend und letztlich für Autofahrerinnen und Autofahrer schnell erkennbar, dass hier Kinder spielen (wollen).

Die Kosmetik-, Spiel- und IT-Industrie setzt ganz enorm auf Kinder als Zielgruppe, die immer jünger wird. Wie kritisch sehen Sie das?

Dass Kinder ein großes Marketing Target sind, war uns bei der Ausrichtung des Wettbewerbs absolut bewusst. Kinder sind zunehmend Entscheiderinnen und Entscheider, oft viel mehr als die Eltern. Das ist eine zweischneidige Entwicklung, auch dass diese Zielgruppe auf so vielen Ebenen immer direkter angesprochen werden kann. Da wollten wir einen Kontrapunkt setzen, indem wir gefragt haben: Wie kommt es zu vermehrter Selbstbestimmtheit, wie können Kinder bei ihren Entscheidungen unterstützt werden, und wie schaffen wir auch notwendige konsumfreie Zonen?

Das Projekt des Künstlers Stanislaus Medan hat sich damit beschäftigt. Es sieht die Nutzung öffentlichen Stadtraums durch Privatpersonen oder Communities vor und stellt damit einen Gegenpol zur gewerblichen Nutzung öffentlichen Raums dar. Dafür hat er einen Anerkennungspreis bekommen.

Wurden die Kids im Rahmen des Wettbewerbs gefragt, was sie cool finden?

Das ist eigentlich zwingend, wenn man ein Projekt für Kinder entwickelt. Einer der Juroren, Christian Bezdeka – Gründer von woom bikes, entwickelt seine Fahrräder zum Beispiel auch gemeinsam mit Kindern, weil ein Kinderhintern eben ein anderer ist als ein Erwachsenenhintern – nicht einfach nur kleiner. Der dritte Preis ging an die App #stadtsache von Anke M. Leitzgen. Hier können Kinder hochladen, was sie in ihrer Stadt interessant, lustig oder aber auch gefährlich finden – was sie selbst entdeckt haben. Kinder schätzen oft was ganz anderes als man selbst, meistens jedenfalls. Keine konfliktfreie Angelegenheit im Alltag, wie wir wissen (lacht)!

Was würden Sie gerne als Mutter ändern? Was fände Ihre Tochter gut?

Ich würde mir wünschen, dass unsere Tochter sich zunehmend alleine und selbstständig draußen bewegen kann. Als Elternteil muss man seine Kinder in der Stadt fast durchgehend beaufsichtigen, oft fühlt man sich da als Programmdirektorin auf der Suche nach der permanenten Bespaßung. Wir haben in unserem Haus einen wahnsinnig schönen verwinkelten Innenhof, der prädestiniert wäre, von Kindern benützt zu werden. Aber Verstecken spielt sie nur mit uns, nicht zuletzt weil in unserem Haus keine Kinder wohnen – und Kinder aus anderen Häusern dort nicht hindürfen. Meine Tochter hat aber zum Beispiel ein totales Interesse an unseren Nachbarn, was sie machen, wer sie sind. Sie kennt mehr Leute als ich. Das finde ich schön, und so ist durch sie auch wieder mehr Kommunikation mit unseren Nachbarn passiert. 

Wenn man Wien mit anderen Städten wie Kopenhagen, Berlin oder Zürich vergleicht, wird hier viel für Kinder gemacht?

Es gibt – im Vergleich zu anderen europäischen Städten – wahnsinnig viel Grün- und Freiraum in Wien: der Prater, die Freibäder, die vielen Spielplätze überall. Im Sommer kann man Bürgermeisterin im Rathaus spielen und im Winter davor eislaufen. Was es nicht so häufig gibt, sind Orte, die Kinder auch definieren können, die nicht von vornherein sagen „hier spielen, hier schwimmen und hier bitte gar nix“. Ich glaube, dass es darum geht, ebensolche Zwischenräume in der Stadt zu schaffen. Da ist noch viel Luft nach oben. Im kommenden Herbst ist übrigens erstmals die Child in the City Conference in Wien, auf der wir sehen werden, in welchem Ranking Wien mitspielt und welche anderen Projekte für uns interessant wären. Natürlich werden wir auch mit unseren Gewinnerprojekten dort präsent sein.

„Meine kleine Tochter kennt mehr Leute im Haus als ich.“

Sie sind jetzt seit über drei Jahren als Abteilungsleiterin von departure, dem Kreativzentrum der Wirtschaftsagentur Wien, in Amt und Würden. Wer, wenn nicht Sie, hat den Überblick – wie stets um die Kreativen in der Stadt?

Wien hat das absolute Plus, dass man hier – im Gegensatz zu London oder Paris – noch Zeit und vor allem Raum zum Entwickeln von Ideen, zum Experimentieren und zum Reflektieren hat. Darum beneiden uns ganz viele.

Schaut man im Ausland auf Wien?

Immer (lacht). Im Ernst, wir haben in ganz vielen Bereichen Spitzenleute und Unternehmen. Derzeit schauen wir uns gerade die Schnittstelle von „Kreativität und immersiven Technologien“ an, also was bedeuten Virtual Reality, Augmented Reality und Mixed Reality für Architektinnen, Designerinnen, Multimediastudios und Musikerinnen? Wie verändern sich der künstlerische Prozess, die Produktionsbedingungen, das Marketing und der Vertrieb? Unter dem Titel Digitale Realitäten ist bei uns dazu auch gerade ein Förderwettbewerb gestartet, der noch bis 30.06.2018 läuft, und am 25.04. veranstalten wir ein Symposium zu diesem Thema im MAK, ab 15 Uhr bei freiem Eintritt.

Ich wusste gar nicht, dass Wien im digitalen Bereich so überragend gut ist?!

Analog und Digital sind längst keine Gegensätze mehr. Da sind nicht auf der einen Seite die „Crafted in Vienna“-Projekte und auf der anderen quasi die große Technologie. Von diesem Gegenpol-Denken sollten wir uns verabschieden. Die Technik liefert die Technologiebranche, die Inhalte liefern aber meist die Kreativen. Beide Seiten profitieren voneinander.

Wir kennen das, ein Ding kann technisch tausend Sachen, aber was nützen diese, wenn User nur vier davon wirklich brauchen oder benutzen wollen? Technologien helfen, weniger Müll zu produzieren, customized oder on demand günstiger zu produzieren, global unsere Produkte zu vertreiben. Das sind die Themen, die uns interessieren. Technologien sind ja nicht wertend, es liegt an uns, wie wir sie einsetzen. Dabei spielt aus meiner Sicht Kreativität eine wichtige Rolle.

Welche Best-Practice-Beispiele gibt es derzeit in Wien, bei denen Technologie und Kreativwirtschaft Hand in Hand arbeiten?

Quasi druckfrisch ist gerade unser sogenanntes White Paper Digitale Realitäten erschienen. Eine Sammlung von Best Practices, Interviews und Essays zu dem Thema. Da findet man jede Menge toller Beispiele.

Was fehlt Ihnen in Wien?

Die Kreativwirtschaft ist bei Wirtschaftsunternehmen immer noch nicht so auf dem Radar, wie ich mir das wünschen würde. Für die Managerinnen und Geschäftsführerinnen ist es immer noch ein Aha-Erlebnis, wenn sie sehen, wie professionell Kreative arbeiten, wie innovativ ihre Produkte sind und welche tollen Services sie anbieten. Da müssen wir in Zukunft noch sehr viel mehr miteinander reden und vernetzen.

„Mich nerven Provinzialität und Standardisierungen!“

Was ist Ihr persönlich kreatives Lieblingsthema?

Wie Räume entstehen, in denen man sich wohlfühlt, in denen man denken und fühlen kann, interessiert mich sehr. Insofern schaue ich mir, wenn ich auf Reisen bin, viel zeitgenössische Architektur an, da hat Wien schon noch viel Nachholbedarf. Die Gegenwartskunst ist oft Vordenkerin für viele Ansätze, die dann Einzug in die Kreativwirtschaft finden. Sie inspiriert mich.

Auch das Thema Food & Design interessiert mich persönlich sehr. Dazu möchten wir demnächst einen kleinen Wettbewerb ausschreiben. Da gibt es unglaublich viel Potenzial in Wien. Eine Inspiration dafür war das Gewinnerprojekt aus dem Ideenwettbewerb: Hut & Stiel – Pilze, die auf Kaffeesatz gezüchtet werden.

Das Projekt Hut & Stiel wurde in der Presse sehr positiv besprochen …

... eine geniale Story für Wien: Kaffee, Essen, Nachhaltigkeit – und das alles in einem perfekt designten Kreislauf. Wir meinen mit Food & Design übrigens nicht nur, wie Essen am Teller aussieht und mit welchen Werkzeugen man da agiert, sondern was im Rahmen von Gastronomie, Kreislaufwirtschaft, Nahrung, Essen, Urban Mining, Produktion, Gastfreundschaft alles neu gedacht werden kann. Dieses Thema wird in Wien schon jetzt auf sehr hohem Niveau gefahren.

Was ärgert Sie?

Provinzialität und Standardisierungen. Und das ständige Jammern in der Stadt geht mir auf die Nerven. Ich denke, dass gegen die fortschreitende Nivellierung kreatives Denken und Handeln immer zentraler werden. Dass das in Wien sichtbarer und spürbarer wird, würden wir gerne unterstützen.

In diesem Sinne: Danke für das persönliche Gespräch!

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