In den 90er-Jahren ist Elke Silvia Krystufek mit ihren Performances und Selbstporträts durchgestartet. Immer wieder hat sie mit dem normativen Blick des Betrachters gebrochen und gegen Tabus aufbegehrt. Dass die Künstlerin, die seit einigen Jahren auf ihrem Mittelnamen Silvia besteht, sich mittlerweile auch Männerakten und einer feministischen Aufarbeitung der islamischen Welt widmet, verwundert wenig, hat sie doch nie aufgehört, nach gesellschaftlichen Brennpunkten zu fahnden. Wir trafen sie zu einem Gespräch.
„Ein Skandal, dass bisher noch keine Frau den Pavillon in Venedig alleine bespielen durfte.“
Elke Silvia Krystufek besuchte das C/O Vienna Magazine auf der viennacontemporary 2017.
Shilla Strelka: Sie sind vor allem für Ihre frühen Selbstporträts und Performances bekannt, in denen sie sich mit dem eigenen Körper und ihrer Sexualität auseinandersetzen. Stört es Sie, immer noch im Kontext ihrer jüngeren Arbeiten rezipiert zu werden?
Elke Silvia Krystufek: Meine Geschichte wurde im Nachhinein geschrieben, aber nur unvollständig, ich habe nie nur diese Selbstporträts produziert, sondern immer auch schon andere porträtiert und andere Motive behandelt, das wurde aber irgendwie in der Wahrnehmung der Leute ausgeklammert.
Bei welcher Galerie sind Sie derzeit?
Bei keiner. 2008 verließ ich die Galerie Georg Kargl, war dann bei Meyer Kainer, dann bei Charim. Derzeit vertritt mich keine Galerie in Österreich.
Absichtlich?
Eigentlich nicht absichtlich, aber es war so, dass sich seit meinem Austritt aus der Galerie Charim einfach niemand mehr gemeldet hat. Die Galerie Charim hat die Vertretung von sich aus beendet – und im Übrigen auch der österreichischen Künstlerin VALIE EXPORT gekündigt. Die Galerieszene in Wien ist extrem schwierig strukturiert.
„Die Galerieszene in Wien ist extrem schwierig strukturiert!“
„Each World“, 2016, von Elke Silvia Krystufek
Bild links: „Niqab“, 2015; Bild rechts: „David Bowie London Boy“, 2004, beides von Elke Silvia Krystufek
Woran lässt sich das festmachen?
Das merkt man beispielsweise an den Künstlerinnen-Rankings. Den Galeristinnen gelingt es nicht, jüngere lebende Künstlerinnen aus Österreich auf die internationalen Top-Positionen zu bringen. Von meiner Generation sind auch gute Leute wie Markus Schinwald betroffen. Er ist bei einer großen Galerie, aber er ist nicht in dem Maße international bekannt, wie es ihm gebühren würde. Er bekommt kaum Ausstellungen in österreichischen Insitutionen. Das sind die kleinen, großen Skandale im österreichischen Kunstbetrieb.
Wie kann es sein, dass österreichische Galerien nicht um Sie werben?
Ja, das ist ein Wahnwitz. Galerien fördern oft lieber unbekannte Leute, wahrscheinlich um innovativ zu wirken, aus denen dann aber auch nichts wird. Das ganze System hat viele hoffnungsvolle Karrieren in Österreich kaputt gemacht.
Das klingt nicht logisch ...
Ja, die Galerientätigkeit ist leider keine logische. Es ist wahnwitzig, dass Künstlerinnen wie Maria Lassnig erst posthum entdeckt werden und sie als einzige weibliche Position in Österreich international von Expertinnen wahrgenommen wird!
„Die Käuferschicht ist immer noch vorrangig männlich!“
„Morissey“, 2005, von Elke Silvia Krystufek, Galerie Nicola von Senger
Wie war es für Sie, zur Zeit der Biennale in Venedig (2009) als Aushängeschild der Nation zu fungieren? Der österreichische Pavillon wurde damals von VALIE EXPORT kuratiert und zeigte neben Ihren Arbeiten auch Werke von Franziska und Lois Weinberger und Dorit Margreiter.
Die Ausstellung unterlag an sich der Schwierigkeit, dass wir drei Positionen waren, die nicht zusammengepasst haben – das ergab ein kuratorisches Problem. Wir haben zwar alle viel positives Feedback bekommen, nur hat das mit Sicherheit keine Synergien erzeugt. Das ist ein weiterer Skandal des österreichischen Kunstbetriebs, dass bisher noch keine Frau den Pavillon in Venedig alleine bespielen durfte.
Sie haben damals in Venedig Männerakte gezeigt?
Ja, ich bin mit meinem Thema damals total durchgestartet. Es gab drei Museumsausstellungen, die sich dem Thema gewidmet hatten – im Leopold Museum in Wien, im Lentos in Linz und im Kunstmuseum Bern wurden Ausstellungen dazu gezeigt. Leider hat kein Museum etwas von den Arbeiten angekauft. Es waren Arbeiten, die inhaltlich bis heute sehr wichtig sind, weil das ein wirklich relevantes, gesellschaftspolitisches Thema ist – doch der Staat verweigert sich der Thematik einfach.
Woran liegt das?
Es ist ein brisantes Thema. Die Käuferschicht ist immer noch vorrangig männlich. Ich hatte eine einzige Käuferin, die gezielt Männerporträts gesammelt hat. Aber sonst stößt es den männlichen Sammlern immer noch auf, dass es Männerakte sind. Das funktioniert im Jahr 2017 genauso wenig wie in den Jahrhunderten davor.
„Es gibt viel mehr Tabus als früher!“
„Josef Yusuf Bas“, 2006, von Elke Silvia Krystufek
Wonach wählen Sie Ihre Motive aus? Was ist es, das sie an den Personen, die sie darstellen, reizt oder interessiert?
Mir geht es darum, Bilder zu erzeugen, die Bestand haben. Porträtmalerei hat eine ganz lange Geschichte, begonnen bei den Stifterbildern und der Ikonenmalerei, und hat sich dann weiterentwickelt bis zu dem Punkt, an dem man die Dargestellten nicht immer erkennt. Früher waren das noch öfter Aufträge, mittlerweile hat man ja völlig freie Wahl, wen man porträtieren möchte.
Ihre Motive werden von mir automatisch mit Ihnen in Bezug gesetzt. Ich bilde mir dann ein, dass es da eine Art von Beziehung oder tieferes Interesse an der Person gibt, die oft auch prominent ist ...
Es ist eine rein künstlerische Beziehung. Im Schnitt ist die Hälfte der von mir Porträtierten schon verstorben, so wie Marilyn Monroe oder Jesus. Man muss auch sagen, dass das Internet seit den 90er-Jahren einen wichtigen Faktor für meine Motivwahl darstellt. Das hat jede Art der Recherche und Kunstproduktion total verändert.
Josh Hayden, den ich öfter porträtiert habe, habe ich z. B. nur im Internet recherchiert. Es gab zwar Kontakt, aber wir haben keine Fotovorlagen ausgetauscht. Anders sieht es etwa bei dem Musiker Kim Fowley aus, den ich kennengelernt habe und von dem ich einige Fotos selbst gemacht habe, die ich dann als Vorlage herangezogen habe.
„Es war immer schon schwer, politische Kunst zu verkaufen!“
„culture against culture“, 2009, von Elke Silvia Krystufek
Und die Arbeiten entstehen größtenteils nach Fotos? Oder ist das ganz unterschiedlich?
Früher sind sie öfter live entstanden, aber mittlerweile haben wir so eine Übermacht der Fotografie, dass ich auch vermehrt damit arbeite. Man müsste außerdem auch jemanden finden, der noch so lange sitzen möchte. Das war immer schon immer ein Problem – das halten nicht viele Leute durch.
Ich habe einige Live-Zeichnungen angefertigt, aber die Möglichkeit, dass jemand ein bis zwei Stunden ruhig sitzt, ist selten gegeben. In dieser Zeit kann man gerade mal eine schnelle Zeichnung machen. Gemälde dauern dann noch viel länger.
Maskerade, Transformation, Rollenbilder – die Obsession des Kostümierens. Ist das etwas, das sie in Ihrer Kindheit schon für sich entdeckt haben, oder kam das erst durch die Auseinandersetzung mit der feministischen Theorie?
In meiner Kindheit war das normal, weil mein Vater, der unter anderem Schauspiel studiert hatte, immer für uns Kinder performt hat. Er hat sich nicht verkleidet, aber er hat auf jeden Fall eine Rolle verkörpert. Da war es dann normal, dass wir auch mitspielten. Und ich bin sehr viel ins Theater gegangen, auch als Kind schon, und habe gesehen, dass Oper und Theater etwas Normales ist. Ich bin damit aufgewachsen.
Sie haben sich in Ihrer Kunst eine Persona kreiert. Auf der einen Seite denkt man, diese Rolle hat etwas sehr Intimes und spiegelt die Wirklichkeit wider, auf der anderen Seite wird klar, dass hier der Modus der Repräsentation und unterschiedliche Blickregime mitverhandelt werden.
Für mich kommt diese Maskerade aus dem Theaterbereich. Ich habe mich dem Theater immer sehr nahe gefühlt. Da wird nie die Frage gestellt, ob das jetzt die Person ist oder nicht, weil klar ist, dass etwas gespielt oder konstruiert wird. Mich hat immer schon gewundert, warum in der Kunst diese Frage nach Authentizität gestellt wird, weil es im Theater klar ist, dass es diese nicht gibt.
Derzeit finde ich es spannend, wie Maskerade in die Realpolitik eintritt. Eine der wichtigsten politischen Themen für mich ist die Frage, warum man sich jetzt nicht mehr verschleiern darf. Jetzt ist das plötzlich in den Vordergrund getreten, und ich finde es ganz wichtig, mich damit zu beschäftigen.
Für mich ist es auch spannend, dass ich da ununterbrochen an Grenzen stoße. Der Galerist Christian Meyer wollte beispielsweise keine Ausstellung mit meinen Werken zum Thema arabische Verschleierung machen, weil ihm das zu brisant war.
„Man hat sogar in der freien Kunstszene Angst, Zielscheibe von Islamisten zu werden.“
„Give it to me words“, 2004, von Elke Slivia Krystufek
„Kim Fowley“, 1995, von Elke Silvia Krystufek
Warum ist das Thema so angstbesetzt?
Ich glaube, man hat selbst im Galeriekontext, sogar in der freien Kunstszene Angst, Zielscheibe von Islamisten zu werden. Der österreichische Künstler Robert Jelinek hat mich eingeladen, für seine Buchserie Der Konterfei eine Publikation zu gestalten. Das Erste, worüber wir diskutieren, war das Cover. Auf den Covers werden immer die Autorinnen fotografiert dargestellt – in meinem Fall wird es ein verschleiertes Cover geben.
Sie schreiben ja auch gerne und integrieren die Texte in Ihre Gemälde. Speisen sich diese Texte aus einem Archiv oder wird erst während dem Malen klar, was da dann stehen soll?
Es gibt einerseits Texte, die während der Malerei entstehen, zusätzlich habe ich eine riesige Bibliothek und ein Archiv meiner Texte für den Literaturbereich bzw. für den Grenzbereich zwischen Kunst und Literatur.
Einige der von Ihnen eingesetzten Texte sind in Fremdsprachen verfasst – Französisch, Japanisch, Arabisch. Warum?
Ich hatte 2004 ein Bild für das Museum in Bozen angefertigt, auf dem der Text in arabischer Schrift abgebildet ist. Damals ging es mir darum, etwas aufzubrechen, weil man sich im Kunstbetrieb meistens auf Englisch verständigen muss. Das erzeugt ja schon immanent eine politische Dominanz.
Ich hatte dann noch ein weiteres Projekt, eine Installation, die 2005 für die Einzelausstellung „Proper Use“ im Museum Dhondt-Dhaenens produziert wurde, da kam das Wort GOTT in sechzehn verschiedenen Sprachen vor, wobei ich dann später festgestellt habe, dass man im Judentum den Namen Gottes gar nicht schreiben darf. Der Gemeinderabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Schlomo Hofmeister, hat mir dann allerdings erklärt, dass man, wenn man den Namen Gott falsch schreibt, ihn doch wieder verwenden darf. Das interessiert mich an Religion: die vielen Grenzen.
In der Kunst gibt es keine Grenzen?
Sogar im Kunstbetrieb gibt es mittlerweile immer mehr Grenzen. Seit der Sache mit den Männerakten und meiner Beschäftigung mit der Verschleierung, musste ich die Erfahrung machen, dass ich eigentlich ständig etwas nicht ausstellen darf. Dass es da einerseits Ängste gibt und sich andererseits die Leute wenig mit Religion beschäftigen. Mir war gar nicht klar, dass es von Seiten der Ausstellerinnen so vehemente Restriktionen gibt.
„Es ist frustrierend, weil die politische Arbeit nicht gemacht werden darf.“
„you don’t want to be one of those Picabias you say“, 2009, von Elke Silvia Krystufek, MilionArt
„Your childhood“, 2009, von Elke Silvia Krystufek, Galerie Nicola von Senger
Ich dachte eher, dass es heute so gut wie keine Tabus mehr gibt?
Es gibt viel mehr Tabus als früher! Die stark politischen Arbeiten, mit denen ich im Kunstkontext sozialisiert wurde, findest du im Moment fast gar nicht. Man möchte annehmen, dass Künstlerinnen die Freiheit haben, sich wie auch immer zu artikulieren.
Frustriert Sie das als Künstlerin?
Es ist frustrierend, weil die politische Arbeit nicht gemacht werden darf, und meine Vitalität als Künstlerin eigentlich genau daraus gekommen ist, dass es eine Zeit lang möglich war, viel zu wagen, und dass diese großen feministischen Ausstellungen mit meinen Arbeiten in Museen gezeigt worden sind. Damals wurde gefragt, ist das überhaupt notwendig? Jetzt sieht man ja: Es war total notwendig, und es war auch total spannend, daran als Künstlerin teilzunehmen.
Gibt es auch gesellschaftlich mehr Tabus?
Es gibt sehr viele gesellschaftliche Kontrollen, ein realisiertes Orwellsches „1984“. Dadurch gibt es weniger politisches Engagement. Was als Arabischer Frühling begonnen hat, hat nur zu Krieg und Zerstörung geführt, weil diese eigentlich positive Kraft total niedergeschlagen wird. Die wird aber nicht von den arabischen Ländern selbst niedergeschlagen – die wird global unterdrückt.
Lässt sich politische Kunst heutzutage schlechter verkaufen?
Es war immer so, und auch jetzt ist es so, dass politische Kunst kaum mehr existieren kann und wenn, wird sie in Nischen gedrängt. Wir leben in einer Gesellschaft, wo wirklich mehr zensuriert wird.
Vielen Dank für das Gespräch.
„Le paysage ouvert“, 2009, von Elke Silvia Krystufek, MilionArt