„Das Brain fickt.“
Bisher wurden die meisten VR-Pornos für Männer produziert.
Mariella Drechsler, Yann Sprajc: Seht Ihr Euch als Vorreiter in der europäischen Virtual-Reality-Erotikbranche?
Tobias Platte: Ich würde sogar behaupten, wir sind die Vorreiter weltweit! 2020 haben wir die vrXcity gelaunched. Dort kann man im virtuellen Raum sexuell mit berühmten Pornostars interagieren. Nach persönlichen Vorlieben können verschiedene Sexpositionen in einer detaillierten, fotorealistischen Umgebung erlebt werden. VR-Pornos gab es aber schon vor uns. Das waren ursprünglich hauptsächlich 180 Grad Filmchen, bei denen man sich im Raum umsehen konnte. Das Ganze wurde mit einer 3D-Kamera aufgenommen. Ein Standard-Blowjob wurde ein bisschen von vorne, ein bisschen von hinten gefilmt. Man konnte bei solchen VR-Filmen nicht aktiv teilnehmen, genau genommen waren es Erotikvideos mit einem dreidimensionalen Hintergrund.
Was ist das Neue an Euren VR-Pornos?
Bei uns ist das Besondere, dass man mit den Avataren, also den virtuellen Pornodarstellerinnen, interagieren, sie virtuell anfassen und bewegen kann. Man ist sein eigener Herr und seine eigene Frau und produziert einen eigenen Erotikfilm, in dem man zum Beispiel die Geschwindigkeit steuern kann. Weltweit gesehen gibt es mittlerweile zwei, drei Nachahmer, aber in der Qualität, in der wir es anbieten, sind wir Marktführer.
„Texas Patti tanzt vor mir auf dem Tisch und macht einen schönen Strip.“
Ist die VR-Brille erst einmal aufgesetzt, wird die reale Welt schnell vergessen.
Warum ist interaktiver VR-Porn geil?
Der Hauptvorteil ist, dass man nicht nur Zuschauer ist, sondern aktiv mitwirkt. Mit der VR-Brille kann man voll in das Geschehen eintauchen und seiner Fantasie freien Lauf lassen. Auf Erotik-Messen wie der AVN Las Vegas oder der Venus Berlin habe ich gesehen, wie die Nutzer und Nutzerinnen die reale Welt um sich herum völlig vergessen. Um die Person mit VR-Brille stand auf den Messen eine große Menschentraube, doch den Spielenden war das offensichtlich völlig egal. Sie vergaßen, dass sie in einem Raum voller Zuschauer saßen, man sah, welchen sexuellen Vorlieben sie folgten und konnte es live miterleben. Das ist ein großer Vorteil von VR, man taucht wirklich sehr tief in die virtuelle Welt. Wie ich immer so schön sage: „Das Brain fickt.“ Hört sich jetzt ein bisschen hart an, ist aber so.
Wann wird die VR-Technologie gefährlich?
Man kann sich natürlich auch ganz schnell in diesen Welten vollends verlieren. Es ist wie mit dem normalen Pornokonsum auch, wird er übertrieben, ist er nicht gerade förderlich, um eine reale Beziehung aufzubauen. Ein Nachteil ist derzeit auch noch, dass die Technologie und die Hardware noch nicht so weit sind, dass man die VR-Brille 24 Stunden tragen mag. Mir persönlich reicht es nach einer Stunde, dann muss ich die Brille absetzen, da es schon sehr anstrengend wird. Wenn die Framerates in Zukunft größer werden und die Brillen leichter – wer weiß, vielleicht wird es dann leichter für die Nutzer? Derzeit braucht man einen schnellen Rechner, denn alles, was bei uns passiert, wird auf der Grafikkarte und dem Prozessor live gerendert.
„Da kann ich endlich mal die Brüste anfassen.“
Die Entwicklung von Avataren schreitet schnell voran und nimmt immer weniger Zeit in Anspruch – im Moment sind es rund sechs bis acht Wochen.
Ist es denkbar, dass interaktive VR-Pornos die „normalen“ Erotikstreifen irgendwann ablösen werden?
Ich glaube schon. Voraussetzung ist, dass sich die Technologie weiterentwickelt, sodass man keinen Gamer-PC mehr benötigt. Man setzt eine kabellose Brille auf, zwei Controller, WLAN und meinetwegen Handschuhe mit Gefühlssensorik, und dann geht’s los, aufs Bett oder auf die Couch. Noch spannender finde ich eine Kombination zwischen VR und AR, sodass ich meine reale Umgebung sehe und Texas Patti tanzt vor mir auf dem Tisch, macht einen schönen Strip und setzt sich dann auf meinen Schoß.
Würdest Du einen VR-Porn einem realen Erlebnis vorziehen?
Ich glaube nicht! So gut Computerpuppen auch sein mögen – uns Menschen macht unser Bewusstsein, unsere Sensibilität und unsere Lebendigkeit aus. Ehe wir diese Faktoren mit Technologie imitieren können, vergehen noch Jahrzehnte. Allein schon das Wissen: „Das ist kein Mensch“, macht mit uns was. Alles, was wir momentan entwickeln, denken wir als zusätzlichen Spaß zum realen Sexerlebnis. Unsere VR-Pornos sind dazu da, Fantasien auszuleben, die man im normalen Leben nicht verwirklichen kann. Wenn ich in der „normalen“ Welt nicht rauskomme, kann ich einfach in unsere vrXcity gehen und poppe mal im Oval Office oder mit einer Porno-Darstellerin, die ich sonst immer nur passiv in den Filmchen sehe. Da kann ich endlich mal die Brüste anfassen und muss mir das nicht nur vorstellen. Es ist eine Erweiterung, aber realer Sex wird weiter existieren.
Gibt es Überlegungen, etwa einen Blow-Job taktil zu imitieren?
Natürlich, wir sind mit Hardware Herstellern wie Lelo, fleshlight und ähnlichen Masturbatoren-Firmen in Kontakt. Wir kommen da momentan an gewisse Grenzen, da ich noch keinen Männer-Masturbator gefunden habe, der einen wirklichen Blow-Job imitieren kann. Die derzeitigen Masturbatoren sind hoch entwickelt und auch richtig gut mit Röllchen, Druckluft, Saugen, aber sie kommen an das Gefühl, das mir Texas Patti geben sollte, noch nicht ran. Das sind Probleme, die gelöst werden müssen.
„Man wird irgendwann mal virtuell auf dem Mond Sex haben können.“
Die vrXcity-City als rechtsfreie Zone? Platte winkt ab. „Alles im ethisch vertretbaren Rahmen.“
Habt Ihr schon coole Technologien ausfindig gemacht?
Wir waren vor zwei Jahren in London und haben so einen Bodysuit ausprobiert. Als ich im Raum einen virtuellen Kasten Bier hochgehoben habe, hatte ich das Gefühl, das Ding ist sauschwer, obwohl ich nichts in der Hand hatte. Mir wurde in der VR-Welt über den Arm gestrichen und ich habe das gespürt, das war faszinierend. In diesem Bereich sind wir schon sehr weit in puncto Imitation, wo durch Druckluft und Muskelstimulation das reale Gefühl sehr realistisch rübergebracht wird. Gut, da wo wir es brauchten, hatten die keine Sensoren (lacht). In diese Richtung forschen wir zusammen mit verschiedenen Herstellern, wobei wir da für Frauen wahrscheinlich schneller vorankommen werden als für Männer.
Gibt es Regeln in der vrXcity? Wie weit darf man gehen?
Alles was erlaubt ist, werden wir in die vrXcity integrieren. Natürlich kann man der Dame ordentlich auf den Hintern hauen – gut, gehört auch dazu. Es gibt aber No-Gos wie Sex mit Kindern, mit Tieren oder erniedrigende Sachen, die wir ethisch nicht vertreten können. Sonst wollen wir unsere Freiheiten in der Virtual Reality voll nutzen. Man wird irgendwann bei uns auf dem Mond Sex haben können. Es wird auch möglich sein, die Avatare den eigenen Ansprüchen nach zu gestalten: große oder kleine Brüste, großer oder kleiner Hintern, alles im ethisch vertretbaren Rahmen.
„Alles was erlaubt ist.“
„Normale“ Erotikstreifen? Bald Geschichte, glaubt Platte.
Zurzeit erlebt man alles aus der Perspektive des Mannes. Denken Sie auch an einen Perspektivenwechsel?
Wir haben das am Plan, aber irgendwo müssen wir mal anfangen und die Hauptklientel bei Erotik und Pornos sind nun mal Männer. Es ist ein sehr großer Aufwand, diese Avatare lebensecht wirken zu lassen. Die Brüste müssen sich richtig bewegen und die Genitalien sollten realistisch aussehen und „funktionieren“. Unser Ziel ist es, für jeden etwas anzubieten, egal welche sexuelle Orientierung oder welches Geschlecht er oder sie hat. Die Erstellung eines Avatars dauerte anfangs sechs bis acht Monate, momentan sind wir bereits bei sechs bis acht Wochen! Aber erst einmal die Männer, dann kommt der nächste Schritt.
Wie könnte die Zukunft des VR-Porn aussehen?
Das Social-VR-Porn ist die Zukunft, die wir uns vorstellen: Wie ein großer Club, wo man reingeht – á la Ready Player One. Man setzt die Brille auf und taucht in die Welt ein. Zunächst wird man an seinem eigenen Avatar bauen und überlegen müssen, wie man sich selbst darstellt. Gehe ich mit meinem eigenen Gesicht rein oder nutze ich einen Avatar-Creator? Wir diskutieren auch, wie realistisch wir mit unseren Welten sein müssen. Zeigen wir dieses absolut Realistische, wie wir es jetzt haben? Oder gehen wir eher ins Hyperrealistische, wo es Sachen gibt, die in der Realität gar nicht existieren: fliegende Autos oder die Möglichkeit, an der Decke entlangzulaufen. Mal abgesehen von den Bandbreiten und den technischen Gegebenheiten wird das spätestens in zehn Jahren Realität werden.
Wir danken für das Gespräch!
Tobias Platte ist Co-Gründer und CEO des Berliner IT-Unternehmens me.mento 3D Interactive GmbH, ein globales 3D-Tech-Unternehmen mit Sitz in Berlin. Seit 2014 liegt dessen Kernkompetenz in der lebensechten Darstellung und Vollanimation von Menschen und Umgebungen für digitale Anwendungen, hauptsächlich für Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR).
Dieser Beitrag entstand im Rahmen einer Kooperation mit der Meisterschule der Graphischen Wien. Dieser Artikel erscheint außerdem in der C/O Vienna Magazine Sonderausgabe THE CONSUMER ISSUE. Hier bestellen!