Elisa Meyer ist Gründerin der Kuschel Kiste, einem Leipziger Unternehmen, das Kuscheln auf Bestellung in Österreich, Deutschland und der Schweiz anbietet. Ein Gespräch über Tabus, Social Distancing und Berührungsmangel.
Aufgrund der Pandemie hätten manche Personen besonderen Kuschelbedarf gehabt, erzählt Elisa Meyer.
Michelle Vlasic: Kuscheln ohne sich zu berühren ist schwer möglich. Inwieweit hat das Social Distancing in der Pandemie Deine Arbeit erschwert?
Elisa Meyer: Wir wurden als körpernaher Dienstleister eingestuft, wie Masseure. Wir hatten während der Lockdowns quasi Berufsverbot in Deutschland.
Mit ärztlichem Attest konnte man aber trotzdem zum Kuscheln kommen. Wie das?
Das ist neu! Wir haben eine Kundin, die in ärztlicher Behandlung ist, da es ihr psychisch nicht gut geht. Die hat von ihrer Psychiaterin ein Attest bekommen, welches besagt, dass sie für ihre psychische Gesundheit unbedingt kuscheln muss und im Lockdown keine Pause einlegen darf. Es ist in dem Fall also medizinisch notwendig. Es gibt Menschen, die sind durch die Corona-Situation sehr mitgenommen und können Kuscheln gut gebrauchen.
Aus welchen Gründen kommen die Leute noch zu Dir?
Durch Corona kamen einige neue hinzu, vielen fiel in der Pandemie auf,
dass sie im Alltag sehr isoliert sind. Das war wahrscheinlich auch
vorher schon so, nur wurde es nun deutlicher, nicht zuletzt, weil es in
den Medien so oft thematisiert wurde. Durch Berührung wird Oxytocin
ausgeschüttet. Das heißt, wenn man sehr isoliert lebt, kann man sich
ganz leicht depressiv fühlen, es kann auch passieren, dass dadurch
körperliche Symptome und Nebenwirkungen auftreten.
Die Kuscheltherapie soll den Kundinnen unter anderem dabei helfen, mehr Selbstbewusstsein aufzubauen.
Was für Symptome sind das?
Man ist schnell gestresst und neigt zu hohem Blutdruck. Es werden
sehr viele positive Hormone beim Kuscheln ausgeschüttet, auch Serotonin
und so weiter. Das kann man als einen Kuschelrausch bezeichnen, der die
Stimmung hebt: man traut sich mehr und ist motivierter. Es erscheint uns
nicht alles so grau und hoffnungslos.
Welche Erwartungen haben die Kundinnen an Dich?
Meine Kunden und Kundinnen fühlen sich eigentlich alle einsam und
sind unglücklich mit ihrer Situation. Sie wünschen sich mehr
Selbstbewusstsein, wollen mehr aus sich herausgehen und mit Leuten
interagieren können, sich trauen, andere anzusprechen und so neue
Beziehungen und Freundschaften knüpfen. Sie können das aus verschiedenen
Gründen nicht von sich aus ändern. Es herrscht eine große Mauer
zwischen ihnen und den Menschen in ihrer Umgebung. Wir helfen.
Wie läuft so eine Session ab?
Zuerst wird via E-Mail ein Termin vereinbart und man beschreibt kurz,
warum man kuscheln will, wie es einem geht, was für Erwartungen man
hat. Beim Termin setzt man sich hin und redet erstmal ein
bisschen miteinander, bevor man zu kuscheln beginnt.
Was wird da so beredet?
Ich würde dir erstmal erklären, wo
die Tabuzonen sind, also wo du mich nicht anfassen darfst. Wenn irgendwo
Erregung passiert, ist das okay, aber wir entspannen uns dann wieder
und wechseln beispielsweise die Position. Das Kuscheln soll ganz
absichtslos sein und nicht sexuell oder erotisch. Wir erklären, dass der
Kunde jederzeit sagen kann, was er will und wenn er was nicht gut
findet. Man braucht da hundertprozentig offene Kommunikation, sonst
passieren da ganz blöde Situationen. Ein Körperteil schläft ein, man
fühlt sich unwohl in einer Position, äußert es aber nicht. Konsens ist
da das Stichwort. Ich sage auch, wenn mir etwas nicht gefällt. Mir soll
es ja als professionelle Kuschlerin auch gut gehen.
Nicht nur manche Kundinnen verheimlichen die Kuscheltherapie, auch Elisa Meyer erwähnt meist nicht sofort, dass sie Profikuschlerin ist.
Beschreibe mal den Ablauf einer Kuschelstunde!
Wenn wir uns gut verstehen und ich mir sicher bin, dass du die Regeln
befolgen kannst, dann geht es los und du ziehst dich um. Es ist ein
wenig wie Yoga, der Kunde soll es bequem haben. Ich trage ebenfalls eine
Jogginghose und ein T-Shirt. Anschließend gehts zum Arbeitsplatz, der
Couch. Zu Beginn würde ich fragen, ob du mich zum Hallo Sagen mal
umarmen magst oder zur Begrüßung meine Hand halten willst, um zu spüren,
wie sich das anfühlt. Es ist ja doch eine fremde Person. Ein sanfter
Einstieg eben.
Und dann?
Dann würde ich fragen, was du von Löffelchen hältst, oder
ob du eine Lieblingsposition hast. Dann fangen wir mit dem an, was du
schon kennst und was dir so gefällt. Nach zehn Minuten ist die Aufregung weg und das Ganze ist normaler. Dann traut man sich
auch zu sagen, ich mag, wenn du mit meinen Haaren spielst, kannst du
vielleicht meine Ohren kneten. Es gibt da alles Mögliche!
Hast Du schon mal eine Session abgebrochen?
Theoretisch ist das immer möglich, auch vom Kunden aus. Wenn dieser
sagt: „Nein, ich fühle mich doch nicht wohl.“ Von meiner Seite wäre das,
wenn sich jemand wiederholt nicht an die Regeln hält. Es gibt Momente,
wo jemand zufällig an die Brust streift, dann sage ich, dass derjenige
aufpassen soll, das ist eine Tabuzone. Ich lege die Hand dann woanders
hin. Wenn ich sehe, er probiert das alle fünf Minuten, dann breche ich
schon ab. Wenn man
etwas Erotisches will, dann gibt es ganz klar andere Dienstleistungen.
Wie ist die Reaktion, wenn Du Dich als Profikuschlerin vorstellst?
Mittlerweile vermeide ich es, gleich am Anfang zu erwähnen, dass ich
Profikuschlerin bin, weil es sehr viel Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Ich bin tendenziell eher schüchtern und man wird gleich mit so vielen
Fragen bombardiert. Die erste Reaktion ist dann gleich Neugierde. „Oh,
ich könnte das nicht!“ und „Das kann ich mir gar nicht vorstellen!“.
Viele nehmen das gar nicht ernst im ersten Moment und glauben, es ist
ein Scherz. Es ändert sich, wenn sie mehr darüber hören, vor allem über
die körperlichen und biologischen Effekte, das wird ernst gekommen.
Profi-Kuschlerinnen sollten kein zu großes Mitteilungsbedürfnis haben, sondern gut zuhören können.
Brauchen wir alle mehr Zärtlichkeit?
Kinder jedenfalls! Berührungen tragen zum Wachstum bei, man fühlt
sich geliebt, sicher und traut sich mehr zu. Gerade für den Stressabbau
brauchen Erwachsene Berührung. Wenn es einem schlecht geht, man ein
bisschen depressiv ist, wenn man Sachen erlebt, die einen schockieren
und einem Angst machen, dann braucht man Zuneigung. Man braucht das
Kuscheln, um sich psychisch zu beruhigen, auch wenn man krank ist. Gegen
ein schwaches Immunsystem hilft Kuscheln.
Am besten prophylaktisch regelmäßig kuscheln?
Es gibt Studien, die zeigen, dass die Selbstheilung
durch Berührung beschleunigt wird. Wir als Säugetiere sind Gruppentiere
und keine Einzelgänger. Wenn wir von der Gruppe isoliert werden, werden
wir unglücklich. Wir versuchen, wieder in die Gruppe reinzukommen. Das
beobachtet man bei allen Herdentieren.
Kuschelst Du privat anders als beruflich?
Gute Frage. Von außen gesehen sieht man vielleicht keinen so großen
Unterschied. Ich habe da ganz ähnliche Positionen. Was jedoch anders
ist, ist die Einstellung. Wenn ich professionell kuschle, bin ich sehr
neutral und zeige keine eigenen Bedürfnisse. Ich beurteile den Kunden
nicht; er ist, wie er ist. Als professionelle Kuschlerin bin ich dafür
verantwortlich, dass es dem anderen gut geht, nicht mir. Wenn ich privat
kuschle, darf ich auch mal selbst bedürftig sein, meine Bedürfnisse
befriedigen und das bekommen, was ich brauche.
Hast Du eine Lieblingskuschelposition?
Privat ist das anders als beruflich: Ich bin privat meist in der
schwächeren Position, wie ein kleines Baby. Ich kuschle mich gerne an.
Wenn ich mit Kunden kuschle, mag ich das lieber, wenn ich die Mama-Rolle
einnehme. Ich sitze hinter den Kunden, die lehnen sich an mich an. Ich
kann sie halten und wiegen, den Kopf kraulen und die Muskeln kneten. Das
ist meine Lieblingsposition, weil die Kunden sehr schnell in eine Art
Trance verfallen und komplett entspannen.
„Auf jeden Fall sich selbst berühren.“
Im vergangenen Jahr hat Elisa Meyer das Buch „Berührungshunger. Kuscheltherapie als Antwort auf unseren modernen Lebensstil“ herausgebracht.
Was macht eine gute Profikuschlerin aus?
Sehr spannende Frage! Du
musst den Kunden reden lassen, allgemein viel Empathie besitzen. Es braucht
ein gutes Körpergefühl. Es ist wichtig, privat und professionell zu
trennen. In der Kuschel Kiste pflegen wir das Prinzip, prinzipiell mit
jedem zu kuscheln, auch wenn wir denjenigen vielleicht privat
unsympathisch finden.
Was denkst Du, schreckt die Leute daran ab, zu sagen: „Ich kauf mir ein bisschen Intimität?“
Intimität zu kaufen, ist vor allem für Frauen ein Tabu. Aber
immerhin, ein Drittel unserer Kundinnen ist mittlerweile weiblich.
Patientinnen kommen meistens aus einer Not heraus, weil sie Erfahrungen
mit Missbrauch, Burnout oder anderen psychischen Problemen gemacht
haben. Frauen sind nicht gewohnt, für sowas Geld
auszugeben, ihrer Idee nach sollte das unbezahlt in der Partnerschaft
stattfinden.
Wie sieht es bei Männern aus?
Männer haben mit unserem Angebot weniger Probleme. Die hegen eher
Bedenken, dass Kuscheln nicht als männlich angesehen wird. Wenn ich als
Kerl sage, ich gehe jetzt in ein Puff, dann nicken meine Kumpel das ab
und sagen: „Ja, mach das, habe Spaß!“ Viele meiner Kunden halten es
streng geheim, dass sie zu mir kommen. Käme das raus, wäre das für sie
total peinlich. Früher war das mit der Psychotherapie ja auch so, es war
ein Zeichen von Schwäche, wenn man hinging, heute ist das ganz normal.
Hast Du als Profikuschlerin ein paar Kuscheltipps für unsere Leserinnen?
Wenn du ganz alleine bist, also Single, dann ist mein Ratschlag, sich auf jeden Fall selbst zu berühren und sich
selbst zu massieren, beispielsweise den Nacken zu kneten. Einfach was
Gutes für den Körper zu tun, ein Bad zu nehmen oder sich selbst
ausgiebig einzucremen – alles, was mit Berührung zu tun hat. Schlechte
Nachricht: Man kann das Gehirn nicht überlisten – das weiß, dass man
sich selbst berührt, es schüttet nicht so viel Oxytocin aus, wie wenn
das jemand anderes macht. Haustiere helfen da sehr, oder man vereinbart
sich doch ein Kuscheldate.
Elisa Meyer wuchs in Luxemburg auf und studierte Germanistik, vor einigen Jahren gründete sie die Kuschel Kiste,die Kuschelservicein Österreich, Schweiz und Deutschland anbietet. Mit der Wirkung von Berührung befasst sie sich auch in ihrem Buch Berührungshunger. Kuscheltherapie als Antwort auf unseren modernen Lebensstil (2020).
Dieser Beitrag entstand im Rahmen einer Kooperation mit der Meisterschule der Graphischen Wien. Dieser Artikel erscheint außerdem in der C/O Vienna Magazine Sonderausgabe THE CONSUMER ISSUE. Hier bestellen!