Die Rauchfangkehrerin

Physik, Chemie und das pure Leben

Sonja Högler ist Rauchfangkehrerin. Sie kann sich keinen schöneren Beruf vorstellen. Wir haben sie bei ihrer Arbeit über den Dächern Wiens begleitet und geprüft, ob sie wirklich Glück bringt.

„Was für ein Glück, der Rauchfangkehrer ist da!“

Bringst Du wirklich Glück?

 Ich erzähl Dir mal, woher diese Glücksbringerlegende stammt!

Oh ja! Märchenstunde …

Früher waren Häuser noch gänzlich aus Holz gebaut, wie auch die Rauchfänge, in denen sich Ruß sammelte, der sich ab und an entzündete und so schnell das ganze Gebäude entflammte. Um das zu vermeiden, brauchte es eine Person, die den Rauchfang kehrte – der Rauchfangkehrer. Er war ein Wandernder, der von Dorf zu Dorf zog und daher nicht oft zugegen war. Kam er mal wieder ins Dorf, sagten die Menschen: „Was für ein Glück, der Rauchfangkehrer ist wieder da!“ Durch ihn wurden die Menschen vor ihre Existenz zerstörenden Hausbränden bewahrt, wodurch er seit damals – und bis heute – als Glückbringer angesehen wird. 

Wieso denken viele, man sollte die Knöpfe Deiner Uniform berühren?

Unsere Knöpfe sollten gar nicht berührt werden. Der Mythos besagt, man sollte die eigenen Knöpfe drehen, um das Unglück abzuwenden. 

Eine Überlieferung erzählt, dass durch den kaiserlich und königlichen „K. u. K. Hofrauchfangkehrer“ des Schloss Schönbrunns das Fortbestehen des Kaiserhauses gesichert wurde, da er während der Kehrung im Kaminschacht eine Verschwörung mithörte und so aufdeckte. Haben Rauchfangkehrer deshalb für Wien eine spezielle Bedeutung?

Das ist für die Wienerinnen sicherlich ein Zusatzgrund, die Rauchfangkehrenden als Glücksbringer anzusehen. Zu Ehren dieser Tat wurden allen Wiener Rauchfangkehrerinnen weiße Häubchen verliehen, die wir bis heute noch immer tragen. Die Kolleginnen aus den anderen Bundesländern müssen im Gegensatz dazu eine schwarze Haube tragen. 

„Physik, Chemie und das pure Leben“

Was bringt einer Rauchfangkehrerin selbst Glück?

Es ist schon ein Glück, dass man diesen Beruf hat (lacht). Ich habe dauernd Glück im Leben, aber das liegt vielleicht auch an meinem positiven Gemüt. 

Wieso brauchen wir Rauchfangkehrerinnen?

Wir leisten einen wesentlichen Beitrag für die Sicherheit der Stadt, das ist auch unser gesetzlicher Auftrag. Durch Abgaskontrollen verrichten wir vorbeugenden Brandschutz, wodurch wir viele Unfälle vermeiden.

Wie bist Du als Frau zu dem Beruf gekommen?

Ich bin sozusagen hineingeboren. Meine beiden Brüder wurden zuerst gefragt, ob sie den Rauchfangkehrerbetrieb meines Vaters übernehmen wollten. Dass ich das tun könnte, wurde gar nicht erst in Erwägung gezogen (lacht). Ich hatte allerdings als einzige von uns Dreien Lust, mir das genauer anzuschauen, und bin dann mit der Zeit hineingewachsen. Neben der Lehre habe ich Biologie studiert, das war hart, aber ich möchte beides nicht missen. 

Ein Biologiestudium und eine Rauchfangkehrerlehre, wie passt das zusammen?

Beides ist Physik, Chemie und das pure Leben! Im Studium hat mich immer die Verhaltensforschung interessiert, ich habe die Antriebe von Tieren untersucht. In der Rauchfangkehrerei hat man viel mit Menschen zu tun, oft ist die Handlungsmotivation bei ihnen nicht viel anders als in der Zoologie. 

„In der Badewanne lag ein Krokodil.“

Wie die Tiere also!? Was muss man als Rauchfangkehrerin besonders gut können?

Man sollte sportlich sein, handwerkliches Geschick mitbringen und ein Verständnis für Technik und Digitalität haben. Empathie, Feingefühl und ein guter Umgang mit Konflikten sollten auch zu den Stärken gehören, denn Menschen wollen sich verstanden fühlen.  

Bist Du schon in Konflikte mit Bewohnerinnen geraten?

Nicht wirklich, ich bekomme eher mit, dass Menschen sehr unterschiedliche Lebensinhalte und -weisen haben, wodurch sie manchmal fürchterlich drauf sind, das bekommt man dann schnell ab. Man merkt, wenn etwas in deren Leben gerade nicht funktioniert, das darf man aber nicht persönlich nehmen. Einfach Ruhe bewahren und nach dem Problem fragen, da hat dann meine Anwesenheit schon fast einen psychotherapeutischen Charakter. 

Erzähl mir ein paar Anekdoten!

Oh, da gibt es einige (lacht). Wir waren schon bei totalen Messies, schick eingerichteten Grafen und einmal bei einem König aus einem afrikanischen Land, der seinen ganzen Harem zu Hause wohnen hatte. In eine Wohnung mussten wir mal mit dem Sozialamt rein, denn die Frau hatte unglaublich viele Hunde und Katzen, denen sie aber Windeln anzog, statt mit ihnen spazieren zu gehen. Da hat es bestialisch gestunken! Es gab auch noch den „Reptilienmann“: In dessen Badewanne lag ein Krokodil, das war ein Schock für mich. Glücklicherweise hat er es jetzt nicht mehr, macht sich aber noch immer Scherze mit unseren Gesellen, indem er eine Gummischlange hinter dem Kehrtürchen platziert.

„Unter mir die noch schlafende Stadt“

Gibt es außer einem Krokodil in der Badewanne etwas, das Dir noch unangenehmer bei der Arbeit ist?

Bei brütender Hitze und mit schwerem Werkzeug bepackt in den fünften Stock zu latschen. 

Und das Schönste für Dich in Deinem Beruf?

Wenn am Ende des Tages wieder ein Problem gelöst ist und die Kundschaft mit meiner Lösung zufrieden ist und natürlich über den Dächern von Wien zu stehen und unter mir die noch schlafende Stadt friedlich liegen zu sehen. Dabei umgibt mich kühle Luft und ich sehe, wie die aufgehende Sonne die Stadt in goldenes Licht taucht. Immer wieder, wenn ich das erlebe, liebe ich es und bin ganz und gar im Reinen mit der Welt und mir selbst.

Ist es dort oben nicht sehr kalt im Winter?

Doch, aber der Sonnenaufgang ist so wunderschön, dass er mich fast zu wärmen scheint. Außerdem arbeiten wir ganz oben bei den Schornsteinen, da halte ich einfach meine Finger über die Ausmündungen und reibe sie mir, dann wird es schön warm. 

Was gefällt Dir am besten, wenn Du über Wiens Dächer blickst?

Ich liebe die vielen Dachgärten. Im Frühjahr sieht man ihnen die Motivation der Menschen an, die sie besitzen, wie sie alles bepflanzen und hübsch machen. Über den Sommer hinweg wird dann aber oft das Gießen vergessen und die Oasen über Wien mutieren zuweilen zu verdorrten Wüsten. Das bringt mich zum Schmunzeln.

„Der bessere Mann sein“

Welchen Einfluss hat der Klimawandel auf Deinen Beruf?

Die Politik will weg vom Gas und auf Wärmepumpen umsteigen. Wenn das ganz Wien täte, bräuchten wir in der direkten Umgebung gefühlt fünf Atomkraftwerke, da man bei denen mit Strom hinzuheizen muss. Und wo sollen die Pumpen hin, auf die Dächer? Dafür gibt es keinen Platz. Bei manchen Häusern wurden die Rauchfänge sogar für die Wärmepumpen schon stillgelegt. Nun kann man dort zu Not nicht mal mehr mit Kohle und Holz dazu heizen. Die Leute werden frieren im Winter – wie im Mittelalter.

Gab es mal eine unangenehme Situation, als Du eine junge unerfahrene Rauchfangkehrerin warst?

Ja, ich sollte als Lehrling allein eine Wohnung kehren, mein Geselle war in der gegenüberliegenden Tür. Der Kunde hat mich als 18-Jährige sehr irritiert und geängstigt, denn er hatte nach dem Hereinkommen die Türe von innen abgeschlossen und als ich mich zu dem Putztürchen in die Dusche lehnte, machte er blöde Meldungen von hinten. Mein Geselle hatte das mitbekommen, klopfte harsch an die Tür, machte ordentlich Wirbel und dann war’s auch gut.

„Der Abgrund ist wie ein Sog, irgendwie magisch!“

Was sagst Du angehenden Rauchfangkehrerinnen, die Du an der Berufsschule unterrichtest, was auf sie im Job zukommen könnte?

Mein Vater meinte früher zu mir: „In der Prüfung musst Du der bessere Mann sein!“ Die ältere Generation hatte Frauen schief angesehen und belächelt, wenn sie diesen Beruf erlernen wollten. Das ist heute glücklicherweise nicht mehr so. Es ist klar, dass man in diesem handwerklichen Beruf viel mit Männern zu tun hat, da darf man kein schüchternes Mäuschen sein, sondern muss sich behaupten. Allen jungen Frauen, denen ich in diesem Beruf bisher begegnet bin, musste ich das allerdings nicht erklären, die haben alle eine große Klappe (lacht). 

Was ist wirklich gefährlich oben auf dem Dach?

Es gibt Laufstege und Brüstungen, deshalb ist es eigentlich nicht gefährlich. Nur das Hantieren mit Werkzeugen auf engstem Raum kann schwierig sein. Wenn sich eine lange Leine verheddert und man versucht, daran zu zerren, kann man schnell den Halt verlieren. Oder eine der Kugeln rollt in Richtung Abgrund und man versucht, sie noch aufzuhalten, – das kann böse enden!

In welcher Situation hat Dich einmal die Angst gepackt?

Normalerweise ist die Absturzgefahr auf einem großen Flachdach immer ein paar Meter entfernt, deshalb bin ich kaum direkt mit der Höhe konfrontiert. Einmal bin ich aus Interesse an den Rand getreten, einfach um zu schauen, da wurde mir schon mulmig. Du kennst es vielleicht selbst, der Abgrund ist wie ein Sog, das ist irgendwie magisch!

Was ist der größte Fehler, der einer Rauchfangkehrerin passieren kann?

Wenn man eine große Dunstabzugshaube in einer Luftverbundsprüfung (Prüfung der Luftmenge, damit Verbrennung und das Abströmen der Abgase gesichert sind, Anm. d. Red.) übersieht. Gasthermen produzieren Abgase, die nur nach oben wegwandern können, wenn genügend Luft hinterher strömt. Dunstabzugshauben erzeugen einen Unterdruck, wenn diese gleichzeitig mit der Therme laufen, könnten die Abgase zurück in den Raum gezogen werden und Menschen sterben. Normalerweise ist das automatisiert, dass Dunstabzug und Therme nicht zeitgleich laufen, doch muss es von uns überprüft werden. Dieses Prozedere wird auch in jeder Gesellenprüfung abgefragt. 

„Patschokieren, kontrolliertes Ausbrennen und Beschliefen“

Der Beruf des Rauchfangkehrers ist seit 2019 immaterielles Kulturerbe von Österreich und zählt damit zu den 124 ehrwürdigsten Traditionen des Landes. Welche Rituale gehören zu Deinem Beruf?

Wir gehen immer kurz vor Jahresende „wünschen“, also von Tür zu Tür unserer Kundinnen. Manche warten wirklich drauf, dass der Rauchfangkehrer nochmal vor Silvester kommt und reichen Kaffee oder Schnapserl. Wir sind schließlich seit 20 Jahren im selben Grätzel unterwegs und kennen die Leute. Man sitzt dann oft zusammen und führt Schmäh. Unsere Arbeit selbst trägt schon die Tradition in sich, wir arbeiten teilweise mit Techniken und Werkzeugen, die schon seit 500 Jahren so angewandt und verwendet werden. 

Welche alten Techniken sind das?

Sehr alt ist das Patschokieren: Man überstreicht den rauchgeschwärzten Putz des gemauerten Rauchfangs mit einer Lehmmasse und einem dicken Pinsel, so wird verhindert, dass sich Ruß-Rückstände entzünden. Das kontrollierte Ausbrennen wird kaum mehr angewendet, da es sehr aufwändig und gefährlich ist. In enge Rauchfänge (ca. 15 cm x 17 cm, Anm. d. Red.) wird mit einem Gerät Diesel hineingesprüht, so wird der Ruß kontrolliert von oben nach unten weggebrannt. Es braucht dafür mehrere Rauchfangkehrende, und man muss mit der Feuerwehr in Kontakt stehen. Dann gibt es noch das Beschliefen, also einen großen Rauchfang hinaufklettern, so wie der Weihnachtsmann (lacht). Man muss sich mit Füßen und Ellenbogen in die Diagonale klemmen, mit der eigenen Muskelkraft nach oben robben und dabei den Schacht kehren. Wichtig ist hier die Atmung, denn man bekommt fast keine Luft und sieht nichts, da überall Ruß ist. 

Dein Lieblingswerkzeug?

Mein Handbeserl! Man braucht es täglich und es kann divers eingesetzt werden. 

Wie viel Rauchfangkehrerin steckt in Deinem Herzen?

Sehr viel. Der modrige Geruch eines Dachbodens ist für mich wie nach Hause zu kommen. Gehe ich privat durch die Straßen und ich höre das Klirren von Werkzeugen, weiß ich immer, wenn es ein Rauchfangkehrer ist. Da geht mir mein Herz auf!

Danke für das Gespräch, dass dem Magazin und mir hoffentlich viel Glück eingebracht hat!

Sonja Högler (*1967) hat Biologie studiert. Sie ist Rauchfangkehrermeisterin und hat einen Sitz im technischen Ausschuss der Wiener Rauchfangkehrerinnung. Im Jahr 2000 übernahm sie den Rauchfangkehrer-Betrieb ihres Vaters, heute Högler & Söhne, im sechsten Wiener Gemeindebezirk, in dem inzwischen auch ihre beiden Söhne Max und Moriz beschäftigt sind.

(dp)

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