Die Reiter-Schwestern

Von guten Schuhen und schlechteren Tagen

The Shoe must go on! Die beiden Schwestern Magdalena & Anna Reiter heißen nicht Ludwig mit Vornamen und sind Frauen – anders als die männlichen Firmenchefs vier Generationen davor. Sie verkörpern den frischen Wind, der in die Ludwig-Reiter-Schuhdynastie einzuziehen beginnt. Wir besuchten die beiden auf einem idyllischen Gutshof in Süßenbrunn nahe Wien, wo die berühmten rahmengenähten Modelle angefertigt werden, und sprachen über das Thema ihres Lebens: Schuhe.

Text: Antje Mayer-Salvi

„Der Geruch von Leder bedeutet Heimat für uns.“

Antje Mayer-Salvi: Können Sie sich beide noch an Ihre allerersten Schuhe erinnern?

Magdalena Reiter: Die ersten, die mir im Gedächtnis geblieben sind, waren Schuhe für ein Faschingsfest. Das waren goldene Ballerinas, die hat uns eine Mitarbeiterin in der Produktion extra gefertigt – aus sehr schönem goldenen Hirschleder. Die haben wir getragen bis zum Gehtnichtmehr. Wir waren schon zu groß, da haben wir sie immer noch getragen, beim Spielen und im Gatsch und überall; wir wollten sie einfach nicht mehr ausziehen. Die waren einfach so schön!

Und die haben Sie noch?

Anna & Magdalena R.:  Naja, wir haben noch einen Schuh davon, der andere ist in einen See gefallen.

Hand aufs Herz! Wie viele Paar Schuhe besitzen Sie außerdem?

Anna R.: Wir haben einen sehr großen Schuhkasten – da sind sicher 150 Paar drin! Wir teilen uns die Schuhe im Grunde mit unserer Mutter, denn wir drei haben dieselbe Schuhgröße. Wir können sehr schlecht Schuhe weggeben, ausmisten ist ganz schwierig für uns. Das ist eine schlechte Angewohnheit in der Familie Reiter, wir wollen immer alle unsere Schuhe behalten, selbst wenn sie schon komplett ausgelatscht sind.

Passt das zur Ludwig-Reiter-Philosophie, dass sich drei Menschen ihre Schuhe teilen? Man sagt doch: „Einem Schuh wohnt der Geist des Menschen inne, der ihn trägt.“

Anna & Magdalena R.: Eben! Wir sind ganz eng miteinander, da passt das schon! Wir teilen auch unsere Anziehsachen, überhaupt ganz vieles im Leben (lachen).

„Teilen unsere Anziehsachen"

Wie ist es, wenn man mit der Schwester gemeinsam in einem Unternehmen arbeitet? Gibt es da nie Konflikte?

Anna R.: Es macht vor allem Spaß! Immer eine Challenge natürlich, aber unser Familienunternehmen war immer präsent, seit unserer Kindheit, das ist für uns beide ganz normal. Für mich könnte es nicht besser sein – mit meiner Schwester, meinem Vater und meinem Onkel zusammenzuarbeiten. Mein Vater hat das Unternehmen von seinem Vater mit gerade einmal 23 Jahren übernommen und der wiederum von seinem.

Wie viele Jahre sind Sie beide auseinander?

Anna & Magdalena R.: Nur zwei.

Haben Sie zwischen den Lederstapeln und Maschinen gemeinsam gespielt?

Magdalena R.: Ja, natürlich! Wo wir halt hindurften. Der Geruch von Leder bedeutet Heimat für uns, der ist ganz wichtig für unser Wohlbefinden. Wir verbrachten schon als Kinder viel Zeit im Unternehmen. Beim Abendessen wurde über die Firma gesprochen. Unsere Eltern nahmen uns oft auf Reisen und Messen mit, das war cool für uns, weil wir von klein auf schöne Städte erkunden konnten. Manche unserer Mitarbeiterinnen kennen uns seitdem wir Kinder waren.

„Wir haben zwischen den Lederstapeln Verstecken gespielt.“

Worüber hat sich die Familie Reiter unterhalten, wenn sie beim Abendessen saß?

Anna R.: Oft hat unser Vater irgendwelche Muster mit nach Hause gebracht, die haben wir anprobiert, sind Probe gelaufen – das besprachen wir dann abends ...

... Probe gehen?

Anna R.: ... ja, Probe gehen! Das machen wir heute noch. Wir testen ein Muster oder Modell, schauen, wo es drückt, wo es Verbesserungsbedarf geben könnte, was gut ist. Wir fragen auch oft Freunde, wie der Schuh bei ihnen ankommt. Über solche Modelle haben wir sehr oft bei Tisch gesprochen ...

Magdalena R.: ... und dann natürlich über das tägliche Brot. Wie sich das Geschäft weiterentwickelt, über neue Filialen, neue Mitarbeiterinnen und neue Möglichkeiten und Märkte. Alles eben, was geschäftlich so über den Tag angefallen ist.

„Ludwig Reiter war einer der Pioniere in der Retro-Sneaker-Welle Mitte der 80er-Jahre, die den Sneaker-Hype von heute formte.“

Stehen ausschließlich Ludwig Reiter Schuhe in Ihrem Schrank?

Anna R.: Eigentlich schon. Ich habe noch ein paar Modelle aus der Kollektion aus meiner Zeit bei Louis Vuitton, wo ich sechs Jahre in London gearbeitet habe, aber die ziehe ich kaum noch an. Wir beide tragen nicht gerne Stöckelschuhe, wir sind ohnehin schon so groß.

Und wenn Sie sich für Stöckelschuhe entscheiden, dann von wem?

Magdalena R.: Von Ludwig Reiter natürlich!

Ludwig Reiter führt Stöckelschuhe?

Magdalena R.: Ja klar, wir haben immer wieder Stöckelschuhe im Sortiment.

Was sollte ein guter Schuh haben, damit er ein guter Schuh ist?

Anna R.: Er sollte aus wahnsinnig schönem Leder produziert sein; Tragekomfort ist ganz wichtig. Man muss darin den ganzen Tag das machen können, was man machen möchte, und er muss natürlich auch Komplimente bringen.

Magdalena Reiter: Deswegen lieben wir unsere Polo-Stiefel. Sehr schön, zeitlos, cool – die kann man auch anziehen, wenn man noch sehr jung ist. Alle unsere Schuhe sind nur aus natürlichen Materialien. Da ist kein Stück Plastik dran. Die Laufsohle ist aus Leder. Die Sohle ist mit einem Korkbett eingefüllt, das heißt sie ist sehr angenehm am Fuß zu tragen und atmungsaktiv.

„Ein guter Schuh muss auch Komplimente bringen!“

Sie beide besitzen keine Nikes oder Adidas?

Anna R.: Nein, das ist nicht unser Stil. Wir haben sehr gute Sportschuhe in unserem Programm. Ich würde sogar behaupten, Ludwig Reiter war wesentlich mit daran beteiligt, dass die Sneaker gerade so einen Hype erleben. Wir waren mit die Ersten, die den „Trainer“, ein Modell des Österreichischen Bundesheeres, das damals in der Kitzmantelfabrik in Vorchdorf im Salzkammergut produziert wurde, verbessert wiederaufgelegt haben – und das schon Mitte der 80er-Jahre! Das ging damals aus einer Zusammenarbeit mit dem bekannten österreichischen Modedesigner Helmut Lang hervor. Ich bin kürzlich sogar einen Wettbewerb mit unserem Marathon-Modell aus Veloursleder und ultraleichtem Textil gelaufen.

Hatten Sie noch nie in Ihrem Leben Blasen an den Füßen?

Magdalena R.: Doch sicher. Im Sommer, wenn es sehr heiß ist, kriegen sogar WIR Blasen (lacht), im Winter aber vor allem von diesen schrecklich harten Skischuhen ...
 

Anna R.: ... und da wir schon als Kinder keine Schuhe weggeben konnten, aber unsere Füße schnell wuchsen, trugen wir beide ständig Modelle, die uns zu klein waren. In denen bekamen wir regelmäßig Blasen. Es gibt leider keine blasensicheren Schuhe!

Gibt es einen Ludwig-Reiter-Bestseller?

Anna R.: Es gibt den sogenannten „Husarenstiefel“. Das Modell kommt auch aus der Kitzmantelfabrik im Salzkammergut. Der ist wunderschön. (Preis: knapp 1.200 Euro, Anm. d. Red.)

Magdalena R.: Diesen Schuh hat Brad Pitt übrigens in unserer Berliner Filiale gekauft und dann im Quentin-Tarantino-Film „Inglourious Basterds“ getragen. Der basiert auf ungarischen Kavallerie- und alten alpinen Skistiefeln. Ein sehr robuster Schuh aus Juchtenleder, natürlich rahmengenäht.

„How can you recognize a true Gentleman? By his Shoes.“

Hat Ludwig Reiter in den 30er-Jahren auch fürs Militär produziert?

Anna R.: Bereits 1887 belieferte Ludwig Reiter die k. u. k. Sicherheitswache mit Maßstiefeln und rahmengenähten Offiziersschuhen. Für die Armee wurden bis in die 1940er-Jahre Stiefeletten zur Ausgehuniform und Reitstiefel gefertigt. Unsere Manufaktur wurde dann aus Wiener Neustadt ausgesiedelt, um Platz für eine Maschinenproduktionsstätte zu machen. Stattdessen richteten wir 1940 in der Schuhmanngasse im 17. Bezirk eine neue Werkstätte ein. Während des Krieges produzierten wir weiterhin Schuhe  – für die Zivilbevölkerung, aber auch für das Militär. Damals gab es für Unternehmen wie uns die Bedingung, dass wir nur produzieren durften, wenn wir auch etwas an den Staat abgaben. Nur so konnte man Arbeitsplätze wichtiger Mitarbeiter sichern, weil sie somit nicht in den Wehrdienst mussten, und man auch nur so seine Arbeitsmaterialien behalten konnte.

Wenn Sie jemanden das erste Mal treffen, schauen Sie zuerst auf die Schuhe?

Magdalena und Anna R.: Leider, immer. Das ist eine blöde Angewohnheit von uns. Es ist wirklich oft so, dass man über die Schuhe viel über den Charakter eines Menschen erfahren kann. Jemand, der einen super toll aussehenden Anzug anhat und dazu irgendwelche abgelatschten Treter, macht uns stutzig. Wie lautet das berühmte Zitat von Oscar Wilde: „How can you recognize a true Gentleman? By his Shoes.“

Vielen lieben Dank für das Gespräch!

Der Ee-zay

Text: Elisa Promitzer

Modedesigner KENNETH IZE, ausgesprochen EE-ZAY, lebt und arbeitet in NIGERIA, das derzeit wohl mit spannendste Land für zeitgenössische Mode. Aufgewachsen ist er in Wien, wohin er mit seiner Familie als Vierjähriger ins politische Exil flüchtete. Was ihm sein Studium FASHION UND DESIGN an der Universität für angewandte Kunst in Wien brachte, welche Tradition sich hinter dem nigerianischen Material ASO-OKEversteckt und warum NAOMI CAMPBELL für seine Shows läuft, erzählt er uns gut gelaunt auf seinem Kurzurlaub in Österreich.

Der Pferdenarr

Text: Lisa Lugerbauer

Oberstallmeister Johannes Hamminger

Ein Lipizzanerhengst wiehert, das Mobiltelefon des pensionierten Oberstallmeisters JOHANNES HAMMINGER läutet. Den edlen Pferden der Spanischen Hofreitschule, Sinnbild Wiener Kulturtradition, ist das egal. Die Spitzensportler unter den Vierbeinern traben in aller Ruhe von ihren Stallungen über den Hof zum täglichen Morgensport, um fit für die jahrhundertealten Reitkunststücke zu sein. Warum finden wir Pferde so schön? Was finden Pferde schön? Hat ein Pferd Schamgefühle und kann beleidigt sein? Hamminger gibt Auskunft. 

Die Schönheit der Verschwendung

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Ihre Kunst ist bestürzend und schön zugleich: Die niederländische Künstlerin und Fotografin Thirza Schaap kreiert aus angeschwemmtem Plastikmüll bizarre Skulpturen, um auf die globale Verschmutzung der Meere aufmerksam zu machen. Wir haben sie im südafrikanischen Kapstadt am Atlantischen Ozean erreicht.  

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Text: Elisa Promitzer

Auf der Rückfahrt vom Urlaub spielen die Kinder Karten, die Eltern machen ein Nickerchen – und die KÜNSTLICHE INTELLIGENZ (KI) sitzt am Steuer. Was in Europa wie Science-Fiction klingt, ist in San Francisco Realität. Die multidisziplinären Künstler TOMO KIHARA aus Japan und DANIEL COPPEN aus London machen mit ihrer Spielsimulation HOW (NOT) TO GET HIT BY A SELF-DRIVING CAR auf die blinden Flecke selbstfahrender Autos aufmerksam und sprechen mit uns über magische Kreise und SPRECHENDE TOILETTEN. Wie einfach man von einem autonomen Fahrzeug gerammt werden könnte und wie unterschiedlich die Reaktionen der Spielerinnen sind, dokumentieren sie auf ihrer Welttournee.