I have no fear. I have no fear.
„When I was a child, I toyed with dirt. I killed the slugs, I bored with a bough in their spiracle.“ Seit bald 15 Jahren singt die österreichische Ausnahmekünstlerin SOAP&SKIN von Tod und Schmerz, von Natur und Heilung. Sie durchbohrt uns mit ihrer Stimme und schnürt uns die Luft ab, nur um uns dann im Anschluss besser atmen zu lassen. Man liest den Songtext zu Spiracle anders, wenn man weiß, dass die 30-jährige Anja Plaschg in einem steirischen 200-Einwohner-Dorf auf einer Schweinemast aufgewachsen ist. Ein Gespräch über tote Schweine, Würfelzucker-Hexen und sprechende Bäume.
„Ich war immer das Schwarze Schaf.”
Eva Holzinger: Das Internet sagt, Du bist in der kleinen Ortschaft Poppendorf in der südlichen Steiermark aufgewachsen. Das klingt nach Provinz pur.
Anja Plaschg: Eigentlich bin ich aus dem Nachbardorf Katzendorf. Das klingt nicht nur viel schöner als Poppendorf, sondern passt auch viel besser. Wir hatten immer Katzen am Hof, in unserer Hochphase waren es 25 gleichzeitig. Leider ist Katzendorf mit annähernd 200 Einwohnerinnen so klein, dass es sogar aus dem Internet verschwindet. Ich wollte es auf Wikipedia einmal korrigieren, aber irgendjemand hat es wieder auf Poppendorf zurück geändert.
Hattest Du eine schöne Kindheit?
Ich bin auf jeden Fall sehr dankbar, dass ich so aufwachsen durfte, auch wenn schlimme Dinge passiert sind. Das Landleben und eine Kindheit am Bauernhof können wunderschön sein. Jeder kennt sich, alle helfen einander aus. Ich glaube vor allem dadurch, dass ich mit jungen Jahren den Ort verlassen habe, ist meine Heimat für mich heute etwas Faszinierendes und Inspirierendes. Der Abstand erlaubt mir das Schwärmen. Ich weiß nicht, wie es mir damit gehen würde, wenn ich länger in Katzendorf geblieben wäre.
„Am Heimweg lag oft ein totes Schwein vor der Tür.”
Wie darf man sich Deinen damaligen Alltag am Schweinemast-Hof vorstellen?
Mir wurde erst später bewusst, wie absurd mein Alltag eigentlich war. Mein Schulweg führte zum Beispiel über den Friedhof. Jeden Morgen habe ich tote Menschen in ihren Gräbern gegrüßt. Am Heimweg lag dann oft ein totes Schwein vor der Tür. Manchmal habe ich schulfrei bekommen, weil die Schweine aus dem Stall ausgebüchst sind. Dann musste das gesamte Dorf mithelfen, um sie wieder einzufangen. Die Schweine haben mich immer fasziniert. Ich habe sie heimlich gefüttert und ihnen Namen gegeben. Besonders aufregend war es, wenn die TKV, also die Tierkörperverwertung, gekommen ist. Wenn sich die Pforten der Transportfahrzeuge geöffnet haben, sind wir auf den Silo geklettert, um hineinzuschauen. Mit vierzehn wurde ich dann Vegetarierin …
Provinz und Pubertät – wie hat sich das in Deinem Fall vertragen?
Ich kann nur für mich sprechen, ich war jedenfalls sehr frühreif. Ich wollte alles so schnell erleben, wie es nur geht. Mit 12 Jahren habe ich bereits geraucht und nahm bei Alkoholexzessen bei diversen Feuerwehrfesten teil.
Das Landleben kann schon sehr brutal sein…
... es ist voller Morbidität und Tristesse. Die Provinz hat für mich auch etwas Er- und Bedrückendes. Wer anders ist, fällt auf. Ich war immer das Schwarze Schaf, ich habe diese Rolle aber irgendwann richtiggehend antizipiert und als Motor für meine Kreativität genutzt.
„Alles war Sünde.”
Hat das Landleben Deine Musik beeinflusst?
Auf jeden Fall. Neben dieser psychologischen Unterdrückung, die in einer Dorfgemeinschaft stattfindet, war es vor allem der Katholizismus, der mich beeinflusst hat: die Dorfkapellen, die erzkatholischen Rituale.
War Deine Familie religiös?
Meine Eltern weniger, meine Großmutter sehr. Sie hat mich Hexe genannt, weil ich einmal einen Würfelzucker aus ihrem Zimmer gestohlen habe. Alles war Sünde. Ich habe das Sterben meine Großeltern sehr nah miterlebt. Es war ein langes Sterben im Bett. “Himmelmutter, hilf!” hat meine Oma immer geschrien. Dieses Anbeten, diese Hilferufe haben sich bei mir ganz fest eingebrannt.
In Deinem Album “From Gas to Solid / You are my friend“ gibt es inhaltlich und visuell viele Bezüge zur Natur.
Ja, Natur und vor allem Wasser sind das Thema dieses Albums. Ich empfinde es als riesengroßes Problem, dass der Mensch sich so von der Natur entkoppelt hat. Man muss keine Drogen nehmen, um einen Baum wahrzunehmen; um seine Schönheit zu erkennen, um zu verstehen, was er leistet und welche Geschichten er erzählt. Sich mit Natur zu beschäftigen, ist schon längst nicht mehr “hippiesk” oder esoterisch. Wenn wir so weitermachen, stirbt die Erde. Wir dürfen nicht mehr wegschauen. Menschen halten an hohlen Dingen fest, die von den düsteren Zuständen der Welt ablenken. Wenn ich in Kunst keinen Bezug zur Natur wahrnehme, interessiert sie mich nicht. Während der Pandemie hat ein Opernhaus in Barcelona ein Streichquartett von Puccini für über 2.000 Topfpflanzen gespielt. Das hat mich zum Beispiel zu Tränen gerührt. Es war eine Aufforderung für einen behutsameren Umgang mit der Natur.
„Der Dialekt ist in Wien einfach von mir abgefallen.“
Woran arbeitest Du gerade?
An einem Filmprojekt, bei dem ich die Hauptrolle spiele und die Filmmusik mache. 40 Drehtage lang habe ich eine arme und sehr gläubige Bäuerin aus dem 17. Jahrhundert gespielt. Als Vorbereitung verbrachte ich viel Zeit in Katzendorf, ich musste meinen Dialekt wieder lernen.
Wann hast Du Deinen Dialekt verlernt?
Als ich nach Wien gekommen bin, war er auf einmal weg. Er ist einfach von mir abgefallen, das war kein bewusstes Abstoßen. Es war ein interessanter Prozess, auch sprachlich wieder zuhause anzukommen.
Könntest Du Dir vorstellen, wieder aufs Land zu ziehen?
Am Land zu sein, gibt mir einen Frieden, den mir nichts anderes geben kann. Tiere schaffen es auch, mich in die Gegenwart zu bringen. Ihre Präsenz ist so heilsam, weil sie nicht urteilen. Die Intelligenz der Natur ist eine nahbare und freizügige. In ihrer Ordnung und Kreisläufen erzählt sie alles über das Leben. Aber es gibt nichts am Landleben zu romantisieren. Vielleicht ist es wieder so etwas typisch Menschliches, dass man erst vollkommen von ihr getrennt werden muss, sozusagen aus dem Paradies vertrieben, um wieder zurück zu ihr zu wollen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Anja Plaschg, aka Soap&Skin, 1990 in der Südoststeiermark geboren, wuchs im beschaulichen Katzendorf auf. Mit 16 Jahren zog sie nach Wien, um bei Daniel Richter auf der Akademie der Bildenden Künste Malerei zu studieren. Zwei Jahre später brach sie ab und feierte zeitgleich erste, vielbeachtete musikalische Erfolge. In ihrer Musik vereint Plaschg experimentelle elektronische Klänge mit teils klassischer Instrumentierung, mal leise, mal erschütternd, aber immer getragen von ihrer unverkennbaren, einzigartigen Stimme. Vor allem auf den ersten beiden Alben verdichten sich diese musikalischen Elemente zu einer schwermütigen, aber schönen, Atmosphäre. 2013 kam ihre Tochter Frida zur Welt, die auf Heal, erschienen auf Anjas letztem Album From Gas to Solid / you are my friend, den letzten Vers singen darf: „I have no fear. I have no fear.“ Das Werk hat etwas Versöhnliches, es klingt optimistisch. Und die Heilungschancen dieser Welt steigern sich zum Ende des Albums hin sogar noch weiter: Der letzte Track ist eine Cover-Version von Louis Armstrongs What A Wonderful World. 2024 begeistert sie nicht nur mit ihrer Musik, sondern auch als Schauspielerin. Im österreichischen Historiendrama "Des Teufels Bad" vereint sie ihre beiden Talente: Sie komponiert den Soundtrack und spielt die Rolle der tiefreligiösen und hochsensiblen Agnes. Der 121 minutenlange Film wurde bei der Berlinale 2024 präsentiert und läuft seit 8. März 2024 in (österreichischen) Kinos.
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