Von Hängebusen und Hängehoden
Die Künstlerin Sophia Süßmilch ist bekannt für ihre schrägen Performances, schamlose Selbstironie und ihren frechen Instagram-Kanal. Dass sie in Realität recht zurückgezogen lebt und nur eine Kunstfigur darstellt, verstehen nicht alle. Wir reden mit ihr über ihr Privatleben, über Shitstorms, warum sich Brüste wie Waffen anfühlen, und wie das so ist, mit der eigenen Mutter nackt Kunst zu machen.
„Selbst, wenn Du die Welt untergehen siehst ...“
Was macht Dich verlegen, was ist Dir peinlich?
Beim Lügen erwischt zu werden und Komplimente von Leuten, die ich hot finde, machen mich manchmal verlegen. Peinlich ist mir, wenn betrunkene Künstlerinnen einen Scheiß reden, während ich nüchtern bin. Das ist nicht auszuhalten – besonders in Wien natürlich.
Kriege, Inflation, Klimakatastrophe, Patriarchat. In dieser Welt zu funktionieren, durchzuhalten und nicht durchzudrehen, sind die zentralen Fragen, denen Du Dich als Künstlerin und denen sich vielleicht auch unsere Leserinnen stellen. Was ist Deine Antwort?
Eine meiner Antworten darauf ist ein Zitat von Martin Luther, das die Pfarrerin Lena Müller mit mir teilte: „Und wenn morgen die Welt unterginge, so würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“ Diese Haltung hat auch viel mit Künstlerinnen-Sein zu tun: „Selbst, wenn Du die Welt untergehen siehst, schöpfe weiter!“
Zum „Schöpfen“ gehört auch das Kinderkriegen. Macht das für Dich als Frau in dieser Welt noch Sinn?
In einer Disney-World-Version meines Lebens will ich natürlich Kinder haben. Aber ich bekomme erst dann ein Kind, wenn ich dafür bezahlt werde, weil es einfach der krasseste Job von allen ist. Dennoch liebe ich Kinder, auch wenn sie nervig sind. Ich hätte nie gedacht, dass ich als Frau ohne Kinder bin. Nie!
„Ich schwanke zwischen Energie und tiefer Depression.“
Welcher Wahnsinn der heutigen Zeit macht Dich am meisten fertig?
Der alltägliche. Der Wahnsinn, sich mit Dingen wie Steuererklärungen, Zoomlinks und Fingernägel sauber zu machen, beschäftigen zu müssen. So Krimskrams. Ich sollte eine neue Zahnbürste im Drogeriemarkt kaufen, vor dem Hintergrund, dass das Leben eigentlich wahnsinnig dramatisch ist, wir nur dieses eine haben und es jederzeit vorbei sein kann.
Dich quält ein Weltschmerz?
Weltschmerz ist etwas Cutes. Ich schwanke zwischen Energie und tiefer Depression. Mich treibt einerseits ein Tatendrang, andererseits will ich oft alles hinschmeißen. Das ist natürlich Teil meiner dramatischen Persönlichkeit. Manchmal denke ich mir, dass ich gar nicht so depressiv bin, sondern mir gerade nur langweilig ist.
Während Deiner letzten Performance „Sanatorium Süßmilch“ bist Du für 30 Tage in das Linzer Fotografie- und Medienmuseum „Francisco Carolinum“ gezogen, hast Dich dort massieren lassen, während Besucherinnen unter der Liege liegen und mit Dir plaudern konnten. Du meintest, Du würdest auf die typischen „Schmerz- und Leid-Performances“ pfeifen und auf die damit vermeintlich einhergehende Bewusstseinserweiterung à la Marina Abramović. Was nervt Dich denn so sehr daran?
Mich nervt daran, dass diese „Schmerz- und Leid-Performances“ Pop geworden sind und zu einer gerne erzählten Genie-Erzählung gehören. Manche haben mich in Linz sogar gefragt, ob ich aus dem Museum rausdürfe. Natürlich durfte ich raus. Das war ja kein Gefängnis. Man schaue einfach einer Geburt zu! Das ist das Extremste, das es gibt. Im Vergleich dazu finde ich Marina Abramovićs' Performances „The Artist is Present“ und ihr Knochenwaschen lächerlich.
„Beinhaar-Rasier- und Abnehm-Wahn-Shit.“
Deshalb willst Du lieber entspannen als leiden?
Das Thema Entspannung beschäftigt mich persönlich ganz arg, weil ich überhaupt nicht relaxen kann. Ich finde etwa Vernissagen, und währenddessen mit Besucherinnen zu sprechen, wahnsinnig anstrengend. Aber durch die Massage, dachte ich mir, würde ich es besser aushalten.
Therapierst Du Dich mit Deinen Performances?
In Wirklichkeit war das Projekt „Sanatorium Süßmilch“ in Linz total anstrengend, weil ich ja größenwahnsinnig war und meinte, ich muss 30 Porträts in 30 Tagen malen und dazu noch eine Leinwand mit vier x zehn Meter mit der Weltformel produzieren. Ich habe vor lauter Arbeit kaum geschlafen. Ich weiß, das widerspricht dem Konzept, aber ich kann nicht anders. Das nächste Mal würde ich mir weniger aufhalsen.
Während Du massiert wurdest, konnten sich Besucherinnen unter Deine Liege legen und mit Dir plaudern. Welches Gespräch blieb bei Dir hängen?
Ein Mann, der eigentlich ein Konzert im Gebäude nebenan besuchen wollte, war zufällig hereingestolpert und lag eine Dreiviertelstunde unter mir. Er stellte ganz naive, offene und ein bisschen konservative Fragen zu allem und plapperte drauf los. „Das ist ganz schön nah, das hält man ja fast nicht aus. Ich kenn' mich ja mit Kunst nicht so aus, aber das ist schon ungewöhnlich, oder?“ Das fand ich total erfrischend und nicht so pathetisch.
„Das ist ganz schön nah, das hält man ja fast nicht aus.“
Ist Sophia Süßmilch Dein richtiger Name?
„Sophia Süßmilch“ steht in meinem Ausweis. Sich selbst von dem abzutrennen, was man wann, wo und wie präsentiert, finde ich schwierig. Trotzdem bin ich gerne bei mir und zwar bei mir als ganzem Menschen. Die Präsentation auf Social Media ist nur ein Spiel, das mir allerdings sehr viel Spaß macht. Der Unterschied zu meinem medialen Image ist, dass ich um acht Uhr im Bett liege. Ich bin eine sehr caring Person, recht introvertiert, brauche viel Ruhe, trinke eigentlich nicht und gehe nicht aus. Ich bin aber auch 40 Jahre, ne?!
Du sagtest, Du seist größenwahnsinnig. Wie ist Dein Verhältnis zur Arbeit?
Ich bin ein Workaholic. In Dingen, die nirgendwo hinführen, finde ich keine richtige Erfüllung. Ich gehe schon gerne mal ins Kino oder zum Essen, aber ich glaube, ich bin niemand, mit dem man stundenlang abhängen kann. Deshalb habe ich letzten Sommer Freizeit trainiert. Während Corona habe ich auf die Pandemie mit Arbeiten reagiert. 18 Stunden Atelier, kurz geschlafen, aufgewacht und bums weiter. Das war eine Panikreaktion auf all die Sachen, die zu der Zeit passierten.
Du setzt Dich in Deinen Werken mit dem Thema Tod, Geburt oder psychische Gesundheit auseinander. Warum so existenzielle Themen?
Ich fand meine spontane Antwort: Ich habe versucht, abstrakt zu malen, aber da wurde mir schnell langweilig. Es gibt ein Buch von Roger Willemsen „Der Knacks“, worin er beschreibt, dass jeder Mensch im Laufe seines Lebens einen Knacks kriegt. Mein Vater ist gestorben, da war ich 14 Jahre alt. Das war eine existenzielle Erfahrung und mein erster Knacks. Er war damals 44 und ich werde jetzt 40. Das ist eine krasse Sache. Wenn alles gut läuft, ist die Hälfte rum. Ich bin einfach so überrascht darüber, wie schnell das Leben vergeht.
„Weil sich Brüste wie zwei Waffen anfühlen.“
Hängebrüste sind ein Motiv, das man in fast allen Deiner Werke findet. Welche Bedeutung haben sie für Dich?
Ich finde den Begriff Hängebrüste schwierig. Sie hängen einfach. Jedes Jahr mehr. Wenn man von Hängebrüsten redet, sollte man sich einmal Hoden ansehen. Ich frage mich, was wäre, wenn Männer ihre Hoden auf der Brust hätten und wir sie im Matriarchat nach ihrer Hodenkörbchengröße beurteilen würden. Die Beurteilung von Brüsten geht einfach und schnell, weil sie sich an einer exponierten Körperstelle befinden.
Und mit dieser Beurteilung spielst Du?
In der Kunst geht es ja auch um Ästhetik und Anti-Ästhetik. Am Körper kann man das wahnsinnig gut und schnell festmachen. Was finden wir schön? Was finden wir nicht schön? Ich zerlege gerne Körper und denke sie neu zusammen. Das gibt es im Comic, bei Mangas und anderen Kunstformen. Was es nicht gibt, ist die Freiheit der weiblichen Brust und die nicht sexualisierte Nacktheit des menschlichen Körpers. Der nackte Körper ist bei mir weder sexuell gemeint, noch spiele ich mit provozierender Hässlichkeit. Er ist etwas, womit man geboren wird. Sexualisiert und objektifiziert werde ich nicht von mir selbst, sondern von der Gesellschaft.
Worin zeichnet sich die Diktatur, derer sich die weibliche Brust unterzieht, ab?
Ich finde es beispielsweise absurd, dass Frauen in Schwimmbädern ihre Brüste bedecken müssen und Männer nicht. In Berlin darf man in Bädern jetzt oben ohne sein und ich bin es auch. Und das ist eine krasse Erfahrung. Ich werde beschimpft. Ich werde beglotzt. Mir wird hinterhergerufen. Ich wurde noch nicht berührt, sonst würde ich wahrscheinlich zuschlagen. Aber ich hatte schon sehr viele unangenehme Situationen und ich mache es trotzdem, weil sich Brüste wie zwei Waffen anfühlen. Ich denke mir: Kommt nur einer von euch her und ich erschlage euch damit.
„ Ich werde beschimpft. Ich werde beglotzt.“
Deine Kunstfigur ist von Selbstironie und Humor geprägt. Was bringt Dich selbst zum Lachen?
Das, worüber wir letztendlich doch alle am meisten lachen: lustige Internetvideos.
2019 hattest Du einen Shitstorm wegen eines Fotos, auf dem Du Dich mit Melanzani am Körper portraitiert hast: „Self portrait as penis emoji“. Du und Dein Körper wurden beleidigt und Deine Kunst infrage gestellt, bis Du schließlich Deine Social-Media-Kanäle auf privat gestellt hast. Gab es weitere negative Reaktionen auf Deine Kunst, die Dir nah gegangen sind?
Nein. Alle gemeinen Dinge habe ich schon zu mir selbst gesagt und Leute im Internet haben es auch schon zu mir gesagt.
Deine Mama tritt auf Fotos oder während Performances oft mit Dir gemeinsam nackt oder oberkörperfrei auf. Mit welchem Körperbild seid Ihr in der Familie groß geworden?
Mit dem der Mama, die total entspannt mit sich ist, mit dem meiner anorektischen Großmutter und mit dem des Jugendmagazins „Bravo“ hauptsächlich. Diesen Beinhaar-Rasier- und Abnehm-Wahn-Shit kriegt man so früh mit. Das bekomme ich auch nicht mehr raus. Ich scheiße halt bei meinen Performances drauf.
„She just doesn't give a fuck!“
Wie geht es Deiner Mutter damit?
She just doesn't give a fuck. Sie hat fünf Kinder geboren, sie hat ihre „Performance“ geleistet. Da ist es dir dann wirklich scheißegal, ob du vor irgendeiner Kunstbubble stehst. Dieses Selbstbewusstsein schaue ich mir von ihr ab. Dadurch, dass man sich selbst offenbart, gewinnt man eine Unverletzlichkeit. Was kann dir noch jemand weh tun, wenn du deine Wunden zeigst?
Wie ist die Zusammenarbeit zu Deiner Mutter zustande gekommen? War oder ist sie auch Künstlerin?
Nein, meine Mutter war bis zum Tode meines Vaters Hausfrau. Ich glaube, sie wäre gern Fotografin oder Künstlerin geworden. Nachdem mein Vater gestorben war, hat sie seine Hausmeister-Firma übernommen. Sie hat eine körperliche Statur, die ich visuell sehr beeindruckend finde. Ich weiß nicht, wie viel sie von dem, was ich mache, auf intellektueller Ebene versteht, aber sie macht mit, weil sie mich liebt und viel Freude daran hat.
Du wohnst in München, Berlin und Wien. Als Künstlerin bist Du zudem viel unterwegs. Welchen Ort nennst Du Dein Zuhause?
Einen solchen Ort gibt es nicht, ich kann mich nirgendwo länger aufhalten. Aber ich habe eine ganz große Sehnsucht nach einer Heimat, die mit einem Flecken Erde zu tun hat. Ich weiß nicht, ob ich das finden werde. Ich weiß nicht, ob nicht gerade das oder die Verlorenheit in der Welt mein Antrieb ist.
„Ich bin ein Workaholic.“
Wie würde ein Ort, den Du Zuhause nennst, aussehen?
Als Kind in den Neunzigern, als sich all die Boomer Häuser kauften, träumte ich auch davon, reich zu sein, Kinder zu bekommen, eine fette Villa zu kaufen, ein Pferd zu besitzen und chic zu reisen. Aber das sind nur so Popstar-Träume, die man in den Neunzigern eingepflanzt gekriegt hat. Je älter ich werde, umso irrelevanter werden solche Lebensziele. Mein Hauptziel ist es, mich nicht scheiße zu fühlen, sondern okay mit dem zu sein, was ich habe.
Was befindet sich noch in Deiner Warteschleife?
Ich möchte mich noch mit anderen Methoden der Darstellung und neuen Medien auseinandersetzen, weil ich es langweilig finde, in einem Ding stecken zu bleiben. Ich schreibe beispielsweise gerade an einem Roman. Das Schreiben ist so unmittelbar. Hinter einem Bild kann ich mich gut verstecken. Aber beim Schreiben lesen Leute ja wirklich meine Gedanken. Das macht mir Angst, aber das finde ich auch spannend.
Danke für das schöne Gespräch!