"Diese Begeisterung für Handwerk bedient einen neuen Luxus!"
feinedinge* - Porzellanmanufaktur: Sandra Haischberger verarbeitet französisches Porzellan aus Limoges. Jedes einzelne Teil wird in Gipsform gegossen, retouchiert und rohgebrannt, geschliffen, glasiert und danach ein zweites Mal gebrannt. Margaretenstr.35, 1040 Wien, www.feinedinge.at
Hat Handwerk eine Zukunft?
Ja, wenn man sich richtig positioniert. Das heißt, man muss die Chancen, die sich bieten, erkennen und die richtigen Nischen besetzen. Man muss aber eine authentische Story mitliefern. Nur etwas mit den eigenen Händen zu produzieren, reicht nicht mehr.
Warum dieser Hype ums Handwerk?
Eigentlich ist es Ausdruck eines Gegentrends. Globalisierung und Digitalisierung sind Megatrends, die unsere Welt massiv verändert haben und noch weiter verändern werden. So etwas ruft immer auch eine Gegenreaktion hervor. In dieser Begeisterung für das Handwerk kommt die Sehnsucht nach dem Authentischen und Haptischen zum Ausdruck. Gleichzeitig bedient es auch eine neue Form von Luxus. In den westlichen Wohlstandgesellschaften können sich die Menschen viele klassische Luxusartikel leisten - zumindest dann, wenn sie dafür in anderen Bereichen sparen. Zudem werden durch die Sharing Economy Produkte und Dienstleistungen einfach verfügbar gemacht, ohne dass ich sie besitzen muss. Damit werden klassische Statussymbole, wenn sie in großer Masse verfügbar sind, abgewertet. Wenn das der Fall ist, gewinnen Erlebnisse und Erfahrungen im Kontrast zum bloßen Besitzen an Bedeutung. Die Geschichte rund um das Produkt wird dadurch wichtiger als das Produkt selbst. Besonders authentisch wirken eben Geschichten rund um handwerkliche Produkte, weil ich direkten Einblick in die Herstellung und Machart erhalte und sogar den Produzenten kennenlernen kann. Mit dem Begriff muss man allerdings vorsichtig umgehen, denn letztlich ist das ja auch eine Form von Inszenierung.
Wird die Digitalisierung auch das Handwerk verändern?
Die Digitalisierung vereinfacht den Zugang zu Nischen. Ich kann damit jedes Produkt online finden. Es erlaubt kleinen Produzenten, sich zu präsentieren und direkte Wege zu ihren Kunden zu finden. Die Zwischenhändler werden dadurch immer mehr ausgeschaltet. Der Handel steht damit auch online vor neuen Herausforderungen und muss mit neuen Strategien darauf reagieren: etwa mit Bewertungssystemen, personalisierten Empfehlungen oder neuen digitalen Erlebniswelten, die zum Beispiel mit Augmented oder Virtual reality möglich sein werden.
„Boutiquen, die wie Wohnzimmer wirken, Optiker, die wie Cafés aussehen!“
von morgen - makers of finest organic shoes: "Meine Oma hat für ihren ersten Schuh einen Monatslohn gezahlt, das war der Wert damals und ist es auch heute noch." (Nicole Üblacker, Schuhmacher - Meisterin). Große Sperlgasse 19, 1020 Wien, www.vonmorgen.at
Also schlechte Zeiten für das Offline-Ladenlokal?
Das Ladenlokal verliert als Absatzkanal an Bedeutung. Der regionale Bezug eines Produkts ist zwar nach wie vor wichtig, aber als Teil der Story. Es heißt eben nicht, dass das Produkt nur lokal verfügbar ist. Die Digitalisierung schafft ja gerade die Möglichkeit eines größeren Einzugsgebiets an potentiellen Kunden. Der Onlinehandel macht vor keiner Branche halt. Die Lebensmittelbranche ist die letzte, die noch nicht im großen Stil online vertreibt. Auch das ändert sich zusehends. Es gibt immer mehr Technologien, mit denen versucht wird, die Nachteile des Onlinehandels hinsichtlich der Erfahrbarkeit von Produkten zu minimieren. Gerade Essen ist mit sehr vielen Emotionen verbunden.
Ist die „Neukölnisierung“ von Ladenlokalen die Zukunft? Also, dass man egal was man verkauft, zwangsläufig auch Cold-Brew-Coffee oder zumindest Espresso ausschenkt?
Ein Ladenlokal muss die Möglichkeit bieten, mehr davon mitzunehmen, als das bloße Produkt. Das kann mir der Onlinehandel auch problemlos nachhause liefern. Es muss zu einem Erlebnis werden. Das lässt sich natürlich auf unterschiedlichen Wegen bewerkstelligen. Konvergenzmodelle sind da eine Möglichkeit. Die Trennung zwischen Erlebnis, Handel und Gastronomie ist daher vermehrt mehr in Auflösung begriffen: Boutiquen, die wie Wohnzimmer wirken, Optiker, die wie Cafés aussehen. Unterschiedliche Elemente müssen zu einem Gesamterlebnis zusammenwirken. Das wird noch zunehmen. Dabei werden sich Markthallen-Konzepte auf ganze Einkaufsquartiere übertragen.
Es werden sich also gesamte Geschäftsmodelle ändern?
Der Handel erlebt gerade eine Atomisierung seiner Kompetenzen. Es gibt Anbieter, die Teile, wie beispielweise die Logistik, Auswahl, Verfügbarkeit wesentlich besser beherrschen und neu besetzen. Es ist wichtig, deshalb zentral nicht nur in einem Kanal zu denken und sich aus der Perspektive des Konsumenten in einem Ökosystem zu verstehen. Man muss die Kunden noch viel stärker auf den verschiedenen Stufen des Kaufprozesses begleiten und diese Stufen auch verstehen. Das beginnt damit, das Interesse daran zu wecken, sich über ein Produkt zu informieren und mit der Geschichte des Produktes vertraut zu machen. Dazu zählt aber auch die Möglichkeit, noch vor dem Kaufprozess Fragen zu stellen und sich beraten zu lassen. Danach geht es auch darum, festzustellen, ob der Kunde zufrieden ist und ob er noch Fragen zum Gebrauch eines Produktes hat. Das ist ein Gesamtpaket, dessen einzelne Schritte aber nicht alle in einem Geschäftslokal angesiedelt sein müssen. Man muss darüber nachdenken, wie der Kunde überhaupt mit meinem Geschäft in Kontakt tritt und welche Informationen er wann, auf welchem Kanal, braucht. Das definiert entscheidend die Form der physischen Präsenz.
"Mit digitalen Fertigungstechniken kehrt die Industrialisierung teilweise wieder zurück in die Innenstädte."
Bilder oben: "guut - das Bett": Individuelle Anfertigungen von Matratzen, Betten und Möbel. Schauraum & Manufaktur: www.guut.at, Wallensteinplatz, 1200 Wien. Bild unten: Schaden Lebensräume. Innen/ - und Festersanierung in der Steiermark, www.schaden.co.at
Die Digitalisierung hält ja nicht nur im Vertrieb, sondern auch in der Herstellung Einzug. Wird der 3D-Drucker das Handwerk retten?
Die Individualisierung von Produkten wird weiterhin an Bedeutung gewinnen. Produktionsverfahren und Geschäftskonzepte, die diese unterstützen, verfügen über ein großes Potential. Es gibt auch immer mehr Anbieter, die nicht das fertige Produkt, sondern dessen
Blueprint verkaufen. Das ist besonders im Designbereich attraktiv, wo Unternehmen oft etwas sehr spezielles Anbieten und nicht in großen Massen produzieren können. Kunden kaufen nun diese Blueprints und können sie nach ihren Vorstellungen anpassen und überall auf der Welt mittels 3D-Druck produzieren lassen. Im Handwerk steht neben der Individualisierung aber natürlich auch der Anspruch an Qualität und Güte und damit das fertige Produkt im Vordergrund. Was man aber bereits jetzt beobachten kann, ist folgendes: Mit der Industrialisierung ist die Produktion aus den Innenstädten verschwunden, mit den digitalen Fertigungstechniken kehrt sie in gewissen Bereichen nun allmählich wieder dorthin zurück.
Mit der Mass customization
https://hbr.org/1997/01/the-four-faces-of-mass-customization
sind aber auch globale Player auf den Individualisierungs-Zug aufgesprungen. Zum Beispiel gibt es die Möglichkeit sich online Turnschuhe globaler Brands zu bestellen und diese seinen Vorstellungen entsprechend zu gestalten. Ich habe dann einen Turnschuh einer bekannten Marke, der aber nur für mich angefertigt wurde.
Wie wird sich das Konsumverhalten ändern? Nachhaltigkeit und Regionalität sind ja immer wieder in aller Munde, aber wird das ein Massenphänomen werden?
Ich glaube, das ist eine romantische Vorstellung. Letztlich haben wir alle ein hybrides Konsumverhalten. Es ist mehr eine Verlagerung als ein genereller Trend. Es gibt Produkte, bei denen wir bereit sind mehr auszugeben, dafür sparen wir aber bei anderen. Doch selbst bei einzelnen Produktkategorien zeigen Konsumenten ein hybrides Verhalten: sehr selten kaufen wir in der gleichen Kategorie immer nur ein Qualitätsprodukt – weder beim Essen, Gastro oder Fashion.
Massenproduktion wird ein wichtiger Bestandteil bleiben?
Ja, allein schon deshalb, weil die Weltbevölkerung wächst und wir mehr Produkte herstellen müssen, um all diese Menschen zu versorgen. Es wird aber nachhaltigere Produktionsverfahren für die Massenproduktion geben. Bei Massenproduktion standardisierter Produkte geht es zudem um Margen. Auch die Großen werden sich deshalb immer mehr konsolidieren. Damit wird es aber auch mehr Nischen geben und kleinere Anbieter in diesen haben damit auch ein größeres Potenzial.
"Ich selbst bin überhaupt kein trendresistenter Mensch!"
Bild links: Die Werkstätte "Zirb" in Innsbruck stellt Raumlüfter aus Zirbenholz her, www.zirb.at. Bild rechts: Karak, die Fliesenmanufaktur aus Vorarlberg, www.karak.at
Das, was wir bisher alles besprochen haben, klingt alles nach sehr viel Recherchearbeit und weniger nach auf der Straße und in schicken Cafés nach Trends Ausschau halten?
Wir sind keine Trendspotter im eigentlichen Sinne. Wir schauen uns nicht so sehr an, was die Leute gerade tragen, sondern beobachten intensiv, was sich gesellschaftlich verändert. Für unsere Studien recherchieren wir zu unterschiedlichsten Themen - Mobilität, Handel, Wohnen, Gesundheit. Darauf basierend entwickeln wird potentielle Szenarien, um den Auswirkungen von Megatrends, die sich durch alle Lebensbereichen ziehen, wie eben die Digitalisierung, nachspüren zu können. Wir machen auch keine Prognosen, sondern versuchen Möglichkeitsräume zu skizzieren um Denkanstöße zu geben. Wir alle leben im „Ist“ und nicht im Morgen. Wir müssen unser aber Vorstellungen von der Zukunft machen, um z.B. Gesellschafts- und Geschäftsmodelle an zukünftige Herausforderungen anpassen zu können.
Wie wird man Trendforscherin?
Da sind die Wege sehr unterschiedlich. Ich selbst war lange Marketingspezialistin in einem Schweizer Konzern. In dieser Funktion habe ich mich lange mit Trends beschäftigt und auch mit dem Gottlieb Duttweiler Institut zusammengearbeitet. Dann habe ich die Seiten gewechselt. Wir haben hier alle sehr unterschiedliche Hintergründe. Interdisziplinäres Wissen ist ein entscheidender Aspekt unserer Arbeit: Hier arbeiten Psychologen, Soziologen, Historiker und unser CEO ist Philosoph. Ich genieße es sehr, das Privileg einer breiten Perspektive zu haben, mich nicht nur mit einem Thema zu beschäftigen, sondern unterschiedliche Themenbereiche in meiner Arbeit vernetzen zu können.
Sprechen Sie persönlich auf Trends an?
Wir sind ja alle ein Teil dieser Gesellschaft und sind entsprechend auch Teil der gesellschaftlichen Megatrends oder Gegentrends. So gesehen bin selber überhaupt kein trendresistenter Mensch. Man reflektiert das aber vielleicht anders. Einem gut gemachten Produkt kann ich mich selber aber auch nur schwer entziehen.
Haben Sie manchmal auch Momente, wo Sie sich fragen, wie konnte das ein Trend werden? Crocs, zum Beispiel?
(Lacht). Im konkreten Beispiel nicht. Aber solche Produkte sind Microtrends, die man in ein grösseres Gefüge einzuordnen versuchen muss. Die Hipster als Lifestyle-Bewegung spielen in ihrer Ausdrucksweise zum Beipiel sehr bewusst mit einer Ästhetik, die nicht dem Mainstream entspricht, auch wenn diese mittlerweile natürlich längst selbst zum Mainstream geworden ist. Das geht heute sehr schnell: Blogger oder Instagramer haben eigene globale Fangemeinden. Fühlte man sich vor dem digitalen Zeitalter noch als ein Outsider, wenn man etwas sehr Ausgefallenes gemacht oder getragen hat, so schaffen die sozialen Netzwerke heute eigene globale Communities, wo man sich zugehörig fühlt.
Marta Kwiatkowski Schenk ist Senior Researcher und Deputy Head Think Tank am Gottlieb Duttweiler Institut. Sie analysiert gesellschaftliche, wirtschaftliche sowie technologische Veränderungen. An der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und an der Zürcher Hochschule der Künste absolvierte sie den Master in Advanced Studies in Customer Relationship Management (CRM) und den Master of Advanced Studies in Curating.