Die Untote

Tot auf Standby

Menschen werden nach ihrem Tod eingefroren, um in ferner Zukunft aufgetaut und wiederbelebt zu werden. Das Thema der Kryonik klingt nach Science-Fiction, wird aber auf dem Markt bereits angeboten. Nadine Saul, Biochemikerin und Mitbegründerin der Cryonics Germany, will sich selbst in Eis legen lassen. Wir sprachen mit ihr über die Vision, den eigenen Tod aufzuschieben.

Text: Marcel Flamme

Stickstofftanks, Cryonics Institute, Michigan. April 2010.

„Das Blut wird durch ein Frostschutzmittel ersetzt.“

Marcel Flamme: Haben Sie Angst vor dem Tod?

Nadine Saul: Es gibt wohl kaum jemanden, der das verneinen könnte, nur ein paar wenige Hartgesottene haben keine Angst. Der ewige Tod ist etwas, das ich so lange wie möglich herauszögern will.

Wieso wollen Sie sich einfrieren lassen?

Einfach aus Mangel an Alternativen. Es ist meine Angst vor dem Tod. Diese Ewigkeit an Nichtexistenz, die erscheint mir doch sehr trist und deprimierend. Das Einzige, was mir bislang bekannt ist, ist eben die Kryonik, also das Einfrieren von Körper oder Organen wie dem Gehirn. Es ist eine Methode, den Eintritt des ewigen Todes deutlich nach hinten zu verschieben. Ich mache mir aber keine Illusionen, ich werde den Tod damit nicht vollkommen verhindern können.

Was würden Sie in der Zukunft gerne erledigen, wenn Sie wiederbelebt würden?

Es gibt so viele offene Fragen, die die Menschheit treiben, die noch nicht beantwortet sind. Die Naturwissenschaften interessieren mich da sicherlich am meisten. Ich würde einfach gerne erfahren, wie die Antworten auf unsere momentanen Fragen lauten und welche Lösungen für unsere aktuellen Probleme gefunden werden. Da ist einfach eine unglaubliche Neugier, die mich als Wissenschaftlerin treibt.

„Eine immer noch höhere Überlebenschance als auf dem Friedhof.“

Wann sind Sie das erste Mal mit dem Verfahren der Kryonik in Berührung gekommen?

Das war vor über zwei Jahrzehnten. Ich denke, das erste Mal bin ich durch die Science-Fiction Serie Star Trek darauf aufmerksam geworden, in der das Thema Kryonik schon vorkam. Ich habe das damals nicht wirklich ernst genommen. Durch eine zufällige Internetrecherche bin ich später wieder auf das Thema gestoßen und habe herausgefunden, dass das ja tatsächlich angeboten wird. Ich habe daraufhin Kontakt zu anderen Interessierten in Deutschland gesucht. Ferner habe ich mich auf Konferenzen und Symposien blicken lassen, um einfach mal unverbindlich zu schauen, was der Stand der Dinge ist und was möglich wäre. In Folge haben wir Cryonics Germany gegründet.

Können Sie mir den Ablauf der Kryonik-Prozedur schildern?

Erst muss ein Arzt den Tod festgestellt haben. Zuerst sollten der Körper und insbesondere der Kopf möglichst schnell mit Eis gekühlt werden. Daraufhin kommt ein Team, etwa durch Cryonics Germany organisiert, das das Blut durch ein Frostschutzmittel und eine Zellschutzlösung ersetzt. Das kann durchaus ein paar Stunden dauern. Im Anschluss wird man auf Trockeneis gekühlt, gelagert und zum Aufbewahrungsort transportiert, den man vorher festgelegt hat. Es gibt zum Beispiel zwei Institute in den USA, wo man deponiert werden kann. Dort findet eine weitere langsame Kühlung statt, bis der Körper schließlich bei minus 196 Grad angelangt ist und im flüssigen Stickstoff verweilt, bis man ihn irgendwann wieder auftaut.

Für welche Variante haben Sie sich entschieden? 

Ich persönlich möchte meinen ganzen Körper einfrieren lassen. An sich reicht es auch, nur das Gehirn einfrieren zu lassen, denn das gesamte Wesen eines Menschen ist ja im Gehirn. Das heißt, der Körper ist an sich überflüssig und in der Zukunft können wir davon ausgehen, dass ein Körper ersetzt werden kann. Aber ich würde schon ganz gerne im Ganzen wiederbelebt werden. Ich finde die Vorstellung, auf einen fremden Körper, welcher Art auch immer, transferiert zu werden, irgendwie befremdlich. 

Wie stellt man sicher, dass man nach Eintritt des Todes rechtzeitig gefunden wird?

Zum einen ist es wichtig, dass man alle in seinem Umfeld informiert, Kollegen, Verwandte, Freunde, dass die sofort wissen, wen sie zu verständigen haben, wenn man stirbt. Dann gibt es zusätzlich noch verschiedene Alarmsysteme, die etwa mit einem Pulsmesser verbunden sind, der dann, sobald die Vitalfunktionen aussetzen, einen Notruf mit den GPS-Daten absendet. So kann das Team für die Kryonik-Erstversorgung, also das rasche Einkühlen des Körpers und Gehirns, so schnell wie möglich vor Ort eintreffen.

Wie lange wird man eingefroren?

Die Anbieter verpflichten sich dazu, die Lagerung so lange sicherzustellen, bis die Möglichkeit der Wiederbelebung besteht. Wann das sein wird und ob dies jemals eintreten wird, ist ein großes Fragezeichen. Aber man hat es halt versucht. Im schlimmsten Fall ist man halt wieder beim Begräbnis gelandet, wo man eigentlich nicht hinwollte.

Wie hoch schätzen Sie Ihre Chance ein?

Kein naturwissenschaftliches Gesetz spricht dagegen, dass es funktionieren könnte. Es ist im Prinzip nur eine Frage des medizinisch-technischen Fortschritts. Die Frage ist nur, ob es wirklich so funktioniert, wie wir es derzeit durchführen. Die Kryonik steckt ja immer noch in den Kinderschuhen. Der erste Patient ist, glaube ich, 1967 eingefroren worden. Das ist jetzt noch keine sehr lange Zeit. Ich gebe mir eine fünfprozentige Erfolgschance, eine immer noch höhere Überlebenschance als auf dem Friedhof.

Was werden Sie am Jetzt vermissen?

Ich werde natürlich die Menschen in meinem Umfeld vermissen, alles, was ich liebgewonnen habe. Wird in der Zukunft alles besser oder schlechter? Musik, Filme und Kunst? Existiert das noch? Wird die Zukunft grausig? Ich werde mich sicherlich dann auf die Gegebenheiten einstellen können. Das Leben in der Zukunft ist vielleicht so, als ob man ausgewandert ist. Man wird viel entbehren und dafür viele neue Dinge dazulernen und entdecken.

„Andere sagen, sterben sei ganz natürlich.“ 

Sind Sie eine Optimistin?

Ich versuche, optimistisch in die Zukunft zu sehen, in die weit entfernte Zukunft! Der technologische Fortschritt wird gewaltige Sprünge gemacht haben, wir werden unsere Umweltprobleme in den Griff bekommen und unsere Krankheiten ausgemerzt haben. Ich hoffe, dass das menschliche Miteinander sozialer, harmonischer und humaner geworden sein wird. Nationalstaaten sind dann vielleicht verschwunden, es gibt eine vereinte Erde, der Kapitalismus hat nicht gewonnen, es gibt bessere Systeme.

Haben Sie keine Angst vor dem, was kommt?

Doch schon, aber in einer apokalyptischen Welt aufzuwachen, ist meiner Meinung nach ziemlich unwahrscheinlich, in so einer würde man doch nicht wiederbelebt werden. Überwachungsstaat? Übelste kriegerische Handlungen? Klar, ist alles denkbar. Ganz so dramatisch wird es schon nicht werden!

Lassen sich auch Freunde oder Bekannte von Ihnen einfrieren? 

Leider nicht, bislang. Ich besitze aber auch keinen sehr missionarischen Charakter. Mit meinen Freunden und Verwandten habe ich die Option natürlich besprochen und diskutiert. Einige sind religiös und hoffen auf ein Leben nach dem Tod in einer anderen Daseinsform. Andere sagen, sterben sei ganz natürlich. Ich belasse es dabei. Ich denke mir: „Na ja, an einer Blinddarmentzündung zu sterben, ist sicherlich auch natürlich, aber nimmt ja auch keiner so hin.“ Vielen ist es zu teuer, besonders angesichts einer so kleinen Chance auf eine Wiederbelebung. Viele sehen auch den wissenschaftlichen Fortschritt nicht so optimistisch wie ich und bezweifeln, dass das funktionieren wird.

Würde Sie in der Zukunft gerne wieder als Wissenschaftlerin arbeiten?

Das fände ich natürlich schön, bin aber skeptisch, ob ich da überhaupt noch mit dem Fortschritt mithalten kann. Vielleicht kann man sich dann neu ausbilden lassen. Ich würde das jedenfalls versuchen. Wenn man weit in die Zukunft denkt, ist vielleicht die Besiedelung des Weltraums in vollem Gange, da wäre ich dabei! Das wäre die Erfüllung eines Kindheitstraums!

„Verdammt lang so eine Ewigkeit, oder?“

Sind „Grabbesuche“ bei den Lagerorten möglich?

Man lagert ja in diesen Stickstofftanks in den USA und die Angehörigen können diese besuchen kommen. Man kann persönliche Gegenstände und Grabbeigaben abgeben, die der Eingefrorene in die Zukunft mitnehmen möchte: Fotos, Dokumente, Datenträger und so weiter. Die Hinterbliebenen können eine Gedenktafel aufstellen, ein Foto, oder eine Gedenkfeier abhalten. 

Wollen Sie ewig leben? 

Wenn sich die Wissenschaft nicht irrt, wird ja nicht einmal das Universum ewig existieren. Das müsste wohl mindestens vorhanden sein, damit ich existieren kann. Ewiges Leben ist nicht mein vorrangiges Ziel. Wenn in irgendeiner Form ewiges Leben möglich wäre, würde ich das aber natürlich dem ewigen Tod vorziehen. Aber ewiges Leben halte ich am Ende des Tages nicht für realistisch; verdammt lang so eine Ewigkeit, oder?

Ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch.

Dieser Beitrag entstand im Rahmen einer Kooperation mit der Meisterschule der Graphischen Wien. Dieser Artikel erscheint außerdem in der C/O Vienna Magazine Sonderausgabe THE CONSUMER ISSUEHier bestellen!

Nadine Sauls besonderes Augenmerk gilt als Wissenschaftlerin dem Alterungsprozess des menschlichen Körpers und der Kryobiologie. Ihr aktuelles Projekt Ageing with elegans untersucht einen mikroskopisch kleinen Fadenwurm und dessen Alterungsprozess. Die Forschungsergebnisse sind auch für die Kryonik von Bedeutung. 

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