Mit den Bürgern bauen
Caren Ohrhallinger lebt in Wien und ist Architektin. Sie gehört zu den Menschen, die etwas verändern. Zum Beispiel, die Art, wie wir in Zukunft wohnen werden.
Antje Mayer: Sie sind Österreicherin des Jahres 2012. Ich würde das ja auch mal gerne werden. Wie geht das?
Caren Ohrhallinger: Das wird man überraschend (lacht). Das war damals eine Initiative der Tageszeitung die Presse, bei der jährlich herausragende Leistungen in den Kategorien Creative Industries, Forschung, Humanitäres Engagement, Kulturmanagement und Wirtschaft ausgezeichnet werden. Wir wurden von der Redaktion der Zeitung nominiert und eine renommierte Jury, aber auch Leserinnen und Leser haben für unser Architekturbüro nonconform architektur vor ort in der Kategorie Creative Industries gevotet. Wir haben uns schon sehr gefreut. Das Wochenmagazin NEWS hat uns zwei Jahre zuvor schon zu einem der zehn innovativsten Unternehmen Wiens gekürt.
Die modernen Orden der Gegenwart. Die braucht wohl eine Gesellschaft!
Ja, offensichtlich sind Rituale dieser Art wichtig. Wir haben gemerkt, dass solch eine Auszeichnung geschätzt wird, viele unserer Kunden haben uns darauf angesprochen. Es öffnete uns die Tür für eine Wahrnehmung außerhalb der Fachwelt. Wir sehen solche Auszeichnungen aber gelassen. So etwas kann man nicht organisieren, aber freuen darf man sich natürlich darüber.
"Es braucht urbanen Lebensraum!"
Caren Ohrhallinger und ich sitzen am Karmelitermarkt im Beisl Einfahrt im 2. Wiener Bezirk. Caren O. bestellt sich ein Bier, ich auch. Wir rauchen gemeinsam eine Zigarette. Ich erinnere mich, über diesen Ort auf www.diefruehstueckerinnen.at gelesen zu haben: „nicht schön, aber gemütlich. Irgendwie wie der Lieblingssessel, von dem man sich nicht trennen kann.“ Stimmt irgendwie, finde ich.
Immer sind Sie ja nicht so gelassen. Sie haben in einem Art Manifest geschworen, nie mehr Einfamilienhäuser bauen zu wollen! Warum so verärgert?
Verärgert waren wir, das heißt meine Partner Roland Gruber, Peter Nageler und ich nicht, wir stammen ja alle aus solchen Wohnformen. Wir hantelten uns damals nur von einem mühsamen Auftrag für ein Einfamilienhaus zum nächsten. Uns war irgendwann klar, so werden wir nicht glücklich. Wir mussten einfach Stellung beziehen und das beenden.
Und wie wird man eine glückliche Architektin?
Jeder Beruf hat Höhen und Tiefen. Als wir mal ein ordentliches Tief hatten, engagierten wir einen sehr guten Unternehmensberater aus den Creative Industries und schärften mit ihm unser Profil. Wir haben sehr viel Ballast abgeworfen und uns auf die Sachen konzentriert, bei denen wir Lust und Freude am Arbeiten verspürten und noch dazu unsere Stärken einsetzen konnten. Diese Kombi macht glücklich. Mittlerweile sind wir vier Partner und arbeiten mit 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an unglaublich klassen Projekten. Unser Büro platzt aus allen Nähten.
Ich dachte immer Unternehmensberater seien überbezahlt und praxisfern?
Nein, Eric Pöttschacher, so heißt er, war richtig gut, und er kommt ja selbst aus der kreativen Szene. Er hat unsere Sprache und Probleme sehr gut verstanden. Er half uns, drei – damals noch völlig hypothetische und absurd scheinende – Szenarien auf den Tisch zu legen, bei denen sich unsere Stärken vereinen und von denen wir überzeugt waren, sie würden uns glücklich machen. Eines davon war das partizipative Planen, das jetzt die „vor ort ideenwerkstatt“ heisst und super erfolgreich ist.
Was ist das?
In Kürze erklärt: Wenn eine Kommune vor einer öffentlichen Bauaufgabe
steht - das kann eine Ortskerngestaltung sein, der Umbau einer Schule,
die Frage, wo man das neue Rathaus hinbauen soll –oder auch umfassendere
Fragen wie die Entwicklung von ganzen Wohnquartieren oder ein
räumliches Entwicklungsleitbild – kommen wir auf Einladung der
Bürgermeisterin oder des Bürgermeisters für drei Tage vor Ort und
arbeiten mit der Bevölkerung gemeinsam. Die Nutzerinnen und Nutzer
werden intensiv in den Prozess mit einbezogen. Ihre Bedürfnisse und
Ideen finden Eingang in das vor Ort erarbeitete Konzept, das dann die
Basis für die weitere Planung oder etwa eine Wettbewerbsausschreibung
darstellt.
Man kann sich das Ganze wie ein gut organisiertes, extrem spannendes, lustvolles, dreitägiges Ideenfestival vorstellen, bei dem viele Menschen mit uns gemeinsam arbeiten.
Mutig. Das war 2006, partizipative Projekte waren damals weit davon entfernt so „in“ so sein wie heute ...
Partizipation wird heute – zumindest von den Kommunen – geradezu eingefordert, aber keine zu grosse Illusion, bitte! Die Bürgerinnen und Bürger müssen schon eher motiviert werden. Die Entscheidungsträger erkennen, dass Teilhaben lassen und Akzeptanz überlebenswichtig für sie ist. Sie müssen aber auch lernen, dass Partizipation viel Arbeit bedeutet und ernst gemeint sein muss. Es darf keine Alibiaktion bleiben und muss vor allem ergebnisoffen sein. Das von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern zu fordern, ist gar nicht so einfach, es wird aber immer besser (lacht).
Warum funktioniert direkte Partizipation in Wien nicht?
Sie funktioniert nicht nicht, aber anders. Direkte Partizipation braucht einen überschaubaren und klar definierten Rahmen sowie ein verbindendes identifizierendes Element wie eine kleine bis mittelgrosse Gemeinde. Diese überschaubaren Einheiten gibt es natürlich in Wien auch – ein Strassenzug oder ein Grätzl. Die Menschen brauchen das Gefühl, das ist mein Wohnzimmer, dieser Teil des Stadtraums gehört ein bisschen mir. Dann reden die Einwohnerinnen und Einwohner detailliert und emotional mit und bringen sich konstruktiv ein und akzeptieren in der Folge auch das Ergebnis.
Partizipation ist aber immer auch ein Prozess und eine Verhandlung zwischen verschiedenen Bedürfnissen; und je größer und unüberschaubarer die Menge an beteiligten Spielern ist, desto mehr wird dies zur Herausforderung.
Ändert sich etwas in Wien?
Wien macht sich Gedanken über seinen Stadtrand, zum Beispiel im 21. Bezirk und 22. Bezirk. Wien versteht, dass man, etwa in der Seestadt Aspern, das Erdgeschoss nicht mit 2,10 Meter hohen Müll- und Abstellräumen als Totgeburt planen darf, sondern sie durch Werkstätten, Gastronomie, Büros, Geschäfte und Kindergärten – und auch Wohnungen - zum Stadtraum öffnen muss, also auch andere Raumhöhen erlaubt. Es braucht urbanen Lebensraum – genau den, den wir am Modell der Gründerzeitstadt so lieben und schätzen. Ohne Mischnutzung - wie es in Wien seit den Nachkriegsjahren praktiziert wird – verkommen Quartiere zu unbelebten Schlaf- und Bürostädten.
"Gründerzeitwohnungen sind genial konzipiert."
Mich beklemmen 2,50 hohe Räume ...
Raumhöhe ist eine Qualität. Ich bin froh, in einem Altbau wohnen zu können. Gründerzeitwohnungen sind genial konzipiert. Ich skizziere Ihnen das mal auf.
Caren Ohrhallinger kramt einen Stift und einen Zettel aus ihrer Tasche und zeichnet mir das auf ...
Obwohl sie vor über hundert Jahren gebaut wurden und niemand wusste, wie wir heute leben werden, können sie jede Funktion beinhalten. Diese Wohnungen funktionieren als Atelier, Büro, Wohnung, Arztpraxis, Geschäft, Werkstatt oder Kindergruppe. Warum? Weil die Raumhöhe von typischerweise über 3 bis 3,50 Meter das alles zulassen. Mit 2,50 Luft über dir kannst du nur wohnen. Die tragenden Wände der Gründerzeithäuser liegen so, dass man ganze Raumfluchten zusammenschalten kann, nämlich längs; und so den Grundriss nach Belieben ändern kann, bei den meisten Neubauwohnungen ist das gar nicht möglich, weil die Querwände tragend ausgeführt sind.
Sehr interessant. Die Altbauten sind über hundert Jahre alt und funktionieren heute noch. Wie lange überlebt eine Neubauwohnung?
25 Jahre nur im Grunde, in diesen Zeitraum muss das Projekt für den Investor meist aus finanziert sein. Die Kosten für einen so kurzen Lebenszyklus werden überhaupt nicht beachtet. Es ist ein Wahnsinn im Bezug auf Nachhaltigkeit: In einem unserer Forschungsprojekte haben wir ein Bausystem entwickelt, das durch einen nutzungsoffenen Grundriss ohne tragende Wände und mit Kollektoren für die Sanitärinstallationen eine veränderbare und dadurch nachhaltige Nutzung gewährleistet: Das Neue Stadthaus. Wir kennen das alle, die coolsten Werkstätten, Wohnungen, Ateliers sind in Lofts. Für klassische Immobilienentwickler ist solch ein nutzungsoffenes Gebäude jedoch noch unbekanntes Terrain. Deswegen haben wir mit Kollegen auch eine eigene Genossenschaft gerade in Gründung, um hier unabhängiger agieren zu können.
"Früher wollte ich zu Fuß durch Schottland wandern."
Was ist Ihre Leidenschaft?
Ich habe eine grosse Leidenschaft für den öffentlichen Raum. Da geht’s nicht nur um Gestaltung im klassischen Sinne, sondern viel mehr um Verteilungsgerechtigkeit.
Was macht Sie traurig?
Ich bin nicht traurig, sondern meistens sogar sehr zufrieden. Was mich teilweise frustriert, ist das menschliche Unvermögen gegen logische Entscheidungen. Beispiel: wenn im Vorwahlkampf einer Gemeinde einzig aufgrund von wahltaktischen Überlegungen kein Beschluss über eine eigentlich von allen politischen Fraktionen mitentwickelte und gutgeheissene Sache möglich ist. Hier kann ich richtig sauer werden.
Was lieben Sie an Wien?
Wien hat eine angenehme Grösse – man ist schnell genug draussen im grünen Umland, trotzdem hat es Grätzln mit eigenem Charakter und ist teilweise wie ein Dorf. Wenn man durch die Stadt spaziert, trifft garantiert Bekannte und hält einen Tratsch. Das liebe ich am zweiten Bezirk, in dem ich wohne. Ich würde aber nicht überall in Wien wohnen wollen – die Kombination von zwei sehr großen Grünflächen Wiens, der kleinteiligen Bebauungsstruktur, der absolut fussläufigen Infrastruktur und guten öffentlichen Verkehrsanbindung macht die Qualität hier in meinem Bezirk aus. Keinen der vier Punkte würde ich missen wollen; es gibt aber genug Gegenden in Wien, die das nicht haben.
Was wollten Sie schon immer mal machen?
Eine lange und un-motorisierte Reise - ich habe gerade das Buch von Bill Bryson: A Walk in the Woods gelesen – so etwas reizt mich, muss ja nicht gerade der Appalachian Trail sein. Früher wollte ich zu Fuss durch Schottland wandern. Vielleicht wäre es schön, quer mit dem Rad durch Europa zu radeln. Allein wär’s mir aber zu fad, und mein Lebenspartner mag nicht. Vielleicht zieht meine Tochter in ein paar Jahren mit mir ja durch die Lande.