Die Wissenschaftlerinnen Yi-Ling Hwong und Andrea Stöllner sind Wolkenforscherinnen. Sie untersuchen am Institute of Science and Technology (ISTA) in Klosterneuburg bei Wien Wolken. In diesen fliegenden, schweren Giganten zirkulieren Tonnen an Wasser. Ihre Flüchtigkeit und Unbeständigkeit gepaart mit der realen Angst vor Gewittern, Stürmen und Unwettern sind seit Menschengedenken Stoff für Interpretationen. Dass ihnen eine gewichtige klimapolitische Dimension innenwohnt, macht sie für uns interessanter denn je.
Text: David Meran, Konzept: Antje Mayer-Salvi, Fotos: NASA, Mia Meus
Lenticular Clouds: Diese linsen- oder mandelförmigen Wolken werden oft bei Föhn im Hochgebirge geformt und erfreuen sich gerade bei Segelfliegern großer Beliebtheit. Manchmal werden sie aufgrund ihrer Seltenheit und ihrer Form auch für UFOs gehalten.
David Meran: Heute schon professionell in den Himmel geblickt?
Yi-Ling Hwong & Andrea Stöllner: Unsere Forschung ist leider nicht so romantisch, wie man meinen mag (lachen). Wir schauen nur selten in den Himmel über uns, sondern eher auf die Bildschirme unserer Computer, mit denen wir Wolkenmodelle erstellen. Manchmal spielen wir mit einem Laser in einem abgedunkelten Labor.
Eine Wolke ist eine Ansammlung von sehr feinen Wassertröpfchen, Eiskristallen und Partikeln in der Atmosphäre. Wolken bilden sich immer dann, wenn der Wasserdampf übersättigt oder – anders ausgedrückt – die Luftfeuchtigkeit 100 Prozent überschreitet. So weit, so kompliziert. Erklärt mir mal ganz, ganz einfach: Was sind Wolken?
A.: Sie sind eine große Ansammlung von sehr vielen kleinen Tröpfchen, die alle im Himmel schweben. Hier sieht man bereits den Unterschied zwischen Yi-Ling und mir. Sie beschäftigt sich mit Wolken-Dynamiken, also den großen Skalen. Bei mir geht es um das Kleine, die Mikrophysik von Wolken.
Y.: Ich betrachte Wolken aus wissenschaftlicher Sicht, finde aber auch ihren sozialen Aspekt interessant. Auf einer persönlichen Ebene begeisterten mich Wolken schon als kleines Mädchen. Ich liebte es, sie zu beobachten. Wolken sehen einfach cool aus, besonders wenn man sie aus einem Flugzeug beobachtet. Dann würde ich am liebsten auf ihnen herumspringen können.Seit ich Wolken wissenschaftlich analysiere, stelle ich mir die Frage, was Wolken alles können, was sie bewirken und wie sie unser Klima beeinflussen.
Wie denn?
Y.: Kurz gesagt: Niedrige Wolken reflektieren die Sonne und sind gut für das Klima, da sie den Planeten kühlen. Höhere Wolken hingegen sind eher schlecht, denn sie schließen Wärme ein. Dadurch kann die Wärme nicht so einfach in den Weltraum steigen. Ähnlich wie eine dicke Bettdecke, die die Wärme im Bett behält.
Das Bild dieser hohen Gewitterwolke (Pyrocumulonimbus) wurde aus dem Cockpit eines japanischen Personenfliegers geschossen.Dieser seltene Wolkentyp entsteht nach großen Waldbränden oder Buschfeuern.
Wolken sind fliegende Wasserspeicher in der Atmosphäre, in ihnen zirkulieren rund 15 Billionen Tonnen Wasser, das ist das 300-fache Volumen des Bodensees. Gigantisch. Was ist die Lebenszeit einer Wolke, wie groß und schwer können sie werden?
Y.: Die häufigsten großen Wolken sind sogenannte Kumulonimbus-Wolken. Das sind Gewitterwolken, die sich vertikal bis zu 20 Kilometer in die Höhe erstrecken können, mit einer Breite von ein bis zwei Kilometer. Sie können mehrere Millionen Tonnen wiegen. Die Lebenszeit einer Wolke könnte man beinahe philosophisch betrachten: Wenn eine Wolke zu Wasser wird, in Form von Regen, wird dieses Wasser durch Verdunstung schließlich wieder zur Wolke. Nachdem die Zirkulation ständig passiert, könnte man sagen: Es ist immer dieselbe Wolke, sie existiert für immer.
Warum bleiben manche länger, manche sind nur Sekunden da?
A.: Die unterschiedliche Lebensdauer von Wolken sehen wir bei den Kondensstreifen von Flugzeugen. Einige bleiben minutenlang am Himmel sichtbar, andere scheinen sofort wieder zu verpuffen. Das hängt mit der Luft und der Gegebenheit des Tages zusammen. Ist schon viel Feuchtigkeit in der Luft, bleiben die Kondensstreifen länger, ist die Luft eher trocken, verdunsten sie sofort. Wenn man also Contrails beobachtet, können wir einige physikalische Gegebenheiten des Tages ableiten.
Was wissen wir denn nicht über Wolken oder das Klima?
A.: Leider sehr viel. Vor Blitzen haben sich die Menschen wahrscheinlich seit jeher gefürchtet und sich gefragt, wie sie entstehen. Es existieren die unterschiedlichsten Theorien, aber genau wissen wir es nicht.
„Wolken sind ein kollektives Thema, alle kennen sie, alle sehen sie.“
Second Stage Cloud: Die Dampfwolken, die von Raketenstarts, in der Regel in der zweiten Phase des Starts, im Himmel hinterlassen werden, ähneln auf dem ersten Blick den Glaskörpertrübungen oder „Floaters“, die den Blick vieler kurzsichtiger Menschen trüben.
In der Schule lernt man doch, wie ein Blitz entsteht? Ich erinnere mich an die Trennung von positiver und negativer Ladungen innerhalb einer Wolke, wenn Wassertropfen mit Eiskörnern zusammenkrachen.
A.: Das große Problem der Schule ist, es wird einem dort die Idee vermittelt, dass die Wissenschaft immer klare Antworten liefert, eigentlich liefert sie aber mehr Fragen als Antworten. Wir wissen zum Beispiel aus Klima-Simulationen, dass sich durch die Klimaerwärmung in der Zukunft sehr viel Wasser in den Wolken sammeln wird, da bei wärmeren Temperaturen mehr Wasser verdampft. Ob, wie und wann es wieder runterkommt, ist noch unklar.
Wir wissen also wenig über Wolken?
Y.: Viel weniger, als wir glauben! Je mehr wir beide in die Wolken- und Klimaforschung eintauchen, desto mehr Fragen stellen wir uns. Wenn sich der Planet erwärmt, werden wir dann mehr niedrige oder mehr höhere Wolken haben und wie wachsen diese? Wie organisieren und verbinden sie sich? Das sind die brennenden Fragen, die es für mich zu klären gilt.
Okay, wir halten fest: Wir wissen wenig. Was wir wissen, ist, dass Wolken merkwürdige, schwer fassbare Gebilde aus Wasser, Luft und kleinsten Partikeln sind, an denen sich das Licht bricht. Sie lösen bei uns Menschen seit Urzeiten Emotionen aus und sind Projektionsflächen für vieles. Sie dienen als Sinnbild für Freiheit, religiöse Erlösung, Jenseits und das Göttliche, das sich ewig Wandelnde und Vergängliche. Die Urvölker, die alten Griechen, Goethe, Künstlerinnen aller Epochen waren und sind von Wolken fasziniert. Was lösen Wolken bei Euch emotional aus?
A.: Ein Gefühl von Größe und Weite! Im Alltag verliere ich mich oft in den kleinen Dingen, aber wenn ich den Himmel betrachte, erscheinen sie angesichts dieser geheimnisvollen, andersartigen, faszinierenden Welt klein. Ich meine das nicht in einem religiösen Sinne. Wenn man den Himmel und die Wolken betrachtet, weitet das die eigene Perspektive.
Y.: Das Mysteriöse der Wolken erweckt in mir schlichtweg Neugierde. Man weiß nie ganz genau, was Wolken zu uns bringen. Sie sind wie Menschen, haben unterschiedliche Größen, Formen, sind mysteriös, unvorhersehbar, gefährlich, wunderschön oder verspielt – kurzum vielschichtig.
Die Hole Punch Cloud tritt auf, wenn Jesus vor lauter Wut ein Loch in seine Zimmerwand boxt.
Sahen Wolken eigentlich vor 2000 Jahren genauso aus wie heute?
A.: Keine Ahnung. Eine Idee wäre, dass sie heute weißer als damals sind. Wir haben gegenwärtig eine große Verschmutzung mit vielen kleinen Teilchen in der Luft, so entstehen viele kleine Regentröpfchen, die eine Wolke weißer machen. Das wäre eine schnelle, unwissenschaftliche These von mir (lacht)!
Systematisch erforscht wurden Wolken erst im frühen 19. Jahrhundert. Sie wurden klassifiziert und bekamen Namen.
Wie kommen zwei junge Wissenschaftlerinnen auf die Idee, sich mit Wolken auseinanderzusetzen?
Y.: Durch Zufall! Ich hatte ursprünglich nicht den Plan, mich wissenschaftlich mit Wolken zu beschäftigen. Ich studierte unter anderem in Australien. Mein damaliger Professor Steven Sherwood war und ist wirklich eine Koryphäe auf dem Gebiet der Klimaforschung. Er beschäftigte sich mit Wolken, weil diese die größten Unsicherheiten in Klimamodellen darstellen. Das reizte meinen Forscherinnengeist. Heute wäre mein größtes Ziel, Klimamodelle möglichst genau und korrekt zu simulieren. Für dieses Thema brenne ich!
Warum hast Du Dich auf Aerosol-Physik fokussiert, Andrea?
A.: Weil es da nicht darum geht, den nächsten Quantencomputer zu erfinden, sondern darum, ein Naturphänomen zu erforschen. Die erste Vorlesung in diesem Fach hörte ich übrigens von einer Professorin. Sie war die einzige weibliche Lehrende in Physik auf meinem Institut, der ich in den sechs Jahren meines Studiums begegnet bin! Irgendwie machte es für mich einen Unterschied, den Stoff von einer Frau vermittelt zu bekommen.
Ein weibliches Vorbild in einer sehr männerdominierten Physik?
A.: Letztens war ich auf einer Aerosol-Konferenz. Erstaunlicherweise ist in diesem Feld der Physik der Frauenanteil sehr viel höher als in den anderen. Es ist spannend, ich weiß nicht weshalb, aber vielleicht ist es eine Art Feedback-Loop: Wir Aerosol-Physikerinnen motivieren uns wohl gegenseitig und stecken andere Kolleginnen mit unserem Enthusiasmus an.
„Ich verwende Cloudserver, um Clouds zu untersuchen.“
Am 18. Juni 1983 schoss über der Küste Floridas ein Space Shuttle senkrecht durch den Cumulus direkt ins All. An Bord: die erste US-amerikanische Frau im Weltall, Sally Ride. Heute ist eine Stelle des Mondes nach ihr benannt.
Wie erforscht man Wolken? Wie sieht so ein Wolkenforscherinnen-Alltag aus? Züchtet Ihr sie, fangt Ihr sie?
A.: Meine Experimente sind keine klassischen Experimente der Wolkenphysik, aber sie sind darauf anwendbar. Ich habe ein spezielles „Spielzeug“, meinen Laserstrahl. Dieser wird durch verschiedene Spiegel und Linsen so aufgeteilt, dass er in zwei Strahlen überlagert aufgeteilt wird und auf einem Punkt in der Mitte wieder zusammengeführt. In diesem Fokuspunkt, wo sich die beiden Laserstrahlen treffen, können sie etwas festhalten, genauer gesagt ein Mikrometer also ein 0,001 Millimeter kleines Teilchen.
Klingt abgefahren, aber was heißt „festhalten“?
A.: Es fliegen unzählige Teilchen extrem schnell in der Luft herum. Ähnlich ist es in Wolken, nur können wir diese sehr kleinen Teilchen nicht festhalten, geschweige denn sehen. Mein Laser-Verfahren heißt „Optical Tweezers“, also „optische Pinzette“. Genau so kann man es sich auch vorstellen: Der Laser hält das Teilchen nur mit Licht fest, also nichts Materielles berührt das Teilchen. Unter einfachen Linsen bis hin zu speziellen Mikroskopen kann ich es dann untersuchen. Meine Forschungsfrage versucht herauszufinden, wie sich diese Teilchen elektrisch aufladen, wenn darauf Wasser kondensiert oder verdampft.
Das, was bei Dir im Kleinen im Labor passiert, geschieht auch im Großen in der Wolke?
A.: Genau, in den Wolken entsteht teilweise sehr viel Ladung, die dann zu Blitzen führt. Grundsätzlich wissen wir zwar: Wenn Eis mit Schnee zusammenstößt, wird Ladung ausgetauscht. Aber keiner weiß so genau, wieso das passiert, oder noch allgemeiner, weshalb so viel Ladung in einer Wolke überhaupt entstehen kann. Ob nun meine aktuelle Doktorarbeit genau diesen Effekt bestätigt, kann ich aktuell noch nicht sagen.
„Wolken wollen mit anderen Wolken zusammen sein, wie wir Menschen.“
In der Mitte der Beringstraße treffen sich nicht nur USA und Russland, an deren Staatsgrenze auch die Datumsgrenze verläuft, sondern auch Wasser aus dem Pazifik und dem arktischen Ozean aufeinander. Die hier zu sehenden Wolkenstraßen entstehen, wenn der Wind, der zuerst über die nördlichen Tundren streift auf die verschiedenen Eis- und Wasserformationen des Beringmeers trifft.
Du, Yi-Ling, erstellst Computer-Simulationen, in denen unzählige Daten eingespeist und verarbeitet werden, um das Verhalten des Klimas zu untersuchen?
Y.: Ja, dafür verwende ich Cloud-Server, um „Clouds“ zu untersuchen, was fast eine poetische Verbindung zu sein scheint (lacht). Ich entwickle und programmiere Algorithmen, um Wolken und Wolkenformationen zu repräsentieren, und beobachte, wie sie unser Klima beeinflussen, während sich die Erde erwärmt oder abkühlt. Zentral dabei erscheint die gegenseitige Verbindung von Wolken. Es gibt viele einzelne Wolken, die sich aber zusammenhängen wollen. Im Grunde wie Menschen und Herdentiere, die ja auch in einem sozialen Gefüge miteinander leben wollen.
Was passiert, wenn sich Wolken gegenseitig beeinflussen oder sogar verbinden?
Y.: In den vergangenen Jahren sind wir auf Folgendes draufgekommen: Je nachdem wie dicht die Wolken zusammenhängen, beeinflusst das unser Wetter massiv. Je dichter, desto extremer ist der Regen, und dieser kann, wie wir wissen, viel Schaden anrichten, in Form von Überschwemmungen beispielsweise. Ein Grund, warum wir die Mechanismen dahinter rausfinden wollen. Ich habe noch viel zu tun!
Bei Atompilzen handelt es sich tatsächlich um Pyrocumulonimbus-Wolken, die nicht durch den Einschlag der Bomben, sondern durch den darauffolgenden atomaren Feuersturm erzeugt werden.
Was sind Eure Lieblingswolken?
Y.: Ich liebe ein Wolken-Phänomen namens „Fallstreak“ oder „Loch im Himmel“, eine Sonderklasse, die unter dem Namen „Cavum“ (lat. „Höhle, Loch“) geführt wird. Es erscheint selten und beeindruckt mich sehr. Im Loch sind viele sehr kalte Partikel, die unter dem Gefrierpunkt liegen, aber aus noch unklaren Gründen noch nicht gefroren sind. Fallen nun Eiskristalle aus höheren Luftschichten in die unterkühlte Wolke, frieren die Wassertröpfchen rasch an den Eiskristallen an. Wir wissen nicht genau warum, aber durch diese Kettenreaktion können wir dieses Phänomen beobachten. Faszinierend!
A.: Meine Lieblinge nennen sich „Lenticularis“ (lat. „linsenförmig“). Die sehen aus wie kleine Linsen. Oftmals hängen sie auf Bergspitzen und erinnern an einen Hut! Nicht zu vergessen sind die sogenannten „Morning Glory“ oder „Roll-Clouds“-Wolken, auch visuell sehr reizvoll. In unserer Forschung beschäftigen wir uns mit ihnen aber nicht.
Wolken sind bis heute rätselhaft geblieben und ein wesentlicher Grund für Unschärfe bei der Analyse und den Prognosen für unser Wetter und Klima. Wo stoßen wir beim Verständnis von Wolken wissenschaftlich an unsere Grenzen?
A.: Es gibt zahlreiche Grenzen. Wolkenforscherinnen und Ozeanforscherinnern teilen sich beispielsweise beide ein Dilemma: Wenn du etwa ein „Sample“ aus dem Meer oder aus der Luft nimmst und dieses auf die Erdoberfläche bringst, um es zu untersuchen, verändert es sich.
Was genau meinst Du mit Samples?
Als „Samples“ bezeichnen wir Wasser- oder Luftproben.
Ihr packt die Wolken also ein und nehmt sie mit?
Genau. Am Boden herrscht aber leider ein anderer Luftdruck und andere Temperatur als in den oberen Luftschichten und damit sind die Samples verfälscht. Die beste Methode wäre also, die Proben direkt in der Luft zu untersuchen. Das ist sehr schwierig, mitunter auch gefährlich, wird aber gemacht. Meine ehemalige Professorin steigt immer wieder mal in ein Flugzeug mit einem Labor an Bord und durchfliegt zum Beispiel einen Waldbrand, um direkt dort oben die Teilchen in der Luft zu erforschen.
Contrails sind die Lieblingswolke aller Verschwörungstheoretiker (von ihnen auch „Chemtrails" gennant) und der wunderlichen Onkel, die man bei Familienessen gerne meidet.
Vor welchen Wolken sollte man Angst haben?
Y.: Vor gar keinen! Natürlich gibt es dunkle Gewitterwolken, die für den Menschen gefährlich werden können, dann muss man Schutz suchen, aber grundsätzlich sollten wir keine Angst vor Wolken haben.
A.: Vor denen im Internet (lacht)!
Apropos: Was hat eine IT-Cloud mit einer echten Wolke gemeinsam?
Y.: Die größte Gemeinsamkeit ist, dass sie miteinander verbunden sind. Wir verwenden in der Klimaforschung enorm große Server, die miteinander vernetzt sind, wie auch Wolken miteinander verbunden sind. Meine Forschung wäre ohne Clouds nicht durchführbar, denn für meine Wolkenmodelle brauche ich unfassbar viel Speicherplatz für die Verarbeitung der Daten. Die Klimaforschung hat den mit größtem Bedarf an Rechenleistung überhaupt! Wir würden einen gigantischen Quantencomputer brauchen, aktuell können wir leider nur auf eine beschränkte Computerleistung zurückgreifen.
Die am Himmel zu sehenden Kondensstreifen von Flugzeugen sind jetzt offiziell als Wolkenform definiert: Nach 30 Jahren hat die Weltvereinigung der Meteorologen (WMO) kürzlich eine neue Ausgabe ihres „Wolkenatlas“ herausgegeben. Zwölf Wolkenerscheinungen sind neu aufgenommen worden, darunter eben jene Streifen, die Jets am Himmel hinterlassen. Menschen, die an „Chemtrails“ glauben, also das angebliche gezielte und verheimlichte Versprühen von Chemie bei Flügen, sehen darin einen weiteren Baustein ihrer Verschwörungstheorie. Warum sind das Wolken?
A.: Man sollte sehr genau zwischen „Chemtrails“ oder „Contrails“ unterscheiden – letzterer ist der Fachbegriff. Ein Flugzeug hinterlässt Kondensation, das heißt, es passiert eine Kondensation von Wasser, das in der Atmosphäre vorhanden war. Somit haben „Contrails“ die gleichen physikalischen Eigenschaften wie jede andere Wolke auch. Letztlich sind sie Wolken. Wenn es im Winter kalt ist und du atmest warme Luft aus, passiert nichts anderes als Kondensation, eine kleine Wolke entsteht, wenn wir ausatmen. Viele Dinge können Wolken sein. Der Begriff „Chemtrails“ wurde von Verschwörungsgläubigen erfunden.
Warum sind Wolken von ausschlaggebender Bedeutung für unser Klima?
Y.: Wie sich Wolken verbinden und strukturieren, hat einen riesigen Einfluss auf unsere Wetterphänomene, besonders auf die Intensität und Stärke des Regens. Wenn Wolken sehr eng zusammenhängen, fällt der Regen stärker aus. Der Nebeneffekt: Je enger sie zusammenhängen, desto mehr erwärmt sich auch unser Planet. Das hat wiederrum Einfluss auf den Regen: Wenn es warm ist, kann die Wolke mehr Wasserdampf halten, das ist ein physikalisches Gesetz. Kurz gesagt: je mehr Dampf, desto extremer der Niederschlag.
Gefrorenes Ammoniak und andere Substanzen werden von Windbändern mit bis zu 550 km/h in der Atmosphäre des Jupiters zu Stürmen aufgewühlt, die bis zu 30.000 Kilometer tief in den Planeten reichen, und sich dabei zu Wolken formieren.
Was sind die Prognosen?
Y.: Wir wissen noch nicht, was passiert, wenn die Temperaturen um zwei Grad steigen. Werden Wolken dann enger oder lockerer zusammenhängen? Unsere programmierten Klimamodelle liefern noch keine einheitlichen Ergebnisse. Es sieht ein wenig danach aus, als werden sie eher enger zusammenhängen, was für uns Menschen nicht gut wäre, denn das heißt viel oder zu viel Regen.
Sind Wolken vom Aussterben bedroht?
Y.: Nein, solange es Wasserdampf gibt, existieren Wolken. Wenn es kein Wasser mehr gibt, sterben wir sowieso.
Vor einigen Jahren machte der dänische Physiker Henrik Svensmark auf sich aufmerksam. Seine These ist, dass die kosmische Strahlung die Wolkenbildung beeinflusst. Damit wären nicht wir Menschen allein für den Treibhauseffekt verantwortlich, sondern auch der Kosmos. Kann ich meinen Aluhut wieder abnehmen oder ist da doch was dran?
A.: Am Schweizer Forschungszentrum CERN gibt es das faszinierende Experiment „CLOUD“. Es erzeugt in einer großen Kammer künstlich Wolken! Es wurden dort auch zahlreiche Experimente mit kosmischer Strahlung durchgeführt.
Wie spannend! Was hat man dabei herausgefunden?
A.: Es gibt tatsächlich einen Zusammenhang zwischen kosmischer Strahlung und Wolkenbildung, aber der ist nicht sehr groß. Der Hauptverursacher für den Klimawandel ist der Mensch und nicht der Kosmos.
Y.: Meine Klimamodelle beschäftigen sich auch mit der Verbindung zwischen kosmischer Strahlung und Wolken, aber sie zeigen: Die globale Erderwärmung folgt dem CO2-Anstieg. Das ist bewiesen.
„Das Hauptproblem ist der Mensch und nicht der Kosmos.“
Gut, ein bisschen geschummelt: vielleicht nicht eine Wolke per se, aber sehr, sehr viele Gaswolken, aus denen sich langsam Sterne bilden. Die große Magellansche Wolke ist eine Satellitengalaxie der Milchstraße und taucht seit der Vorgeschichte für Bewohner der Südhalbkugel am Himmel auf.
Sind Wolken somit politisch?
Y.: Der Mensch instrumentalisiert sie jedenfalls für seine eigenen Agenden. Wolken sind ein kollektives Thema, alle kennen sie, alle sehen sie. Ihre Unberechenbarkeit macht sie zu idealen Projektionsflächen.
Was haltet Ihr von Geoengineering?
A.: Beim Geoengineering werden diverse, komplexe Methoden und Technologien angewendet, um das Klimasystem bewusst zu verändern. Man will beispielsweise künstlich Wolken erzeugen oder Schwefelpartikel in der Stratosphäre ausbringen, um diverse Folgen des Klimawandels abzumildern. Die Idee, mehr Wolken zu produzieren, klingt erst einmal gut, könnte aber politisiert werden. Wer produziert sie, wer zahlt und wo werden die Wolken „gemacht“? Welche Länder können sich das überhaupt leisten und wo geben die Wolken ihr Wasser dann in Form von Regen wieder ab? Das nennt man übrigens Cloud-Seeding, „Wolkenimpfen“, also kontrolliertes Regnen.
Müssen wir unsere Wolken schützen?
Y.: Ich denke, wir Menschen lieben Wolken. Ein blauer Himmel mit weißen Wolken erzeugt ein Glücksgefühl, die Faszination für den Himmel und Wolken liegt uns Menschen wohl in den Genen. Aber wenn wir unsere Umwelt nicht schützen und noch mehr verschmutzen, werden wir zukünftig keinen blauen Himmel mit weißen Wolken mehr sehen können. In diesem Sinne müssen wir, einfach gesprochen, alles daransetzen, sie in der Zukunft noch sehen zu können. Das gelingt nur, wenn wir den CO2-Ausstoß stoppen.
In der Logik der kapitalistischen Optimierungsgesellschaft sind wir selbst am Klimawandel schuld und stehen nun in der Verantwortung, kein Fleisch zu essen, weniger bis gar nicht mehr zu fliegen und nachhaltiger zu leben. Teilt Ihr diese Einschätzung? Erklärt uns mit Eurem wissenschaftlichen Background: Wie kann man ein gutes Leben führen?
A.&Y.: Im Endeffekt verursacht die Luftfahrt nur bis zu drei Prozent aller CO2-Emissionen. Die größten CO2-Verursacher sind annähernd hundert Unternehmen auf der Welt, die für 70,57 Prozent der CO2-Emissionen global verantwortlich sind. Was wir als Individuen machen können, ist uns zu einer Art Bewegung zusammenzufinden, die Forderungen stellt! Die Masse macht's.
Können wir Menschen die Welt noch retten?
A.&Y.: In Bezug auf die Kommunikation über das Klima haben Forschungen gezeigt, dass positive Nachrichten über unseren Planeten Menschen aktiver machen. Wir betonen deshalb, dass gerade wirklich großartige Dinge entstehen: Öko-Initiativen kämpfen weltweit für eine bessere Umwelt, zahllose Communitys schließen sich zusammen, immer mehr Teile der Landwirtschaft werden ökologischer und so weiter. Das alles gibt uns Hoffnung, mit unserer Forschung weiterzumachen.
Die 29-jährige oberösterreichische Wahlwienerin Andrea Stöllner studierte Physik an der Universität Wien und forscht aktuell als PhD-Studentin am ISTA. Neben ihrer wissenschaftlichen Karriere produziert und kuratiert sie Musik für das freiSOUND-Festival.
Yi-Ling Hwong wurde in Malaysia geboren und promovierte an der University of New South Wales in Sydney, Australien. Weiters absolvierte sie einen Master in Ingenieurwissenschaften in Karlsruhe und war eine der Ingenieurinnen, die am Compact Muon Solenoid-Experiment des Large Hadron Collider-Projekts am CERN beteiligt war. Derzeit ist sie Postdoktorandin in der Muller Group am Institute of Science and Technology.