Schreien statt Hassen
„Hallo, wozu haben wir unsere Körper?“
Lisa Peres: Sind Frauen das stärkere Geschlecht?
Stefanie Reinsperger: Was soll ich darauf sagen (lacht)? Natürlich sind wir stärker! Hallo, wozu haben wir unsere Körper? Was die machen können!
Ist Wut etwas Urweibliches?
Ich finde es interessant, wie generell gewisse Emotionen vermeintlich verteilt sind: Wut bei einem Mann löst schnell sehr viel mehr Respekt aus und man geht kurz auf Abstand, weil man so denkt „Das ist Energie! Verstanden!" Und bei Frauen rutscht sowas dann sehr oft in die Ecke: "Du bist so emotional, du bist so hysterisch, hast du Deine Regel? oder "Bist du schwanger?" Das ist so komisch verteilt. Genauso wie Tränen bei Männern! Wenn ein Mann emotional ist! Wow! Der ist mutig, richtig mutig! Und bei Frauen? Da werden die Augen verdreht!
„Mit dem Scheiß auseinandersetzen.“
Du bist deswegen „Ganz schön wütend"?
Ja, das ist der Titel meines Buches, es geht darin um alle Formen der Wut. Es geht bei mir viel um die Spielwut, aber generell um die weibliche Wut. Das Buch ist natürlich politisch feministisch orientiert. Es handelt von der Wut über fehlende Mutterschaft, der Wut über das Singletum und allem voran der Körperwut, ein Thema, das mich, seit ich klein bin, begleitet und zudem ich am meisten sagen kann.
Du schreibst, Deine schlimmste Erfahrung war, als Du in Salzburg die Buhlschaft im Jedermann gespielt hast. Du hast sogar Drohbriefe erhalten und wurdest in Bezug auf Dein Äußeres auf offener Straße verfolgt und beschimpft?
Wenn Du wüsstest, was da abging. Diese Hasskommentare in den Social Media! Mir war das alles so unangenehm, ich habe mich so geschämt und habe mit niemanden darüber gesprochen. Nach der Vorstellung bin ich oft beim Hintereingang raus, weil ich gar nicht angesprochen werden wollte. Und es sind nicht nur Männer, die so beleidigen und denunzieren, es sind durchaus auch Frauen! Aber ich will aufhören, diesen Menschen irgendeine Plattform zu geben! Ich habe mir so lange in meinem Leben Gedanken um diese Leute gemacht! Ich will das nicht mehr! Ich will mit meinem Buch Aufmerksamkeit dafür schaffen, dass wir uns ALLE mit diesem Scheiß auseinandersetzen müssen.
Verena Altenberger wurde als die Buhlschaft ebenso angefeindet. Auch hier ging es nicht um ihre schauspielerische Leistung sondern um ihr Aussehen ...
Sie hat einen sehr übergriffigen, sexistischen Brief bekommen, da ging es um ihre kurzen Haare. Verena hat einfach nur diesen Brief gepostet. Das fand ich geil! Das war ein super-kluger Move! Das konnte ich so damals einfach noch nicht.
„Du musst mit Konflikt auf die Bühne gehen!“
Lässt Du privat Deiner Wut auch so freien Lauf oder nur auf der Bühne?
Ich bin sehr unausgeglichen, wenn ich wenig spiele. Sehr unausgeglichen! Da fehlt was. Da kann die Wut schon auch mal im Treppenhaus kommen, einfach weil ich mir eingebildet habe, drei Einkaufstüten in den dritten Stock ohne Lift selbst zu tragen (lacht). Aber was ich bei Wut heute viel mehr mache, das ist schneller den Dialog zu suchen und "Stopp!" zu sagen. Meine Figur auf der Bühne, die braucht den Raum und den Platz für die Wut. Privat bin ich sehr harmoniesüchtig!
Harmonie auf der Bühne ist ja völlig langweilig ...
Absolut. Ein Schauspieler hat mir mal gesagt: Du musst mit Konflikt auf die Bühne gehen! Mit einem riesigen Gepäck! Wenn du ohne existenzielle Not auf die Bühne kommst, dann kannst du gleich wieder umdrehen, das interessiert niemanden! Man will ja nicht zwei Stunden sehen, wie alles toll ist! Kunst kommt aus einem Schmerz oder aus einem Konflikt, den du zum Ausdruck bringen willst.
Wie äußert sich bei Dir akute Wut?
Wut ist für Menschen immer sowas wie „Schreien", aber ich finde, Wut ist mehr: Bei Wut bekomme ich einen ganz roten Kopf, ich kriege diese Zorntränen, die dann so waagrecht spritzen, wie richtige Blitze! Ich werde sehr kalt. Innen ganz heiß.
Also einfach mehr schreien! Ich nehme mir das zu Herzen!
Unbedingt! (lacht). Ich war mal mit meiner Mama spazieren und sie meinte, „Steffi, mich nervt alles so! Ich würde so gerne schreien! Und ich so: „Ja Mama, dann schrei doch!" Wut ist etwas anderes als Hass! Hass ist wahnsinnig windimensional und ist irrational aber Wut macht auf, setzt frei!
„Wut ist etwas anderes als Hass!“
Du unterrichtest Schauspiel, wenn es Deine Zeit erlaubt. Welche Erwartungen hast Du an Deine Schülerinnen?
Womit man mich immer kriegt, das ist Leidenschaft und Hingabe. Keinen Respekt habe ich für so wabbeliges „Ich habe mich nicht genug vorbereitet!" Da bin ich echt hart. Einfach weil ich weiß, dass so viele tolle begabte Menschen diesen Beruf nicht machen können. Ich will nicht 100, sondern ich will 180 und am liebsten 500 Prozent geben! Das erwarte ich auch von allen anderen um mich herum. Ich will nicht auf ein Niveau hinunter, ich möchte alle mit hinaufziehen!
„Brennen! Aber nicht verbrennen!", ein schönes Zitat aus dem Buch ...
Eine Studentin hat mal zu mir gesagt: „Ich bin also jetzt hier und dann werde ich gebrochen." Das ist das Bild, das viele von Schauspielerei haben. Aber man darf das nicht verwechseln. „Für etwas brennen" finde ich ganz wichtig. Ich brenne, es gibt in meinem Leben nichts, was ich mehr liebe, als zu arbeiten und zu spielen. Wirklich gar nichts! Und wenn ich mich auf den Meiselmarkt stelle und meinen Monolog spiele! (lacht)
„Ich weiß das heute viel mehr zu schätzen, als früher.“
Hattest Du während der Lockdowns Angst, die Menschen könnten Dich vergessen?
Ich hatte nicht Angst davor, dass die Leute MICH vergessen, sondern dass sie nicht mehr ins Theater kommen! Vor kurzem hat mir ein Kabarettist erzählt, der neue Running Gag ist „40 Prozent Auslastung ist das neue Ausverkauft!" Und wir merken das ja an den Häusern. Nach dem allerersten Lockdown gab es noch einen Ansturm, aber mittlerweile merkt man, die Menschen planen nicht mehr vor, sondern kaufen ihre Karten eher spontan an der Abendkasse. Wir haben sicher Zuschauerinnen verloren.
Geboren bist Du ...
... in Baden. Aber nur, weil meine Mama spazieren war und es nicht mehr rübergeschafft hat. Ich komme aus Biedermannsdorf. And: I´M PROUD OF IT (lacht). Unser Haus steht auf dem Grundstück, wo schon das Kindeshaus meiner Mutter stand.
„Es gibt eine Briefwählerin, das bin ich.“
Aufgewachsen bist Du Deine ersten Jahre im Ausland ...
Meine Eltern haben sehr lange im Außenministerium gearbeitet, deswegen haben wir in Belgrad und in London gelebt. Erst als ich zwölf Jahre alt war, sind wir wieder nach Biedermannsdorf zurückgezogen. Ich werde nie vergessen, als ich in London in dieser Wohnung saß mit der Nachricht meiner Eltern: „Erstens, du bekommst eine Schwester", was ich natürlich voll uncool fand, und die zweite Nachricht war: „Wir ziehen zurück nach Biedermannsdorf". Gott, war das hart! Ich habe lange gebraucht, am Land anzukommen und das wertzuschätzen. Aber heute kann ich das. Wenn ich von Berlin zu Besuch in Österreich bin, schlafe ich immer in Biedermannsdorf und selten in Wien.
In der Provinz!
Ich würde sagen, in meinem Zuhause. Was ich an diesem Ort so liebe ist, da kannst Du mich blind durchschicken. Ich weiß, wie, wo, was und wann. Ich kenne von jedem Haus die Geschichten, ich weiß, wer die Familie war, die meine Eltern verpetzt hat, weil die Blumendeko nicht gepasst hat (lacht). Auch meine Oma kommt schon aus diesem Ort und ich weiß noch, wie unser Hund quer durch den Ort gelaufen ist und wir alle dachten, oh Gott, der wird jetzt sicher überfahren, aber er ist einfach durch's Dorf zu Oma's Wohnung gelaufen. Biedermannsdorf, das ist der Ort, wo ich auf einem ganz gammeligen, abgeranzten Spielplatz dem ersten Jungen mit vierzehn gebeichtet habe, dass ich ihn liebe und die Antwort bekam: „Das ist jetzt bissi blöd, weil ich gehe schon mit der Sabine auf den Maturaball!" Das werde ich nie vergessen, es war immerhin kein „Na, ich dich nicht"(lacht).
„Ich tue mir mit dem Begriff Heimat schwer.“
Man hatte so unendlich viel Zeit, oder?
Absolut und einfach nur draußen sein, aber schon auch zu wissen, immer heimzukommen, wenn die Straßenlaternen angehen. Und diesen Dorfschutz zu haben! Immer zu wissen, egal wie oft man auch auf die Fresse fällt, irgendwer wird dich verarzten. Zusammenhalt, wenn du alles brav mitmachst, was der Ort macht. Oder der Fußballplatz schräg gegenüber, wo die Jungs gespielt haben und man ihnen zugeschaut hat und seine ersten Verliebtheitssachen hatte. Ich weiß das heute viel mehr zu schätzen, als früher. Das ist alles voller Klischees, aber wenn man älter wird, spürt man die Stadtflucht in sich.
Musstest Du Dich schon ins Biedermannsdorfer Gemeindebuch eintragen?
Dort gibt eine Briefwählerin, das bin ich (lacht). Ich habe schon das Gefühl, alle sind so ein bisschen stolz auf mich und meine Karriere. Das ist sehr süß. Die kennen mich ja alle, wie ich ganz klein war mit meinen Tobsuchtsanfällen und meinem Gebrüll und von den ersten Geheimparties im Garten (lacht).
Zuhause oder Heimat?
Ich tue mir mit dem Begriff „Heimat" schwer, weil er so von ganz falschen Seiten für sich beansprucht wurde, aber ich würde sagen, Heimat sind die Rollen und die Orte in meinen Geschichten, da wo ich gerade bin. Heimat ist, wenn wir zusammen sind. Egal wo.
Danke für das Gespräch!