Magische Musik
Sound Artist Zosia Hołubowska (33) verzaubert als Mala Herba seit ein paar Jahren mitsamt Synthesizer nicht nur die queere Szene Wiens. Im Rahmen universitärer Forschung sucht Hołubowska nach subversiven und queeren Momenten in Verbindung mit osteuropäischer Musik und beschäftigt sich mit der Tradition von Magie, Kräuterkunde und Dämonologie.
„Ich möchte Momente der Heilung erzeugen.“
Eva Holzinger: Du machst Deinen „Doctor of Philosophy in practice“ an der Universität für angewandte Kunst Wien. Kannst Du in einfachen Worten erklären, worum es in Deiner Forschung geht?
Zosia Hołubowska: Ich forsche sowohl an der Universität als auch auf der Bühne im Bereich Ethnomusikologie, Queer-Theorie und Musik-Aktivismus. Ich suche nach subversiven und queeren Momenten in Archiven traditioneller osteuropäischer Musik und in Traditionen der Magie, Kräuterkunde und Dämonologie. Im Rahmen meiner Musikprojekte und Performances verbinde ich diese Momente dann mit elektronischer Musik. Ich arbeite mit Synth-Melodien mit hypnotischen Vocals, mit Polyphonie und Dissonanz.
Was bedeutet „queer“ für Dich?
Alles, was außerhalb eines männlichen Cis-Blickes passiert, hat für mich das Potential, queer zu sein: Queer ist alles außerhalb der Norm, außerhalb von fixen Identitätskategorien. Ein Infragestellen von Gender, Sexualität, Rassismus und Machtstrukturen. Der Begriff eröffnet neue Räume, in denen man utopisch denken kann.
Ist Magie, sind Hexen queer?
Ja! Historisch betrachtet leben Hexen schon immer am Rande der Gesellschaft. Meist, auch in Osteuropa, wurden unverheiratete Frauen, die alleine und unabhängig leben wollten, als Hexen bezeichnet. Sie haben sich geweigert, Teil der Norm, der Familien- und Arbeitsstruktur zu sein. Ehe war für sie ein Arbeitsvertrag, der sich nicht lohnt. Ihr Wissen war nicht von patriarchalen Strukturen dominiert, sondern von der Natur - und wurde generationenübergreifend weitergegeben. In dieser Art zu leben, diesen alternativen Bräuchen und dem Wissen um Kräuter steckt definitiv ein revolutionäres, queeres Potenzial – weil es die Realität anders beeinflusst, als wir das gewohnt sind. Weil es in Frage stellt, was die kapitalistische, westliche und heteronormative Welt als vermeintlich allgemeingültiges Wissen definiert. Es ist an der Zeit, diese Vergangenheit neu zu betrachten und neu zu leben. Mit meinen Songs erneuere ich Traditionen, in dem ich sie mit elektronischen Sounds mische, während es in all meinen Musikprojekten um das Teilen und Weitergeben von Know-How und diversen Werkzeugen geht.
„Never forget, never forgive.“
Würdest Du Dich selbst als Hexe beschreiben?
Ich denke schon. Ich wollte schon als kleines Kind eine Hexe werden. Früher dachte ich, dass sie das Wetter kontrollieren können und Superkräfte haben. Ich war mir sicher, dass es als Hexe viel einfacher ist, erwachsen zu sein.
Als Mala Herba betreibst Du sogenannte „synth witchcraft“ statt Wetterkontrolle. Was kann man sich darunter vorstellen?
Ich möchte Momente der Heilung erzeugen. Statt einem Kristall habe ich eben einen Synthesizer auf der Bühne: Ein Werkzeug, das mir bei dieser Heilung helfen soll. Meine Performances sind eine Art zauberhafte Sound-Landschaft. Die Intention meiner Kunst hat mit Vibrationen in Muskeln und Knochen zu tun, die spürbar werden, wenn gewisse traditionelle Lieder performt, bestimmte Texte oder Zaubersprüche gesungen werden; eine Bedeutung, die sich aktiviert, wenn die Musik in den Körpern des Publikums schwingt.
Eine Art spirituelle Erfahrung?
Ja, ich glaube, dass es durch meine Musik möglich ist, andere Körper zum Schwingen zu bringen und so ein kollektives Verständnis zu schaffen. Ich selbst hatte bereits spirituelle Erfahrungen beim Hören von Musik, alleine, aber auch vor allem im Club – ein Gefühl von absoluter Glückseligkeit und Verbindung.
„Statt einem Kristall habe ich eben einen Synthesizer auf der Bühne.“
Hexen wurde in der Geschichte auf brutale Weise „die Stimme geraubt“, man hat sie gejagt und verbrannt. Welche Rolle spielt die Stimme für dich?
Die Stimme und das Singen wurden schon immer als etwas Magisches begriffen. Singen hatte die Macht, die natürliche Ordnung der Dinge zu bewahren. In Osteuropa gab es Lieder für jede Jahreszeit; man musste sie zum richtigen Zeitpunkt singen, damit die Natur ihren gewöhnlichen Lauf nehmen konnte. Ich singe in alten, archaischen Techniken, die sehr emotional und intim sind, weil sie Körper und Emotionen miteinander verbinden. Viele der Songtexte sind abstrakt und auf Polnisch. Es geht dabei weniger darum, jedes Wort zu verstehen, sondern dass durch die Klänge Raum für ein sogenanntes „Anderes“ erschaffen wird, ein Raum, in dem man sich willkommen und sicher fühlt – ein sogenannter „queerer safe space“. Frauen* und queere Menschen brauchen mehr Raum, um sich entfalten zu können, abseits von ständiger Beobachtung und Kritik. Mein Fokus liegt deshalb auf marginalisierten Körpern, die ihre Macht und ihre Stimmen zurückfordern.
Polen ist ein Land der Widersprüche: Während einige stark katholische Priester Harry Potter-Bücher verbrennen, leben nicht weit von der weißrussischen Grenze sogenannte Flüsterhexen-Heilerinnen, die sich über regen Zulauf freuen. Ist Polen spirituell?
Ich würde Polen in erster Linie als sehr katholisch beschreiben. Ich denke aber schon, dass sich Spiritualität irgendwo unter der Haut des Katholizismus befindet. Die Frage, wie Spiritualität in Osteuropa gelebt und ausgedrückt wurde und wird, ist eine sehr komplexe und multidimensionale. Ich freue mich aber, dass viele Künstler*innen – auch aus meiner Generation – Magie als feministische Kraft wiederentdecken und auf ihre Art und Weise anwenden, das inspiriert mich.
Gibt es osteuropäische Bräuche, die Dein alltägliches Leben beeinflussen?
Bräuche sind für mich Spuren eines magischen Denkens, die vor allem auf großen und machtvollen Symbolen basieren, die mich durchaus beeinflussen. Zum Beispiel die Symbolik Innen versus Außen. Ich schüttle niemandem im Türrahmen die Hände, das würde nämlich bedeuten, die Ordnung von Innen und Außen zu missachten.
Mala Herba bedeutet „böses Kraut“. Was wäre ein Beispiel für ein gutes Kraut?
Ich schwöre auf das sogenannte „Echte Johanniskraut“, es heilt alle Wunden und hilft gegen depressive Verstimmungen oder nervöse Unruhe. Und weißer Gänsefuß, der während der Hungersnot in Russland 1891 und 1892 gegessen wurde und so den Menschen half, zu überleben.
„Es gibt einen Dämon namens Wiły. Kommt man ihr zur nahe, wird man zu Tode getanzt.“
Dein aktuelles Album heißt Demonologia ist “non-binary, queer, femme folks, witches, sluts, & trouble-makers” gewidmet. Musikkritikerinnen verorten das Album zwischen EDM, Dark Wave, Industrial und Italo Disco. Du selbst beschreibst es als Studie über Dämonen, Geister, Gespenster und Phantome.
Mich hat schon immer interessiert, wie Dämonen und Geister geboren werden. Ich liebe es, über ihre Fähigkeiten und Geschichten zu lesen. Viele der Dämonen sind weiblich, es handelt sich oft um Seelen von Frauen, denen Unrecht getan wurde und Rache üben. Ich mag die Idee von Wut, von Rache als legitimer politischer Strategie: Never forget, never gorgive. Es gibt mir die Kraft, mir selbst zu vertrauen, mich selbst zu schützen und an meine eigene Wahrheit zu glauben.
Gibt es Dämonen, die Dich besonders faszinieren?
Es gibt einen Dämon namens Wiły; Sie kann ihre Form ändern und Regen und Sturm herbeitanzen. Kommt man ihr zur nahe, wird man zu Tode getanzt.
Ich liebe aber auch das Lied über Rusałki aus der Region Polesie – eine historische Landschaft in Polen, Weißrussland, der Ukraine und Russland. Rusałki sind weibliche Dämonen, die Männer anlocken können und sie kitzeln, ertränken oder verwirren. Einmal im Jahr laufen die Dorffrauen herum und singen Lieder über Rusałki, um ihre Gemeinschaft zu schützen und die Dämonen freundlich und sanft zu bitten, in ihre Welt zurückzukehren. Diese freundliche Art, wie sie diese Geister ansprechen, hat etwas sehr Liebenswertes - ich sehe darin eine zärtliche Verbindung außerhalb des männlichen Blicks, also einen queeren Moment.
Kannst Du einen Song auf dem Album für uns beschreiben?
Ein Song auf dem Album heißt Kupały. Das ist auch der Name für die Feier der Sommersonnenwende, der kürzesten Nacht des Jahres. Traditionell machte man große Feuer am Wasser, aber auch junge Paare gingen in den Wald, um nach magischen, farnartigen Blumen zu suchen. Außerehelicher Sex war erlaubt, es war ein Fest des Lebens und der Fruchtbarkeit. Ich habe ein Lied aus "Muzyka Odnaleziona" genommen, einem Archiv für Lieder aus der Region Polesie, in dem es um ein Mädchen geht, das schön gekleidet durch das Dorf läuft und nach Jungen sucht. Aber die sind nirgends zu finden, also sagt sie am Ende einfach: zur Hölle mit ihnen. Ich mag diesen Moment, nur für sich selbst hübsch und sexy zu sein. Aber technisch gesehen war das der Song, mit dem ich die meisten Schwierigkeiten hatte: Ich wollte den Klang der traditionellen Trommel einbauen und es war nicht einfach, die elektronischen und archivarischen Klangfarben zusammenzubringen. Elektronische Musik hat einen sehr perfekten, strengen Rhythmus, während traditionelle Musik schwebt und pulsiert. Letztendlich ist es ein lang erarbeiteter Kompromiss, eine Art Collage. Ich möchte, dass sie eine bestimmte magische Wirkung hat, die alle in meine Welt hineinzieht.
Vielen Dank für das Gespräch!