Wissen(schaft) von Natur und Mensch
Die Schweizer Videokünstlerin Ursula Biemann arbeitet an der Schnittstelle von Forschung, Aktionismus und Kunst. Mit ihrer Videokamera im Gepäck bereist sie Naturschauplätze auf der ganzen Welt, vom Amazonas bis nach Grönland, und trifft indigene Gemeinschaften und Schamanen und nimmt an Zeremonien teil, die ihr eine völlig andere Art von Wissen über die Natur offenbaren. Biemann übersetzt diese Erzählungen mit performativen Video-Essays, die nun erstmals in Wien im MuseumsQuartier zu sehen sind (bis 23.2.2025). Ein Gespräch über eine andere Realität und Wissen(schaft) von Natur und Mensch.
„Erde werden“
Magdalena Willert: Was vereint uns Menschen?
Ursula Biemann: Ich glaube, wir müssen uns gar nicht vereinen. Es ist eine Fiktion zu denken, dass wir eine Welt sind. Diese eine Welt gibt es nicht. Die westliche Moderne hat sich durchgesetzt, ihre Regeln und Mechanismen sind aber nicht auf alle übertragbar. Es ist viel wichtiger zu verstehen, dass es auf der Erde andere Wahrnehmungen und Wissenssysteme gibt, die genauso von Bedeutung sind. Ich versuche, diese mit meiner Arbeit zu vermitteln.
Was meinst Du mit dem Titel „Becoming Earth”, so heißt Deine Ausstellung im Wiener MuseumsQuartier, was übersetzt so viel wie „Erde werden“ heißt?
„Becoming Earth” ist eine eine künstlerisch-ökologische Auseinandersetzung mit unserem Planeten, anders als die, die wir gewohnt sind. Weg von dem rein wissenschaftlichen Ansatz, der sich für mich viel zu distanziert zur Natur gibt. „Erde werden” heißt, Teil von ihr, Teil ihrer Ökologie, Teil ihrer Fauna und Flora zu werden. Ich verwebe meine wissenschaftliche Forschung in dokumentarischen Bildern und Science-Fiction-Poesie, um die vielschichtige Realität eines sich verändernden Planeten sichtbar zu machen.
Was fasziniert Dich an indigenen Sichtweisen von Natur?
Ich finde die Art, wie sich Indigene ihrem Territorium gegenüber verhalten, sehr interessant. Sie sehen Land nicht als ihr Eigentum, sondern als ein Netz von menschlichen und nicht-menschlichen Verbindungen, die auch soziale, geschichtliche und koloniale Beziehungen miteinbeziehen.
„Der ganze Wald wurde belebt.“
Konntest Du als Mensch der westlichen Welt dieses Netz der Natur „sehen“? Wie haben sie es Dir vermittelt?
Um in das Territorium der Siona aufgenommen zu werden, muss man sich erst psychisch und sozial reinigen, indem man gemeinsam an einer Ayahuasca-Zeremonie im Wald teilnimmt. Ayahuasca ist eine aus einer Liane gebraute psychoaktive Substanz, die sie „Medizin“ nennen. Ich musste durch diese fremdartige Erfahrung, damit ich überhaupt begreife, wobei es bei indigenem Wissen geht: darum, durch ihre Augen sehen zu lernen.
Wie lief die Ayahuasca-Zeremonie ab?
Wir gingen am Abend tief in den Wald, übernachteten in Hängematten und wurden dabei von einem Schamanen begleitet, der uns den Trunk verabreichte. Dieser versetzt einen in einen Zustand, in dem du in einen übergeordneten Dialog mit deiner Psyche trittst. Das hat nichts mit einem Delirium zu tun. Man ist völlig präsent. Auf einmal wurde der ganze Wald belebt und es traten Waldgeister aus den Baumkronen, die ich in Form von meterhohen Gesichtern an den dunklen Waldkulissen fluoreszieren sah. Das waren einmalige Erlebnisse.
Was ist Ayahuasca für Indigene, was aus westlich-wissenschaftlicher Sicht?
Von dieser Pflanze wird wie von einer wichtigen, intelligenten Persönlichkeit gesprochen. Ich dachte mir am Anfang: „Are you serious?“ Aber diese Pflanze hat eine so lange Evolution, sodass sie gewisse Fähigkeiten entwickelt hat, die es ihr ermöglichen, sich an die Rezeptoren unseres Gehirns anzuknüpfen. Eine Art Koevolution, die ganz einzigartig ist. Dieses Wissen erfährt man nicht als mentale Übung wie bei uns, sondern als eine verkörperte Erfahrung mit einer Expansion aller Sinnen.
„Unsere Sinne sind beschränkt.“
Gelangt die Wissenschaft, wie wir sie kennen, hier an ihre Grenzen?
Alles, was mit psychischer Expansion zu tun hat, ist für die Wissenschaft schwer messbar. Darum haben wir uns Jahrhunderte lang eigentlich gar nicht darauf konzentriert. Unsere Sinne sind beschränkter geworden, während den Indigenen dieses verkörperte Wissen seit jeher zur Verfügung steht.
Hat das für Dich etwas mit Spiritualität zu tun?
Es kommt Spiritualität recht nah. Ich sehe es aber eher als eine andere Realität, als die geistige Dimension von Natur. Es ist wie eine zusätzliche Schicht, die im Gehirn aktiviert wird und die wir nie gelernt haben zu sehen.
„Alle Lebewesen haben die gleiche DNA.“
Die geistige Dimension von Natur?
Wissenschaftlich wissen wir seit den 50er-Jahren, dass alle Lebewesen, ob Insekt, Aprikose oder Mensch, dieselben DNA haben. Die Bausteine sind also gleich, nur die Programmierung ist eine andere. Wir können auch beweisen, dass ein Teil der DNA einen materiellen Teil und einen Lichtanteil beinhaltet, also energetisch und nicht nur materiell ist. Dass wir in der Lage sind, mit diesem geistigen, energetischen Teil der DNA zu kommunizieren, wissen und praktizieren Indigene seit Tausenden von Jahren. In der Wissenschaft versucht man, das jetzt erst zu verstehen, weil diese Themen völlig außerhalb ihres Radars liegen.
Wann ist dem Westen diese Verbindung verloren gegangen?
Im Zuge der Aufklärung musste sich die Wissenschaft stark von der Kirche abgrenzen. So haben wir die geistige Dimension aus unserer Wissensproduktion ausgeschlossen. Gewisse Phänomene können so nur halb beleuchtet werden. Alles andere fällt irgendwo in diesen Religions-, Esoterik-Bereich. Dadurch distanzieren wir uns immer mehr von der Natur, was es uns erst möglich macht, sie zu zerstören.
Du lebst in der Schweiz und bewegst Dich zwischen Grönland und dem Amazonas. Wie wählst Du die Orte aus, mit denen Du Dich befasst?
Zuerst kommt die Idee, dann der Ort, an dem ich sie andocken kann. Ein Beispiel: Michel Serres erklärt in seinem bekannten Buch „Der Naturvertrag” (1994), dass die bislang herrschende Darstellung der Natur allenfalls die von Dekor ist, vor dem das vermeintlich wesentliche Geschehen sich abspielt. Das welthistorische Neue heute ist, dass die Natur zurückschlägt. Befangen in unserer – allzumenschlichen – Geschichte, haben wir noch kaum wahrgenommen, dass durch unsere blinden Verwüstungen in der Natur ein Gegner herangewachsen ist, der die gesamte Menschheit mit dem Tod bedroht. Angesichts dieser möglichen Katastrophe plädiert Serres für ein neues Verhältnis der beiden Mächte.
„Etwas in Performance umsetzen, um die Bedeutung genauer zu kommunizieren.“
Ein gleichberechtiges Verhältnis?
Ja, in Ecuador ist das Recht der Natur seit 2008 in der Verfassung festgeschrieben. Das fand ich interessant und so dokumentierten wir durch das Projekt „Forest Law“ Fälle, bei denen der Wald vor Gericht sein Recht einforderte.
Wer vertritt den Wald vor Gericht?
Im Norden von Ecuador verseuchte das Ölunternehmen Texaco mit seinen Bohrungen große Waldteile. Ein indigener Chemiker entnahm dort Erdproben und klärte darüber auf. Wenn Journalistinnen kamen, um den Fall zu dokumentieren, machte er das wie eine Art Performance, damit sie etwas zu filmen hatten. Der Chemiker ist somit ein politischer Aktivist und gleichzeitig Performance-Künstler. Wenn man nur den Wald filmt, verstehen die Zuschauerinnen nicht, was es damit auf sich hat. Manchmal muss man etwas in Performance umsetzen, um die Bedeutung genauer zu kommunizieren.
Was macht der Klimawandel mit Deiner Psyche?
Die Probleme sind gigantisch. Aber dadurch, dass ich ja was dagegen mache, fühle ich mich weniger ohnmächtig. Ich sitze nicht in der Ecke und schmolle. Ich gehe die Quelle des Problems an. Genauso wie all die Aktivistinnen um mich herum. Wir sind da und wir tun etwas.
Danke für das Interview!