Mein Vater lebte und arbeitete im Keller. Meine Mutter war die Herrin des Obergeschosses in unserem Haus in Buchbach in Oberbayern. Soweit ich mich erinnern kann, begann die Auswahl eines Geschenks für meinen Papa zu Weihnachten oder zum Geburtstag immer mit der Frage: „Besitzt er schon das neueste Fan-Outfit von FC Bayern München?" Eine Fotoreportage.
Immer selbstbewusstes Auftreten und Extravaganz vor der Kamera. „Ich wollte sie in ihrer häuslichen Umgebung fotografieren, aber alle Aspekte eines jeden Porträts hat sich Mama selbst ausgedacht." Papa in seinem Lieblingsort des Hauses, der Keller, wo er sich immer zurückzieht, wenn nötig und arbeitet.
Ein Freund von mir beschrieb meine Mutter einmal als „schwierig".
Zuerst habe ich ihn nicht ganz verstanden, aber heute tue ich das. Wenn meine Mutter anwesend ist, tut sie alles, was sie sagt und macht, mit hundertprozentigem Eifer – und in hundertprozentiger Lautstärke. Seit mein Vater Anfang der 90er Jahre begann, im Keller unseres Familienhauses seine eigene Software-Entwicklungsfirma aufzubauen, war es nicht mehr nötig, eine richtige Hose anzuziehen, wenn er zur Arbeit ging. So beginnt sein Tag damit, dass er einen der Jogginganzüge auswählt, die er anziehen will oder er bleibt einfach beim Anzug vom Vortag. In der zerbrechlichen, selbstbewussten Zeit der Adoleszenz war es für mich nicht immer leicht, mit der Energie meiner Mutter umzugehen. Doch als ich erwachsen wurde, begann ich, sie nicht mehr nur als Mutter zu sehen, sondern als eine unabhängige Frau, die viel für ihre Familie aufgab.
... zu arbeiten, immer zu Hause zu sein, wo Frau und Kinder sind, ist nicht immer leicht und kann einem mit der Zeit auf die Nerven gehen. Mein Vater begann, den ganzen Keller zu annektieren. Papa richtete sich eine eigene Werkstatt ein, ordnete sorgfältig alle Geräte, Materialien und Werkzeuge und ging nur dann ins Obergeschoss, wenn meine Mutter ihn rief, weil das Essen fertig war. Meine Mutter hatte es nicht leicht. Es wurde bei ihr Epilepsie diagnostiziert und sie musste starke Medikamente mit heftigen Nebenwirkungen einnehmen. Sie ließ sich jedoch von ihrem Zustand nicht unterkriegen. Sie begann ein neues Hobby: Tanzen. Neben unserer Haustür hängt ein Gemälde des Heiligen Georg, der gegen den Drachen kämpft. Georg ist der Name meines Vaters. Wenn Gäste kommen, kommt mein Vater nicht mehr allzu oft nach oben. So ist der Heilige Georg der einzige Georg, den unsere Besucherinnen zu Gesicht bekommen. Ich wollte sie in ihrer häuslichen Umgebung fotografieren, aber auch alle anderen Aspekte eines jeden Porträts hat sich Mama selbst ausgedacht.
Meine Mama wählte alle ihre Outfits und das Zimmer, in dem sie fotografiert wurde, in ihrem Haus selbst aus. Die Einrichtung hat sie selbst entworfen.
FC Bayern durch und durch
Das FC Bayern-Fanatikerdasein ist in der Familie meines Vaters tief verwurzelt. Er hat nicht nur eine riesige Sammlung von Fanartikeln und -kleidung, auch seine Eltern, meine Oma und mein Opa verpassen kein Spiel. Ich fragte als Studentin meine Großeltern, ob ich von ihnen Porträts machen könnte. Sie lehnten ab. Als ich anregte, sie als FC Bayern-Fans in Szene zu setzen, sagten sie sofort ja. Und so möchte ich mich, auch wenn ich gar kein Fußballfan bin, beim FC Bayern bedanken, dass ich meine Großeltern und meinen Vater fotografieren durfte.
Claudia Holzinger (*1985) ist eine intermediale Künstlerin, Grafikdesignerin und Fotografin, die international ausstellt. Sie studierte Grafikdesign an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg und an der Universität für angewandte Kunst in Wien sowie Fotografie in der Klasse von Juergen Teller in Nürnberg. Sie ist in Oberbayern aufgewachsen und lebt und arbeitet derzeit in Berlin.
Dieses Interview ist in der Printausgabe 5/2022 „The Provinz Issue“ erschienen. Sie können das Magazin in unserem Shop bestellen.