„Kunst soll unser Herz berühren.“
Kunst darf auf keinen Fall elitärer werden! Gerade die Vielfalt in der Kunstproduktion ist doch das, was uns inspiriert. Trotzdem erlebe ich den Umgang mit zeitgenössischer Kunst oft als ziemlich elitär. Da gibt es diesen kleinen Zirkel von vermeintlichen Fachleuten – eine eingeschworene Gemeinschaft, die der Kunst eine Art intellektuellen Überbau und Unantastbarkeit verpasst, bestehend aus Inhalten, die sich nur einer ausgewählten Minderheit erschließen. Wenn ich manche Ausstellungstexte oder Katalogessays lese, habe ich manchmal das Gefühl: Hier geht es nicht darum, den Lesenden Kunst näher zu bringen, sondern sie auf Abstand zu halten.
Wir Kuratoren und Kuratorinnen müssen weg von diesem Elfenbeinturmdenken! Kunst wird oft von oben herab analysiert, bewertet und in Schubladen gesteckt – und das Ganze mit einer Kühle und Distanz, die der Kunst nicht gerecht wird. Dabei ist Kunst doch etwas, das wir auch fühlen können! Kunst sollte nicht nur den Kopf, sondern auch unsere Emotionen ansprechen, ja, unser Herz berühren!
Günther Oberhollenzer ist der künstlerische Leiter der Künstlerhaus Vereinigung. Der in Südtirol geborene Kunsthistoriker und Kulturmanager war unter anderem leitender Kurator der Landesgalerie Niederösterreich und kuratierte 2021 die Mitgliederausstellung „(K)EIN MENSCH IST EINE INSEL.“
„Der Zugang zur Kunst war immer elitär.“
Man muss das künstlerische Schaffen und den Kunstmarkt unterscheiden. Letzterer ist wie jeder andere Markt durch Angebot und Nachfrage geregelt. Über Qualitäten, Fragestellungen und Inhalte der Kunst wird in unserer durchökonomisierten und von (un)sozialen Medien infiltrierten Gesellschaft kaum noch gesprochen.
Das Kunstschaffen und der Zugang zur Kunst waren immer elitär. Früher waren es der Adel und die Kirche, die als Auftraggeber fungierten und ihre Macht sowie die Distinktion gegenüber einer vermeintlich unterlegenen Masse auch über Kunst und Kultur zur Schau stellten. Später übernahm die öffentliche Hand diese Rolle, während heute zunehmend wenige finanzkräftige Unternehmen und Privatpersonen ihren Einfluss über die Kunst zu mehren suchen. Besonders im Bereich der modernen und zeitgenössischen Kunst jagt ein Auktionsrekord den nächsten, und der Besitz von Kunst scheint für die Mehrheit unerreichbar geworden – zumindest ist das der Eindruck, der sich im Nachrichtenrauschen und der Bilderflut der auf Likes und Shares fokussierten Medien vermittelt. Dies verstärkt bei vielen das Gefühl der Ausgeschlossenheit vom Zugang zur Kunst, die als zunehmend lebensfremd und elitär wahrgenommen wird.
Statt die Frage zu stellen, ob sich diese sich vertiefende, demokratiegefährdende Tendenz weiter steigern sollte, sind wir wohl alle dazu angehalten, darüber nachzudenken, wie Kunst und Kultur wieder über Bildung und leistbare Angebote in der Mitte der Gesellschaft verankert werden können – über soziale Klassen, Geschlechter, Religionen und Ethnien hinweg. Ich glaube an die Kraft der Kunst, uns als Gesellschaft gemeinsam weiter zu entwickeln.
Fiona Liewehr ist Kunsthistorikerin, Kuratorin, Autorin und Herausgeberin in Wien. Nach Leitungspositionen im Belvedere und im mumok sowie ihrer Tätigkeit als Künstlerische Leiterin bei Georg Kargl Fine Arts ist sie seit 2018 als unabhängige Ausstellungsmacherin tätig.
„Den Begriff der Elite neu definieren“
Ob Kunst wieder „elitärer“ werden sollte? Heute werden Arroganz und Exklusivität mit elitär assoziiert, obwohl in der Französischen Revolution diejenigen als Elite galten, die durch ihr Tun – statt ihrer privilegierten Herkunft – etwas Neues in die Welt brachten. Wenn einst das revolutionäre Tun statt des ererbten Adels die Elite ausmachte und heute reaktionäre Milliardäre aller Kontinente behaupten, ihre imaginierten Völker gegen die intellektuellen Eliten zu repräsentieren, dann mag es an der Zeit sein, den Begriff der Elite zu rehabilitieren.
Kunst ist nicht elitär, weil sie ausschließt, sondern weil sie Ansprüche stellt: an sich selbst als Multitude von Menschen, Praktiken und Diskursen, an die Gesellschaft und an die Macht. Dann ist die wachsende Multitude derer, die Kunst schaffen nicht das Problem, vielmehr Teil der Aufklärung über die Grausamkeit der Gegenwart und damit Voraussetzung für eine andere Zukunft. Kunst lebt von Stimmen, die sich widersprechen, verschränken und ergänzen. Was fehlt, ist nicht weniger Kunst, sondern ein unerschrockener und wagemutiger Diskurs über das, was sie heute ist, was sie morgen sein könnte. Und: wie ein Übermorgen aussehen würde, in dem die Kunst - im Futur zwei - schon höchst wirksam geworden ist.
Petra Schaper Rinkel ist Rektorin der Universität für angewandte Kunst Wien. Davor und immer noch forscht sie dazu, wie das Neue in die Welt kommt – was sie je nach Perspektive zur Zukunftsforscherin oder Innovationsforscherin macht.
„Kunst muss nicht niederschwellig sein“
Dass immer mehr junge Menschen ein Kunststudium anstreben, hat sicherlich mit dem fortschreitenden Individualisierungsprozess unserer Gesellschaften zu tun, der „Kreativität“ zum goldenen Kalb einer säkularisierten Welt gemacht hat. Richard Florida prägte den Begriff der „kreativen Klasse“, die, so konzediert er, im Spätkapitalismus zumindest auf der Ebene des Symbolkapitals den Ton angibt: Vom Manager bis zur administrativen Fachkraft jeder und jede beansprucht heute, kreativ zu sein. Diese Neubewertung der Kreativität, die seit den 1990er Jahren zu beobachten ist, führte auch zu einem stetig wachsenden Zulauf zu den Kunstuniversitäten. Dass viele Absolventinnen nach ihrem Studium von ihrer Kunst nicht leben können, ist eine statistisch belegte Tatsache. Doch wer Kunst studiert, kann beruflich in vielen Feldern reüssieren und muss nicht zwingend am Kunstmarkt durchstarten.
Kunst war immer eng verwoben mit der Repräsentationskultur der Mächtigen. Michelangelo und Da Vinci dienten Fürsten und Päpsten, die zeitgenössische Kunst hängt am Tropf des Großkapitals. Sie ist – dies kann zumindest mit Blick auf die so genannte Bluechip-Kunst gesagt werden – ein Investitionsgut. Letzteres kann nicht zuletzt dieser Tage beobachtet werden, da Preise auf Auktionen um bis zu 35 Prozent eingebrochen sind. Die Nerven der Investor.innen liegen blank. Insofern war und ist Kunst elitär. Wenngleich die Teilhabe heute eher auf der Ebene des Pekuniären reguliert wird, denn auf der Ebene eines verbindlichen Bildungskanons. Kunst muss nicht niederschwellig sein. Nicht jedes Artefakt kann sofort verstanden werden. Gerade die konzeptionelle Kunst verlang Rezipient:innen, die über ein bestimmtes Wissen verfügen. Auch James Joyces Jahrhundertroman „Ulysses“ wird nicht von jeder Leserin verstanden, die zum ersten Mal zu einem Buch greift.
Christine Scheucher ist Redakteurin der Ö1 Kulturredaktion und produziert Kulturberichte für den ORF-"kulturMontag" und 3sat-"Kulturzeit". Für ihre journalistischen Arbeiten, darunter ein Ö1-Feature über das Silicon Valley, wurde sie mit dem Dr.-Karl-Renner-Preis und dem Walther-Rode-Preis ausgezeichnet.
„Bereits jetzt alles sehr selektiv“
Der Zugang zu Kunsthochschulen ist bereits jetzt sehr selektiv. In den meisten Klassen des Instituts für bildende Kunst werden pro Jahr nicht mehr als drei bis fünf Studierende aufgenommen. Strengere Aufnahmebedingungen an Kunsthochschulen würden nichts an der gesellschaftlichen Überproduktion materieller Güter ändern. Stattdessen sollten wir unsere Aufmerksamkeit darauf richten, unsere Konsum- und Produktionsbedingungen neu zu strukturieren. Das ist natürlich eine viel komplexere Aufgabe, als das Kunstschaffen exklusiver zu gestalten.
Außerdem ist die Beschäftigung mit Kunst ein Grundbedürfnis des Menschen. Jedes Kind malt, ohne sich um Kritik oder die Anforderungen des Marktes zu kümmern. Kunst ist etwas, das vielen Menschen in schwierigen Lebenssituationen hilft und viel mehr als ein Marktprodukt. Zum Beispiel beschreibt der Neurologe Oliver Sacks, wie Kunst für Menschen, die teilweise den Kontakt zur Realität verloren haben oder neurologische Probleme haben, oft das einzige Mittel oder der einzige Zugang zur Welt ist.
Der sogenannte Wert von Kunst wird überwiegend von Menschen bestimmt, die Kunst als Finanzanlage betrachten. Der tatsächliche gesellschaftliche Wert von Kunst würde jedoch sicherlich durch einen besseren Zugang zum Kunstkonsum gesteigert werden. Die eigentliche Frage ist also, wie der Kunstmarkt für Konsumentinnen weniger exklusiv gestaltet werden kann.
Olga Shapovalova wurde 1988 in der Sowjetunion geboren und studiert seit Oktober 2018 Kunst und Bildhauerei an der Akademie der bildenden Künste Wien. Seit 2019 ist sie in der ÖH aktiv, war zwei Jahre Vorsitzende und ist Referentin für das Sozialreferat sowie Gründerin der Kinky Partei.
Jennifer Posny studiert ebenfalls an der Akademie der bildenden Künste und ist Referentin für Bildungspolitik und Mitglied der REFA („Reiche Eltern für Alle“)-Partei.