53 Quadratmeter, 2 Kater, 1 Puff

LAN Parties und Leopardenstrings

Der Fotojournalist Jeff in Alfred Hitchcocks Filmklassiker tut es. Anton Pilgram in seinem Selbstbildnis im Stephansdom tut es auch. Genauso tut es die Nachbarin nebenan: Sie alle schauen aus dem Fenster, observieren und inspizieren, was draußen so vor sich geht. In unserer Serie Das Fenster zur Stadt berichten Wienerinnen und Wiener von ihrem täglichen Blick aus dem Fenster, ihren Sichtweisen und Stadtansichten: aus der Wohnung, vom Büroschreibtisch, aus dem Taxi oder der Straßenbahn...

Nicht selten, wenn ich unser Wohnhaus in einer Seitengasse der Thaliastraße im 16. Wiener Gemeindebezirk betrete, fühle ich mich an eine Illustration aus meiner Studienzeit erinnert: die Lyoner Terenzbühne. Keine Sorge, es folgt jetzt keine kulturgeschichtliche Abhandlung! Bei unserem von außen mausgrauen Altbau verhält es sich jedoch genauso wie bei der Bühnenform aus dem Mittelalter. Ganz oben, da sitzen die Gebildeten. Jene, die über die monetären Mittel verfügen, einen modernen Ufo-Dachaufbau auf ein unter ihm ächzendes Jahrhundertwendehaus zu platzieren. Ganz unten, im leicht modrigen Keller, da wird der fleischlichen Lust gefrönt. Wie im Terenztheater befindet sich hier schlicht und ergreifend ein Freudenhaus. Oder salopp: ein Puff.

"Nazis und Böbös raus!"

Außer Leopardenstrings, die zum Trocknen im Keller hängen, bekommt man davon als Bewohner des Eckhauses aber recht wenig mit. Der nicht allzu offenkundig beschilderte Eingang des Etablissements ins Souterrain befindet sich schließlich in der Nebengasse. Genau auf diese gehen auch drei unserer vier Fenster hinaus. Besonders die beiden alten hölzernen Kastenfenster sind bei den felinen Mitbewohnern im Sommer äußert beliebt. Manchmal wähnt man im Haus gegenüber Seltsames. Neben einem Möbellager, das zu einem türkischen Einrichtungshaus am Anfang der Straße gehört, befindet sich ein leerstehendes Friseurgeschäft. Abends ist dort immer Betrieb – Lan-Partys oder so. Zumindest das neonblaue Blinken deutet ganz darauf hin.

"Die bierig-malzige Note von Ottakring."

Aus unserem Schlafzimmer offenbart sich ein einmaliger Ausblick auf den so genannten Bizarr Salon, einen Sadomasoschuppen. Eine standesgemäß schwarz gekleidete Dame begrüßt dort ihre schmerzbegierige männliche Kundschaft. Kommen diese trotz an der Haustür händisch angeschriebenen Öffnungszeiten zu früh, rauchen sie noch eine Zigarette. Nicht unähnlich jenem Nachbarn, der sich seine Freizeit rauchend in Jogginghose und Schlapfen im Innenhof unseres Wohnhauses vertreibt. Er gehört zu jener Gruppe, die in den Stockwerken zwischen Puff und Dachgeschoß wohnen; zur typisch wienerischen Mischkulanz aus Studentinnen und Studenten, Alteingesessenen und Familien mit Migrationshintergrund. Dass die Gentrifizierung, die Verbürgerlichung, hier in Ottakring längst nicht mehr am Anfang steht, ist hinlänglich bekannt. Yppenplatz, Brunnenmarkt und Ottakringer-Brauerei sei Dank. Die bierig-malzige Note der letzteren wechselt sich mit der schokoladigen aus der Mannerfabrik im Nachbarbezirk Hernals ab. Sie liegt übrigens nicht nur in unserer Gasse in der Luft.

Thaliastrasse
1160 Wien
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