| Parastu Najibmanesh | 27 | Studentin | Aus Stuttgart, lebt in Wien | Narben unter den Brüsten |
| Christel | 22 | Musikerin und Künstlerin | Wien | Linke große Zehe fehlt |
| Marcel Dziewulski | 27 | Grafiker | Aus Hannover, lebt in Wien | Bauchnarbe |
Das war so vor vier Jahren in Hamburg. Ich besaß so ein Fahrrad ohne Bremsen, mit dem hatte mich die Polizei angehalten, und ich musste eine neue Vorderbremse installieren. Paar Tage danach war ich mit einem Kumpel unterwegs. Auf dem Weg wollte ich eigentlich noch über eine rote Ampel, entschied mich aber in letzter Sekunde zu bremsen. Die neue Vorderradbremse war viel zu fest eingestellt, es hat mich überschlagen und den Lenker voll in meinen Bauch gedrückt. Als ich versuchte aufzustehen, wurde mir ganz schwindlig, mir wurde klar, dass da was nicht stimmt! Mein Freund fuhr mich gleich ins Krankenhaus und die Ärzte merkten direkt, dass auf jeden Fall was ganz Schlimmes mit mir war. Der Fahrradlenker hatte meine Milz getroffen und sie komplett zerfleddert, also: die war im Arsch. Die wurde dann entfernt und am nächsten Morgen bin ich mit einem Riesenpflaster auf dem Bauch aufgewacht. Ich hatte auch starke innere Blutungen und musste noch mehrere Monate Eisenpräparate schlucken. Insgesamt war ich eine Woche im Krankenhaus und es hat zwei Monate gedauert, bis ich wieder fit war. Jetzt habe ich kaum Beschwerden mehr, nur ein erhöhtes Thrombose-Risiko. Meine Narbe juckt ab und zu und manchmal habe ich so ein Stechen, da wo mal die Milz war – wie so ein Phantomschmerz. Ansonsten geht’s mir gut.
2015 bin ich in Athen auf Klassenfahrt von dem Berg Areopag gefallen. Ich bin gestolpert und 15 Meter tief gefallen, ich erinnere mich noch genau: Das Geräusch, wie das Gras abgerissen ist, weil ich mich festhalten wollte, und das Gefühl, wie im Traum zu fallen, nur war’s real. Freunde kamen mir zur Hilfe – alle waren im Schockzustand! Mir war aber klar: „Fuck, das ist schlimm!“ Ich habe dann meine Zehen bewegt und dachte: „Puh, nicht gelähmt!“ Meine Bergung und Einlieferung ins Krankenhaus habe ich wie einen Film in Erinnerung. Ich sah abwechselnd Schwarz, dann wieder Licht, Ärzte und Lehrer. Mir wurde die Kleidung weggeschnitten. Der einzige Gedanke, der mich quälte, war die Vorstellung, dass mich meine Lehrer nackt sehen könnten. Gebrochen waren Femur, Radius und drei Rippen, die meine Lunge punktiert haben. Nach zweieinhalb Tagen im Athener Krankenhaus, allein mit meinem Mathelehrer und wenigen Schmerzmitteln, wurden wir von deutschen Flugzeugärzten mit einem Jet zurückgeflogen. Meine Narben stammen aus drei OPs innerhalb von eineinhalb Jahren. Der Reha-Prozess danach, das neue Gehenlernen und auch die Lästereien in der Schule waren hart. Heute stehe ich zu meinen Narben, sie haben mich stärker gemacht und gehören zu mir! Sie ziehen manchmal noch und ein Bein ist kürzer, dafür lebe ich noch. Ich hatte Riesenglück!
Ich habe das Entrapment-Syndrom, wobei die Muskeln die Gefäße an einer bestimmten Stelle abdrücken. Das hat in einem Austauschjahr in den USA angefangen. Ich trieb da viel Sport, dabei schlief mein Bein immer wieder ein und ich bekam krasse Schmerzen. Erst fünf Jahre später habe ich die Diagnose bekommen. Bis dahin war es für mich am schlimmsten. Niemand wusste, was es ist, und dann glaubt Dir keiner mehr.
Dadurch ist auch ein großer Teil meines Freundeskreises weggebrochen. Die waren alle so: „Warum kommst Du nicht mehr? Wenn Du was hast, gehe doch zum Arzt!“ Zur Narbe kam es durch einen operativen Eingriff 2019: Da mussten von dem Muskel in der Kniekehle z zwei Drittel weggeschnitten werden, damit wieder Platz ist und nichts mehr abgedrückt wird. Einen Tag vor der OP meinte die Operateurin: „Du musst sehr aufpassen, es kann sein, dass Du ein Bein verlierst. Ab jetzt musst Du bis ans Ende Deines Lebens wie ein Rentner leben.“ Das war nicht gerade einfühlsam. Ich habe diese Sprüche bis heute im Hinterkopf. Beeinträchtigungen habe ich nicht mehr, nur die Angst, dass es wiederkommt. Manchmal habe ich was in der Wade, dann bin ich so: „Fuck!“ Also es ist sehr viel psychisch. Die Narbe juckt manchmal, aber sonst nichts.
Zu meinem 24. Geburtstag kamen mich meine Schulfreunde in Wien besuchen. Wir sind noch total eng! Sie haben mir in meiner WG ein Überraschungsfrühstück bereitet. Ich bin währenddessen mit dem Knie gegen einen herausstehenden Schlüssel in einer Schranktür gestoßen. Wie Friends so sind, haben voll viele gelacht, ich dadurch auch und hab dann nicht weiter drauf geachtet. Beim Essen habe ich dann an mir runtergeschaut. Meine Feinstrumpfhose hatte total das große Loch und da war dieser Schlitz in meinem Knie. Es hat nicht mal geblutet, man konnte nur was Weißes sehen und eine durchsichtige Flüssigkeit – echt ekelhaft! Ich erschrak mega, habe es dann aber ignoriert. Meine Freundin Pauline meinte: „Oh, mein Gott! Wir müssen in die Notaufnahme!“ Das wollte ich nicht und habe die Wunde einfach abgeklebt und wir sind den ganzen Tag durch Wien gerannt. Ein paar Tage später hatte ich eine Vorstellung im Burgtheater und bin zur Theater-Ärztin gegangen. Die meinte, es sei alles okay. Wenn ich die Narbe heute anschaue, dann freue ich mich, weil ich an meine Homies und den Geburtstag denke. Außerdem ist sie wie ein Tattoo. Als Schauspielerin traue ich mich nicht, ein echtes zu machen.
Also i hob mit vier Jahren so Pseudokrupp ghabt, des is so a Kinderkrankheit, so a Art Bronchitis. Damit sich das bessert, musst i oft inhalieren. Meine Mutter hat mir das einmal vorbereitet, während i gschlofn hob, dann bin i aufgwacht und hab gsagt: „Was?“ Und sie hat sich gschreckt, dass i aufgwacht bin und in dem Augenblick hat sie mir des heiße Wasser über den Arm gschüttet. Davon hob i jetz die Verbrennungsnarben am Arm. Die san aber nur so stark, weil i als Kind so a Medikament nehmen musste, was ma in den Neunzigern geben hat. Da war Kortison drin, des hob i net vertragen und dann hob i so Cellulitis kriegt, da wird die Haut komplett zerstört und regeneriert sich auch nimma, also net Cellulite. Und desholb hob i so a schlechte Wundheilung. Aber i muss sagen, i sehs gar net. Ich find Narben verschwinden so am Körper, dann nimmt ma sie gar net wahr, genauso wie Piercings oder Tattoos, i bin ja a tätowiert. Man nimmt das am Körper irgendwie anders wahr.
| Natalie David | 52 | Projektmanagerin & Astrologin | Aus Wien | Handgelenksnarbe |
Ich bin Mitglied beim Verein „Rundtanzen am Eis“ in Wien – diese Art des Eistanzens ist immaterielles UNESCO-Kulturerbe. Im Jänner sind wir zu den Budapester Eistänzerinnen zum Austausch gefahren. Dort bin ich auf dem Eis getanzt und nicht ganz eine Stunde später lag ich auf dem Eis und musste abtransportiert werden. Mir ist ein junger Ungar reingefahren, er hat sich in meiner Kufe eingefädelt. In der Sekunde wusste ich, was passiert war. Das hörst Du ja richtig, wie das in Dir bricht und Du denkst Dir: „Scheiße!“ Im Sanitätsraum kamen sie und wollten mein geliebtes Kleid aufschneiden. Dagegen wehrte ich mich: „Nein! Nein! Nein! Das ist ein sauteures Merinowoll-Teil.“ Es ist zum Glück heil geblieben. Im Budapester Spital wurde mir ein komplizierter Trümmerbruch diagnostiziert, der operiert werden musste. Mit Spaltgips bin ich gleich zurück nach Wien ins Spital gefahren. Der OP-Termin war eineinhalb Tage später. Vor der OP hat sich mir der Operateur, Dr. Wunderer, vorgestellt und gemeint, er wüsste nicht, ob ich die volle Funktion zurückerhalten würde. Ich meinte: „Bei dem Namen erwarte ich Wunder.“ Meine Handgelenksnarbe habe ich vom Einsetzen der Platten und Schrauben. Sechs Wochen lang war ich durch den Gips eingeschränkt, nun bin ich wieder gelenkiger.
Ich hatte eine Trichterbrust – Pectus Excavatum – eine Fehlbildung des Brustbeins beziehungsweise des Brustkorbs. Die Diagnose habe ich mit 13 Jahren bekommen. Die Trichterbrust war bei mir relativ stark ausgeprägt, ich konnte im Sitzen eine Getränkedose darin abstellen. Sport zu machen, war auch ein Problem, weil mein Herz auch etwas beeinträchtigt war. Deshalb musste das behandelt werden, da es sonst im Lauf des Lebens zu stärkeren Beeinträchtigungen hätte führen können. Bei der ersten OP sind mir zwei Implantate eingesetzt worden, die nach fünf Jahren wieder entfernt wurden. Auch während dieser Phase hatte ich Einschränkungen, ich hatte etwa einen Implantatausweis, da eine konventionelle Reanimation bei mir nicht möglich gewesen wäre. Zum Glück habe ich mich sehr schnell von beiden OPs erholt und auch nicht wirklich Schmerzen gehabt. Die zwei längeren Narben links und rechts stammen vom Ein- und Ausfädeln der Implantate. Die anderen beiden am Brustbein sind die Resultate vom Aufspreizen des Brustkorbs. Die Narben waren lange taub; berührt oder gekitzelt zu werden, war daher lange unangenehm für mich. Durch die Bewegung des Gewebes wurden die Narben am Brustkorb auch ausgedehnt und dadurch breiter. Bleibende Probleme oder Schmerzen habe ich keine, beim Sport zieht‘s mal, aber das wäre vielleicht auch ohne Narben so.
Ich habe viele Narben an meinem Körper und jede hat mich etwas gelehrt. Natürlich hätte ich alle weglasern lassen können, doch wollte ich diese Lektionen nie vergessen.
Meine erste Narbe zog ich mir mit neun Jahren an der Unterlippe zu. Ich würde sie „Prokrastination“ nennen, da ich eigentlich zur Klavierstunde musste, aber vorher noch kopfüber von einer Stange herunterhing. Das habe ich vorher nie gemacht, weshalb ich auch runtergefallen bin, wodurch sich meine Lippe in Zwei teilte.
Meine zwei Narben am Hals würde ich „Überlebende“ taufen. Es passierte in Moskau, eine Stadt mit vielen gefährlichen Bezirken. In einem dieser, ging ich zu einer Party von Freundinnen. Es ging blitzschnell: Jemand stach mir ein Messer in den Hals und rannte mit meiner Handtasche davon. Ich lebe noch, da die Arterie nicht verletzt wurde. Ich kann mich nicht an viel erinnern, nur das Parfüm des Mannes ist mir stark im Gedächtnis geblieben.
Auch am Nacken und am Arm habe ich Narben. Diese würde ich „Kunstflug“ nennen, da sie durch eine sehr kreative OP verursacht wurden. Vor sieben Jahren hatte ich eine Zahnfleischentzündung, weshalb davon schnell Teile entfernt werden mussten. Um meine Sprachfunktion aufrechtzuerhalten, wurde mir eine Armvene in den Mund implantiert. Ich bin also sowas wie eine Professor Frankenstein-Kreatur.
Fritz Schwärzler alias Goldjunge | 26 | Österreich, lebt in Wien | Architekt | Fehlendes Auge |
Als Kind hatte ich ein Retinoblastom, wodurch ich mein rechtes Auge verlor. Das ist eine Spontanmutation durch die sich ein Tumor auf der Netzhaut bildet, also Augenkrebs.
Mir mussten dann der Augapfel und sogar der Sehnerv entfernt werden, denn der Tumor war schon auf dem Weg in Richtung Hirn. Lange hatte ich ein Glasauge, womit ich mich nie wohl gefühlt habe. Diese Prothesenart ist sehr deutlich zu erkennen, da sich das Auge nicht mitbewegt, wodurch ich in einigen Positionen schielte und gerade dafür viel gehänselt wurde.
Plötzlich kam mir die Idee mit dem Goldauge. Ich entschied mich für das Material zum einen aus Stil Gründen, inspiriert vom Grillz-Trend, und zum anderen, weil Gold unproblematisch für die Schleimhäute ist. Damit fühle ich mich viel wohler, denn ich weiß, dass ich jetzt nicht mehr durch die Gegend schiele und diesem Gefühl nicht mehr unterworfen bin. Das Goldauge ist zwar wesentlich auffälliger als ein Glasauge, wodurch ich von weniger offenen Menschen manchmal schiefe Blicke ernte, ansonsten ist das Feedback aber sehr positiv. Die Leute kommen zu mir, betonen wie hübsch und schön es aussieht und sind sehr supportiv. Darüber freue ich mich sehr, auch wenn es manchmal viel sein kann, wenn zum Beispiel an einer Party zehn Leute nacheinander zu mir kommen. Das ist aber halb so wild!
Als Kind hatte ich ein Retinoblastom, wodurch ich mein rechtes Auge verlor. Das ist eine Spontanmutation durch die sich ein Tumor auf der Netzhaut bildet, also Augenkrebs.
Mir mussten dann der Augapfel und sogar der Sehnerv entfernt werden, denn der Tumor war schon auf dem Weg in Richtung Hirn. Lange hatte ich ein Glasauge, womit ich mich nie wohl gefühlt habe. Diese Prothesenart ist sehr deutlich zu erkennen, da sich das Auge nicht mitbewegt, wodurch ich in einigen Positionen schielte und gerade dafür viel gehänselt wurde.
Plötzlich kam mir die Idee mit dem Goldauge. Ich entschied mich für das Material zum einen aus Stil Gründen, inspiriert vom Grillz-Trend, und zum anderen, weil Gold unproblematisch für die Schleimhäute ist. Damit fühle ich mich viel wohler, denn ich weiß, dass ich jetzt nicht mehr durch die Gegend schiele und diesem Gefühl nicht mehr unterworfen bin. Das Goldauge ist zwar wesentlich auffälliger als ein Glasauge, wodurch ich von weniger offenen Menschen manchmal schiefe Blicke ernte, ansonsten ist das Feedback aber sehr positiv. Die Leute kommen zu mir, betonen wie hübsch und schön es aussieht und sind sehr supportiv. Darüber freue ich mich sehr, auch wenn es manchmal viel sein kann, wenn zum Beispiel an einer Party zehn Leute nacheinander zu mir kommen. Das ist aber halb so wild!