„We are oversexed but underfucked.“
Heißer Sex, makellose Körper, reine Lust – wild und dirty. Pornos täuschen Authentizität vor, haben aber mit dem wahren Leben nicht wirklich viel zu tun. Adrineh Simonian war Opernsängerin, nun ist sie Pornoproduzentin. 2016 gründete sie Arthouse Vienna, eine Streaming-Plattform für ausschließlich feministische und ethische Pornografie. Sie setzt sich in ihrer Arbeit gegen ein frauenfeindliches Bild im Porno ein, will das Stigma Pornografie aufbrechen und die Menschlichkeit in den Vordergrund rücken. Wir reden mit der armenisch-iranischen Wienerin darüber, warum ihre Pornos dem wahren Leben näher als der Mainstream sind.
Victoria Hofstetter & Simon Wimmer: Was haben Porno und Oper gemeinsam?
Oper ist reiner Porno!
Was ist Porno?
Porno ist viel mehr als das, was die Gesellschaft darunter versteht. Die Gesellschaft versteht unter Porno oder Pornografie ein Video, woran sie sich aufgeilt, wozu sie masturbiert und sich entlädt. Pornografie ist nicht als Masturbationsvorlage gedacht. Sie ist viel mehr. Sie kann politisch, künstlerisch, avantgardistisch sein und hat unglaublich viele Facetten. Sex funktioniert auch nicht auf Knopfdruck: Jeden Samstag um 15 Uhr wird gevögelt. Was soll das?
Wie war Dein Weg von der Opernbühne an das Pornoset?
Es ist kein weiter Weg von der Oper zur Pornografie. Meine Karriere als Opernsängerin war toll und ich habe damit viel Schönes erreicht. Für mich war aber immer klar, ich werde das nicht ein Leben lang machen. Die Oper hat den Ruf glamourös zu sein. Alle denken, die Menschen, die sie machen, seien intellektuell, und alle besäßen dort ein unglaubliches Talent. In Wirklichkeit ist das alles auf Schaum gebaut. In der Oper rennt es nicht anders als an einem Pornoset, in Hollywood oder in einer Firma ab. Es ist überall das Gleiche. Menschen sind einfach Menschen.
Ist Oper erotisch?
Auf der Opernbühne gibt es viel Erotik, halt eher plakative, die mit echter Erotik gar nichts zu tun hat. Man kennt das von Filmen. Ich kam mit dem Opern-Business einfach nicht mehr klar. Hinter der Bühne ist dann der richtige Porno.
Bei Porno war das für Dich anders?
Ja, kaum redet man von Porno, drehen sich alle um oder es herrscht betretene Stille. Mich machte das damals neugierig, ich wollte wissen, was Pornografie wirklich ist. Mit meinen Pornofilmen hatte ich das Gefühl, ich mache etwas Sinnvolles. Was mach ich als Opernsängerin Sinnvolles?
„Wie ein Penis oder eine Vagina aussehen, wissen wir alle.“
Was fasziniert die Menschen so an Pornografie?
Pornografie war schon immer. Seitdem wir irgendwas aufschreiben oder aufzeichnen können, gibt es die Pornografie. Das ist etwas, das die Menschheit immer begleitet hat und auch begleiten wird. Pornografie ist menschlich.
Sind Pornos wirklich authentisch? Ist denn das alles nicht auch nur Schauspiel wie auf der Opernbühne?
Pornografie kann auch Schauspiel sein, keine Frage. Die Sexszenen in meinen Filmen sind aber nie gestellt. Ich sage immer: „Wie Ihr das macht, was Ihr macht, was Euch gefällt, das müsst Ihr untereinander ausmachen.“ Es geht nicht darum, dass ich Nahaufnahmen von Genitalbereichen zeige, das ist völlig uninteressant in meinen Augen. Für mich ist der Mensch interessant. Teilweise sieht man dann nur einen Arm und merkt, wie die Muskulatur arbeitet, das ist viel spannender. Wie ein Penis oder eine Vagina aussehen, wissen wir alle, das ist ja schön, aber ist das jetzt so wichtig? Ist es nicht.
Wer sind Deine Schauspielerinnen?
Ich arbeite nur mit Laien. Ich hatte schon eine Kindergärtnerin, eine Ärztin, einen IT-Spezialisten oder einen Programmierer bei mir auf dem Set. Da passiert alles ohne Druck. Du kannst Laien nicht einfach auf’s Set schicken: „So geht’s rein und jetzt hopp hopp, viel Spaß, ihr habt’s eine halbe Stunde!“ Ich zeige ihnen das Set, in der Küche gibt es Kaffee und Kuchen, dann wird über Wirtschaft, Politik, das Weltgeschehen oder über Kunst gequatscht. Du merkst mit der Zeit, dass sie sich immer mehr entspannen und irgendwann sagen sie von alleine: „Ähm, he, woll ma mal?“
„Sie nehmen Viagra und spritzen sich Mittel in den Penis.“
Wie unterscheidet sich Deine Arbeit von Mainstream-Pornos?
Ich arbeite mit Menschen und mit deren Emotionen! Meine Protagonistinnen und Protagonisten sind keine drogenabhängigen Prostituierten oder Arbeitslose ohne Schulabschluss, die aus Not in die Pornobranche wechseln. Großteils sind das wirklich studierte Akademikerinnen und Akademiker, die Psychologie oder Jura studiert haben. Die Gesellschaft muss lernen, diesen Menschen mit Respekt zu begegnen, wenn sie ihnen zuschaut. Meine Pornofilme sind etwas ganz anderes als der Mainstream.
Wo wird im Mainstream-Porno gefakt?
Die Männer müssen abliefern, was nicht immer leicht ist, vor allem wenn sie älter werden oder schon länger in dem Beruf arbeiten. Dann nehmen sie Viagra und spritzen sich Mittel in den Penis, damit er länger steht. Frauen geben sich Gleitgel in die Vagina. Wenn sie keine Lust verspüren, machen sie halt die Beine breit, ein wenig „Ah, ah, ah!“ (stöhnt) und faken einen Orgasmus. Es gibt auch Szenen, wo drei Penisse im Anus der Frau stecken. Da bekommt sie was für den Beckenboden reingespritzt, was man normalerweise bei Geburten bekommt, damit die Muskulatur ganz weich wird.
„Der Mann will, dann ejakuliert er und es ist vorbei.“
Wie geht es der Frau dabei?
Die Frau hat extreme Schmerzen, ihr werden bei solchen extremen Szenen nicht selten Schmerzmittel injiziert. Das Ganze kann zu Inkontinenz führen. Es geht oft sogar so weit, dass die Frauen ins Spital eingeliefert werden müssen. Oder es wird ihnen gesagt: „Du bekommst 400 Dollar für einen Blowjob, nur einen Blowjob.“ Im Endeffekt endet es mit einem Facial Abuse, also alle möglichen und extremen Sexpraktiken mit dem Mund, Kopf und Gesicht. Oft wehren sie sich nicht, weil sie Angst haben, dass sie nicht mehr engagiert werden. Da gibt’s wirklich extreme Sachen. Die Mainstream-Pornografie hat mittlerweile eine Richtung eingeschlagen, wo es wirklich nur darum geht, die eigene animalische Ader rauszulassen. Es passt perfekt in unsere Zeit. In uns Menschen lauert irgendwo eine sehr gewalttätige Seite, die werden wir auch im Alltag und beim Sex nicht los.
Wie beeinflussen die Lügen in Mainstream-Pornos unsere Gesellschaft?
Pornografie an sich finde ich nicht bedenklich. Es kommt darauf an, was und wie viel man davon konsumiert. Wenn ich 20 Löffel Salz esse, bin ich auch tot. Ein bisschen Würzen ist wunderbar. Es gibt diesen Spruch, der es ganz gut trifft: „We are oversexed but underfucked!“ Du siehst beim Mainstream-Porno Frauen, die perfekte Körper haben, Brustimplantate und eine operierte Vagina. Das macht einen unglaublichen Druck, vor allem auf Jugendliche.
„Was hat die sich reingespritzt, dass sie das nicht spürt?“
Du machst FemPorn. Was ist das?
Meine Filme sind aus der Sicht einer Frau produziert und sind deswegen ein wichtiger Beitrag zum Feminismus. Beim Mainstream geht’s hauptsächlich um den Mann: Der Mann will, der Mann macht dies, der Mann macht jenes, und dann ejakuliert er und es ist vorbei. Die Frau spielt da keine oder allerhöchstens eine sehr untergeordnete Rolle. Vor allem bei dem aktuellen Pornotrend: immer schneller, härter und noch härter (klatscht in die Hände). Das muss doch teilweise so wehtun, das ist ja Wahnsinn, wie die reinhauen! Da werden Stellungen gezeigt, wo du weißt, der Penis kommt sicher extrem nahe an den Muttermund heran. Da fragst du dich: „Was hat die sich reingespritzt, dass sie das nicht spürt?“
Was machst Du anders?
Beim feministischen Porno geht’s nicht nur um den Mann, auch nicht nur um die Frau. Das sind zwei Individuen, die auf Augenhöhe agieren. Er schaut auf sie und sie schaut auf ihn, im Wechselspiel, wie das halt ist, wenn man emotional miteinander verbunden ist. Es geht um eine gleichberechtigte Sexualität auf beiden Seiten. Der Orgasmus spielt für mich auch keine Rolle, keiner muss kommen, das ist nicht die Voraussetzung für einen Pornodreh und schon gar nicht das Ende. Wenn sie fertig sind, kommt noch das Kuscheln, das Ausatmen und Miteinanderquatschen. All das hat Platz und muss Platz haben.
„Da gibt’s wirklich extreme Sachen.“
Du experimentierst mit zwei interessanten Formaten: Blackbox und Blind Date? Was hat es damit auf sich?
Bei Black Box sind die Darstellerinnen sich selbst in einem geschützten Kubus überlassen und können dort, ohne die Anwesenheit anderer Personen, ihre Sexualität frei ausleben. Die Kamera schwebt über ihnen. Es gibt kein Kamerateam. Blind Date ist ein sexuelles Experiment, bei welchem sich zwei Fremde begegnen. Sie haben verbundene Augen und sehen einander nicht. Es wird während des Aktes auch nicht gesprochen, sämtliche Kommunikation erfolgt rein körperlich und durch gegenseitiges Erfühlen und Spüren.
Was willst Du mit Deiner Arbeit bewirken?
Dass Sexualität nie mehr als Gewalt gegen Frauen verwendet wird. Ich will sensibilisieren. Ich arbeite mit vielen jungen, tollen Menschen, die so visionär denken wie ich. Wir haben kürzlich begonnen, Aufklärungsvideos mit Sexualtherapeut*innen und Sexualpädagog*innen zu produzieren, das ist mir sehr wichtig. Es geht mir darum, der Gesellschaft zu zeigen: Es geht auch anders! Es ist möglich!
Danke für dieses spannende Gespräch!